Auf jeder Podiumsdiskussion zum Thema „Fahrradfahren in Hamburg“, bei jeder Vorstellung einer Umgestaltung einer Straße fällt immer zwangsläufig eine Phrase: „Hamburg ist schließlich nicht Kopenhagen oder Amsterdam“.
Diese Phrase zielt darauf ab, dass Hamburg eine viel größere Stadt mit viel mehr Wirtschaftsverkehr wäre und man in Hamburg nicht vernünftig mit dem Rad fahren könnte, weil die Distanzen viel zu groß wären.
Ich bin der Meinung, dass das nicht stimmt. Hamburg unterscheidet sich aber in einem anderen Punkt ganz gewaltig von Amsterdam und Kopenhagen.
Kopenhagen
Kopenhagen habe ich mittlerweile mehrmals besucht, zuerst als kleiner Knirps irgendwann im letzten Jahrtausend, zuletzt im November letzten Jahres für ein paar Tage. Ausnahmslos jedes Mal übernachtete ich auf dem Campingplatz Absalon, von dort aus sind es knapp über neun Kilometer in die Innenstadt. Diese neun Kilometer kann man ganz problemlos in einer halben Stunde zurücklegen, man fährt mit Ausnahme eines kurzen Stückes ausnahmslos auf fahrbahnbegleitenden Radwegen. Jene Radwege sind zwar nicht immer besonders schön, wie man das eigentlich aus der Fahrradstadt Kopenhagen erwarten müsste, aber selbst an ihren schlechtesten Ecken noch immer schöner als jegliche Fahrradwege in Hamburg.
Doch obwohl immer behauptet wird, Kopenhagen wäre deutlich kleiner als Hamburg, kommt hinter dem neun Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Campingplatz noch eine ganze Menge an Wohngebieten, von denen aus Menschen ebenfalls mit dem Rad in die Innenstadt pendeln. Die sind dann eben keine 30 Minuten unterwegs, sondern vielleicht 45. Oder 60. Aber es geht, ganz problemlos, es dauert lediglich länger.
Nebenan verläuft seit einiger Zeit auch der Radschnellweg C99 entlang, der die Reisezeit stellenweise noch einmal verkürzt.
Amsterdam
In Amsterdam war ich erst zwei Mal, an das erste Mal kann ich mich nicht mehr erinnern, das zweite Mal war im Sommer 2014. Unser Campingplatz befand sich damals tatsächlich relativ dicht am südöstlichen Stadtrand, von dort waren es in die Innenstadt ungefähr zwölf Kilometer mit dem Rad, die man recht problemlos in den von Google veranschlagten 40 Minuten zurücklegen konnte. Man fährt dabei einen Großteil der Strecke auf einem eigenen, vom Kraftverkehr vollständig entkoppelten Straßennetz entlang, auf dem man wirklich komfortabel und schnell zum Ziel kommt. Weiter in der Innenstadt fährt man dann tatsächlich auf den berühmten Radwegen entlang der Straßen, aber auch dort kommt man immer noch sehr schnell voran.
Hamburg
In Hamburg geht das alles angeblich nicht, weil Hamburg viel größer wäre als Amsterdam und Kopenhagen.
Von meiner Wohnung zu meinem Arbeitsplatz fahre ich von Tür zu Tür etwa neun Kilometer, für die ich etwa eine halbe Stunde benötige. Ich behaupte einfach mal: Das schafft jeder einigermaßen gesunde Mensch.
Wenn ich nun mit dem Zirkel einen Kreis mit einem Radius von zehn Kilometern um den Hamburger Rathausmarkt schlage, überdecke ich damit schon einen wesentlichen Teil des Hamburger Stadtgebietes. Der Hamburger Westen ist bis auf Rissen und Blankenese komplett dabei, im Nordwesten fehlt nur ein Teil von Niendorf und Schnelsen, im Osten komme ich immerhin bis zum Öjendorfer Park und bis Steilshoop. Im Norden wird’s mit dem breiten Flughafen natürlich ein bisschen blöder, Richtung Süden ist die Elbe im Weg, aber wenn ich dort aufgrund des Wilhelmsburger LOOPs einen zusätzlichen Kilometer Toleranz mit aufschlage, habe ich ganz Wilhelmsburg mit dabei.
Ich behaupte mal: Jeder Verkehrsteilnehmer, der momentan nur aufgrund der Distanz mit dem Auto fährt, schafft es bei hinreichender Gesundheit auch innerhalb dieses Gebietes mit dem Rad zu fahren. Wer mag, kann sich dabei elektrische Unterstützung besorgen, das dürfte im Endeffekt noch immer wesentlich billiger als die tägliche Fahrt mit dem Auto sein.
