Ein Thema, das mir schon seit einiger Zeit unter den Nägeln brennt. Kocht Hamburg doch hier mal wieder sein eigenes Süppchen.
1) Was ist eigentlich ein Radfahrstreifen?
Die VwV-StVO erläutert in Punkt 10:
ZitatEin Radfahrstreifen ist ein mit Zeichen 237 gekennzeichneter und durch Zeichen 295 von der Fahrbahn abgetrennter Sonderweg. Das Zeichen 295 ist in der Regel in Breitstrich (0,25 m) auszuführen. Zur besseren Erkennbarkeit des Radfahrstreifens kann in seinem Verlauf das Zeichen 237 in regelmäßigen Abständen markiert werden. Werden Radfahrstreifen an Straßen mit starkem Kraftfahrzeugverkehr angelegt, ist ein breiter Radfahrstreifen oder ein zusätzlicher Sicherheitsraum zum fließenden Verkehr erforderlich. Radfahrstreifen sind in Kreisverkehren nicht zulässig.
Also: Zeichen 237 (= ) , dicker Strich als Abgrenzung von der Fahrbahn. Optional kann sogar wiederholt werden.
Das klingt doch recht eindeutig.
ein kurzer Griff in meine Bilderkiste:
Alles da. Zeichen 237, Zeichen 295 und sogar ein Sinnbild "Radfahrer".
2) Situation in Hamburg
Schauen wir uns mal einen typischen Radfahrstreifen an.
Wir erkennen wieder Z.295 als Abgrenzung von der Fahrbahn. Wir erkennen wieder das weiße Sinnbild.
Was aber nicht zu erkennen ist: (Z.237)
Den habe ich dort nicht weggeschnitten oder retuschiert - der ist nicht vorhanden!
Ich könnte hier noch lustig 50 weitere Bilder einstellen, die alle genau! so! aussehen. An allen nahezu allen! Radfahrstreifen im Hamburger Stadtgebiet fehlt Z.237!
3) Was bedeutet dies nun konkret?
Da die VwV-StVO eindeutig klarstellt, was ein Radfahrstreifen ist, kann das hier kein Radfahrstreifen sein.
Wir erinnern uns: Radfahrstreifen = Z.295 + Z.237
Nach der Logik: "A = X+Y" kann A nicht auf einmal definiert werden als "A = X"
Demzufolge sehen wir hier keinen Radfahrstreifen. Denn das Konstrukt erfüllt einfach die Bedigungen nicht, die die VwV-StVO für einen Radweg aufruft.
Wenn es kein Radfahrstreifen ist, was ist es dann?
Nun, eine Orientierung gibt hier Z.295.
In der StVO ist zu diesem Z.295 in der Anlage 2 (zu § 41 Absatz 1) "Vorschriftzeichen" unter der lfdNr 68, dort im Nachtrag "Erläuterung" in Punkt 2:
ZitatAls Fahrbahnbegrenzung kann die durchgehende Linie auch einen Seitenstreifen oder Sonderweg abgrenzen.
Klingt logisch, oder? Das Z.295 gibt es in 2 baugleichen "Varianten".
Einmal kann die durchgezogene Linie 2 Fahrspuren abtrennen. Das kennen viele: In Kurven ist die "Mittellinie" meist durchgezogen, darf nicht überfahren werden.
Ein anderes Mal kann die durchgezogene Linie aber auch Fahrbahnbegrenzung sein.
Also: die Linie kann links der Fahrspur auftauchen, oder rechts. Oder gar nicht. Oder rechts und links.
Und in dem obigen Beispiel taucht sie nun rechts auf und ist damit Fahrbahnbegrenzung; trennt also einen Sonderweg oder Seitenstreifen von der Fahrbahn ab.
Wo ist der Unterschied zw. Sonderweg und Seitenstreifen?
Ein Sonderweg ist ein, einer bestimmten Verkehrsart vorbehaltener Weg. Ein Radweg ist ein Sonderweg. Oder ein Radfahrstreifen. Auch Sonderweg. Gehweg. Sonderweg.
Wir haben aber festgestellt, dass das für Hamburg stellvertretende Foto keinen Radfahrstreifen (= Sonderweg) zeigt.
In diesem Fall grenzt Z.295 einen Seitenstreifen ab.
Was bedeutet dies nun für den Radverkehr?
StVO §2, Abs. 4, Satz 5:
ZitatWer mit dem Rad fährt, darf ferner rechte Seitenstreifen benutzen, wenn keine Radwege vorhanden sind und zu Fuß Gehende nicht behindert werden.
