Statistiken generieren

  • Ich bin nun dabei, aus den aufgezeichneten Unfällen Statistiken zu generieren, so dass man einigermaßen aktuelle Zahlen zur Hand hat, wenn es in irgendwelchen Diskussionen wieder heißt, Radfahrer wären alle selbst schuld und auf dem Radweg wäre das nicht passiert und hätte er ’nen Helm genommen, wäre das nicht vorgekommen.

    Den ersten groben Versuch gibt’s hier:

    Das Datenmaterial ist durchaus brauchbar, das ist mittlerweile handgepflegt, allein an der Interpretation der Zahlen mangelt es. Momentan steht dort, 34 Radfahrer wären auf der Fahrbahn tödlich verunglückt, nur 14 auf dem Radweg, was ja im krassen Gegensatz zu der immer wieder vorgetragenen Behauptung steht, es wäre auf dem Radweg viel gefährlicher als auf der Fahrbahn. Was dort nicht steht: Überraschend viele der auf der Fahrbahn verunglückten Radfahrer sind beispielsweise innerhalb von Wohngebieten bei Alleinunfällen ums Leben gekommen. Besonders gefährdet scheinen da ältere Verkehrsteilnehmer zu sein, die teilweise binnen weniger hundert Meter mit dem Rad tödlich verunglücken.

    Genauso sinnlos ist die Zahl von zwölf Unfällen aufgrund eines Vorfahrtverstoßes, dort muss man wohl wenigstens noch erwähnen, wer denn dort wem die Vorfahrt genommen hat. Auch hinter dieser Zahl verstecken sich überraschend viele ältere Radfahrer, die innerhalb eines Wohngebietes an einer Rechts-vor-links-Kreuzung einem Kraftfahrzeug die Vorfahrt genommen haben.

    Nun bin ich tatsächlich unsicher, wie man diese Daten am besten zusammenstellt. Sind da tatsächlich vordefinierte „Unfalltypen“ in der Art von „außerorts auf der Fahrbahn gerammt“ und „auf dem Radweg vom Lastkraftwagen beim Abbiegen getötet“ und ähnliches aufschlussreicher, also jene Unfallszenarien, die in den üblichen Diskussionen immer wieder angeführt werden?

    Momentan ist ja das einzig plausible, was sich aus den Daten herauslesen lässt, dass offenbar überdurchschnittlich viele ältere Menschen nach einem Unfall mit dem Rad sterben. Das war’s dann aber auch schon: Ob ältere Menschen häufiger in Fahrradunfälle verwickelt sind, sei es wegen der Koordination oder wegen der Reaktionszeit, oder ob für ältere Menschen eine Verletzung tödliche Folgen haben kann, die man im jüngeren Alter problemlos wegsteckt, lässt sich schon nicht mehr ablesen.

  • Hi Malte,


    ich finde das ganze Thema schwierig und glaube das erfordert richtig viel Aufwand, wenn man es richtig machen will, sonst suggeriert man falsche Wahrheiten.


    Unter anderem aus diesen Gründen:

    1. Gefahr von Fehlinformationen
    2. Wer ist wirklich Verursacher? Steht das so schnell fest? Wer verfolgt die Fälle weiter, bis evtl. nach einem Gerichtsurteil? Was ist mit Teilschuld?
    3. Hoher Pflege-Aufwand (wir sprechen immerhin von ca. 400 Fällen pro Jahr)
    4. Verknüpfung von Daten nötig aber eigentlich kaum möglich: Verunfallen ältere Menschen das Geschlechts XY oft in dieser oder jener Situation? Sind typische Kampfradler so sicher, wie man das manchmal hört? Aber wer ist älter und wer ist Kampfradler?
    5. Du läufst schnell Gefahr, Kausalitäten herzustellen ohne dass sie wirklich verlässlich oder aussagekräftig wären. Absolute Daten helfen meistens nicht, man muss sie in Relation zu anderen Daten setzen.
    6. Einige "verschärfende" Umstände fehlen, wie z.B. Fahren auf Radwegen gegen die Fahrtrichtung.
    7. Andere Ursachen müssten weiter ausdifferenziert werden, z.B. wie du schon selbst schreibst: Vorfahrt oder Rotlichtverstoß.
    8. Konzentration auf "nur tödliche Unfälle" ist fragwürdig.


    Beispiele zu 5)
    Du sagst, dass auf der Straße fahren gefährlich wäre. Hier fehlt mir die Vergleichsmöglichkeit zu den Kilometern auf Radwegen und Fahrbahn.
    Ist Radfahren für Männer oder Frauen gefährlicher? Auch hier fehlen die zurückgelegten Kilometer.


    Ich glaube ich würde das Thema erstmal mit Fokus auf die Daten angehen und noch gar keine Auswertung machen. Am Ende des Jahres kann man immer noch was von Hand auswerten oder man betrachtet die Statistik als Prototyp und macht eine automatische(?) Auswertung erst nächstes Jahr.

  • Du sagst, dass auf der Straße fahren gefährlich wäre. Hier fehlt mir die Vergleichsmöglichkeit zu den Kilometern auf Radwegen und Fahrbahn.

    Auch ohne offizielle Statistik habe ich als Alltagsradler, der sowohl auf Radwegen, als auch bei jeder legalen Möglichkeit auf der Fahrbahn fährt einen Berg von Erfahrungen: Das Radeln auf der Fahrbahn ist um ein Vielfaches ungefährlicher, als das auf Radwegen. Die wirklich einzige Gefahr auf der Fahrbahn sind aggressive Autofahrer und ab und zu mal Menschen, die einfach nicht aufpassen.