Es wird auch andauernd behauptet, Hamburg hätte ja so viele Steigungen, da könne man nicht mit dem Rad fahren. Eigentlich ist doch die einzig nennenswerte Steigung an der Nordseite der Norderelbe auf einem etwa hundertfünfzig Meter breiten Streifen angesiedelt. Aber auch da gilt meiner Meinung nach: Wenn man nicht gerade den Waseberg oder die Blankeneser Straßen hochzuckelt, kriegt man das hin. Die Helgoländer Allee oder die Steigung hinten am Stadtpark mögen unangenehm sein, aber das fährt man ja in der Regel nicht jeden Tag zehn Mal. Ehrlich: Das geht. Okay, Harburg hat auch noch einiges an Steigungen zu verzeichnen, aber Harburg liegt ohnehin außerhalb dieses Neun-Kilometer-Radius’.
Was halt nicht geht ist so ein vollständiges vom Straßenverkehr entkoppeltes Radwegenetz wie in den Amsterdamer oder Kopenhagener Vororten. Für so etwas ist Hamburg schon zu dicht bebaut, das wird sich nachträglich kaum mehr dazwischenquetschen lassen. Umso wichtiger halte ich es aber, dass man entlang der Hauptstraßen und auch abseits der Hauptstraßen brauchbare Möglichkeiten schafft, mit dem Rad fahren zu können. Denn das ist meines Erachtens der wesentliche Unterschied zwischen Hamburg und den beiden Fahrradstädten: Hier ist der komplette Straßenverkehr zum Großteil immer noch auf die motorisierte Fortbewegung ausgerichtet, für Radfahrer werden lediglich kleine Nebenflächen vorgehalten.
Wie soll angesichts dieser Raumaufteilung denn ein Gefühl dafür entstehen können, dass man sich anstatt mit dem Auto auch mit dem Rad bewegen kann? Die Radverkehrsinfrastruktur wurde irgendwie so halbherzig zwischen Parkplätze und Fahrstreifen und Hauswände gelötet, ist aber ein brüchiges Stückwerk, das anders als in Kopenhagen und Amsterdam überhaupt nicht das Signal aussendet: Hey, nimm heute mal das Fahrrad zur Arbeit.
Denn das Gefühl kenne ich auch selbst: Es gibt Tage, an denen ich keine große Lust habe, mit dem Rad ins Bureau zu fahren. Das liegt aber weder am Regen noch am Gegenwind noch an der Temperatur, sondern allenfalls daran, dass ich hin und wieder auf dieses ständige Gehoppel zwischen zwölf verschiedenen für den Radverkehr vorgesehenen Straßenteilen, das ständige „Übersehen“ und den ganzen Ärger mit auf dem Radweg parkenden Kraftfahrzeugen keine Lust habe. Fährt man in Hamburg mit dem Rad, so kostet das erst einmal eine gewisse Überwindung, sich auf eine Fahrt in diesem fahrradfeindlichen Verkehrsraum einzulassen, schlimmer noch, man muss quasi überlegen, wo man eigentlich langfahren möchte, wenn man einigermaßen seine Ruhe haben möchte.
In Kopenhagen und Amsterdam hingegen signalisiert der Verkehrsraum: Du kannst hier vorankommen, egal ob mit dem Auto, zu Fuß oder mit dem Rad. Wo auch immer ich dort mit dem Fahrrad hinfahren möchte, ich kann mir sicher sein, dass der Weg nicht absolut beschissen wird. Klar, da sind auch mal Arbeitsstellen im Straßenverkehr, da wird es auch mal eng und buckeliger, aber es wird nie so ätzend wie in Hamburg. Hier muss ich mir bei einer Fahrt vom Michel nach Altona überlegen, wo ich überhaupt entlangfahren möchte, weil man auf der Reeperbahn oder der parallel verlaufenden Simon-von-Utrecht-Straße zwar mit dem Rad fahren kann, das aber eigentlich überhaupt gar keinen Spaß macht.
Ich glaube, das ist so ziemlich der einzige Punkt, der Kopenhagen und Amsterdam von Hamburg unterscheidet: Da drüben ist man als Radfahrer im Straßenraum akzeptiert, womöglich sogar willkommen, hier in Hamburg muss man jetzt irgendwie den Radverkehr in den vorhandenen Verkehrsraum hineinoperieren.