Diese Konstrukte dürfen benutzt werden, müssen es aber nicht. Zumindest nach Auslegung StVO und zugehöriger VwV-StVO
4) Treppenwitz
Schaut man sich mal Bilder bei GoogleStreetView an, die in Hamburg bekanntlich 2008/2009 aufgenommen wurden, so fällt auf, dass der heutige Status damals quasi genau umgekehrt war.
Fand man damals kaum einen Radfahrstreifen ohne Z.237, sind seit 2010(?) kaum noch Radfahrstreifen mit Z.237 anzutreffen!
Die wurden abmontiert!
Wer jetzt denkt: na endlich. Dann muss ich die schmalen Dinger, die teilweise so dicht an den Außenspiegeln der parkenden PKW vorbeiführen, auch nicht mehr benutzen, der irrt leider!
Die Polizei und der Rechtsverd... StVO-Profilier... ähm.. also jedenfalls ist Herr Schubert von der BWVI der Meinung, dass sich eine Benutzungspflicht ergäbe, weil das ja immer noch ein Radfahrstreifen sei.
Ich hatte vor einigen Tagen mal mit dem "Radverkehrsverantwortlichen" (Herr Böhm) unser Stadt gesprochen und ihn gefragt, was er denn auf diesem Foto hier sieht:
Die Antwort: "Radfahrstreifen. Da fehlen die Piktogramme. Die hat man wohl vergessen."
Soso, die hat man also vergessen.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese durchaus exklusive Meinung auch nach einem kurzen Blick durch GoogleStreetview Bestand hat.
Einfach mal die Strecke Richtung Westen durchklicken.
Das, was wir hier sehen, ist wohl eindeutig ein Seitenstreifen. Parken wird hier geduldet, ist vermutlich sogar vorgesehen.
Dies bedeutet, der einzige Unterschied, zwischen einem Radfahrstreifen und einem Seitenstreifen hier in Hamburg sollen ein paar
lausige weiße Piktogramme sein? Piktogramme, die die StVO für Radfahrstreifen nichtmal vorschreibt?
Und das liebe Stadt, kann rechtlich keinen Bestand haben! Vorschriftszeichen, Gebotszeichen sind nicht umsonst so aufzustellen, dass man sie sieht. Auch wenn es mal schneit oder Laub draußen rumliegt. Aus diesem Grund ist auch eine weiße, auf die Straße geschmierte "30" ohne das entsprechende rot umrandete Verkehrszeichen nichtig. Das hat dann 0 Bedeutung. So wie auch ein Sinnbild "Radfahrer" per se absolut 0 rechtliche Bedeutung hat. Da kann man auch ne Packung Joghurt nehmen und den auf die Straße werfen. Der hat dann genauso viel rechtliche Wirkung wie ein "Sinnbild Radfahrer".
5) Der liebe Autoverkehr
Das alles würde mich nicht weiter stören. Lass doch die Radfahrstreifen Seitenstreifen mit Piktogrammen sein.
Tatsache ist jedoch, dass wir in Hamburg nach dieser Rechtsauffassung/Rechtsauslegung Radfahrstreifen haben, die zwar benutzungspflichtig, aber mitten durch die Dooring-Zone laufen und damit kreuzgefährlich sind!
Will man dieser Gefahr aus dem Wege gehen und hält Abstand von den Autotüren, kann man natürlich keinem Autofahrer in 10Sek vermitteln, wieso man nicht auf dem "Radweg!!!!" fahren möchte. In keiner anderen Straße kann man hupen, brüllen, enges Überholen so schnell und "effizient" provozieren wie in einer Straße mit "Radfahrstreifen", den man nicht
- benutzen kann
- benutzen muss
- benutzen sollte
Wer das nicht glauben möchte, fahre bitte einmal die Richardstraße, Wagnerstraße, Ritterstraße, den Eilbeker Weg oder Dammtordamm auf der Fahrbahn mit 15km/h entlang!
Ich sage nicht, dass Radfahrstreifen eine schlechte Idee sind. Das sind sie nicht. Es gibt auch in Hamburg gute Radfahrstreifen. Washingtonallee stadteinwärts. komfortabel breit, genügend Abstand zu parkenden Autos. Doch ist das, was im Altbestand ist, ein Frechheit.
Auch und insbesondere vor dem Hintergrund, dass hier Benutzungspflichten quasi "von oben" angeordnet werden, wo die StVO und VwV-StVO deutlich andere Schlüsse zulassen.