    Auf typischen Hochbordradwegen bedeutet es regelmäßig Stress, schneller als 20 Km/h zu fahren. Was einem da so alles passieren kann, kennt ja wohl jeder hier. Es ist mir ein Rätsel, weshalb noch immer so viele Radler das Fahren auf der Fahrbahn für gefährlicher, als auf dem Radweg halten.

    "Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg ist der Terrorismus der Reichen"
    Peter Ustinov

  • Übrigens möchte ich mich den Anmerkungen des Users @ralph anschließen

    ich finde das ganze Thema schwierig und glaube das erfordert richtig viel Aufwand, wenn man es richtig machen will, sonst suggeriert man falsche Wahrheiten.

    An Unfallstatistiken haben sich schon viele versucht, mit wechselnder Güte der Ergebnisse. So sehr ich die Bestrebungen gutheiße, auf möglichst guter Datenbasis eine eigene Auswertung vorzunehmen, so groß sehe auch ich die Gefahr, gewollt oder ungewollt zu Pseudo-Ergebnissen zu kommen. Statistisch gewonnene Aussagen über Zusammenhänge sind in vielen Fällen (wenn nicht den meisten) ziemlich wertlos, werden aber von interessierter Seite gerne aufgegriffen, wenn sie nur wenigstens zum eigenen Weltbild passen.

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • #3-#6: Gibt es nicht schon genügende Threads zum Thema: Wo fühlt ihr euch sicher: Radweg, Gehweg oder Fahrbahn?

    Zurück zum Thema:
    Interessant finde ich, dass nur in 10 von 71 Fällen bekannt ist ob ein Helm getragen wurde und zwar deshalb weil ja oft "gefühlt" wurde, dass es zu viel "Weil er keinen Helm trug" / "Obwohl er keinen Helm trug" in Polizeimeldungen und Presse gibt.


  • Zurück zum Thema:
    Interessant finde ich, dass nur in 10 von 71 Fällen bekannt ist ob ein Helm getragen wurde und zwar deshalb weil ja oft "gefühlt" wurde, dass es zu viel "Weil er keinen Helm trug" / "Obwohl er keinen Helm trug" in Polizeimeldungen und Presse gibt.

    Interessanterweise gibt es solche Anmerkungen, das habe ich in den letzten dreieinhalb Monaten gelernt, eher bei Unfällen, bei denen der verunfallte Radfahrer noch lebt. Ich bin unsicher, ob man in den Polizei- und Nachrichtenmeldungen genügend Anstand hat, dem Toten nicht noch den fehlenden Helm anzukreiden oder was das für Gründe haben mag, jedenfalls habe ich diese Informationen auch meistens nur nach einer Google-Recherche zu dem jeweiligen Unfall herausgefunden. Die Phrase von wegen „trug keinen Helm, hätte sonst überlebt“ ist mir in den letzten dreieinhalb Monaten immerhin noch nicht begegnet.

  • Die wirklich einzige Gefahr auf der Fahrbahn sind aggressive Autofahrer und ab und zu mal Menschen, die einfach nicht aufpassen.

    Zu den aggressiven Autofahrern (ungeduldige Drängler, Huper, Engüberholer, "Erzieher") kommen u.a. noch folgende Situationen:

    • Dooring bei zu geringem Abstand zu Stehzeugen (ja, es gibt genügend Radfahrer, die selbst auf der Fahrbahn zu dicht an Stehzeugen entlangradeln, aus "Angst" oder Unüberlegtheit)
    • Ausbremser: Aggressive Autofahrer, die gerade noch überholen, dann abbremsen, um rechts abzubiegen
    • Vorfahrtnehmer: Aggressive Autofahrer, die aus einer nachgeordneten Querstraße ausfahren, weil sie die Geschwindigkeit des Radfahrers zu gering einschätzen oder aber den Radfahrer bewusst missachten, weil er ggf. als minderwertig oder feindselig erachtet wird
    • Schlaglöcher (machen sich gravierender bemerkbar als auf einem Fakeradweg, da auf der Fahrbahn i.d.R. schneller gefahren wird)
  • Das Datenmaterial ist durchaus brauchbar, das ist mittlerweile handgepflegt, allein an der Interpretation der Zahlen mangelt es.

    Hi Malte, danke für Dein Engagement!

    Ich bin Thomas Schlüter und der Autor der Seite .

    Einer der Gründe, warum ich vor über vier Jahren mit der Sammlung von Todesfällen beim Radfahren begonnen habe, bestand darin, dass in den veröffentlichten amtlichen Unfallstatistiken die einzelnen Paramter (also Unfallart, Unfalltyp, Verletzungsschwere, Schuld, Ort, Alter, Straßenteil, Ortslage, Gegner etc.) immer nur voneinander getrennt präsentiert werden. Dadurch wird die Analyse von möglichen Zusammenhängen komplett unmöglich gemacht. Keine Ahnung, ob das Absicht oder einfach nur Folge der Betriebsblindheit der Profis ist, aber es ist Fakt, dass von offizieller Seite scheinbar niemand Anstrengungen unternimmt, solche wichtigen Kombinations-Analysen mehrerer Faktoren mit den noch verknüpften Parametern der Rohdaten zu machen. Insbesondere das bei destatis jährlich mit dem vielversprechenden Titel "Verkehrsunfälle von Zweiradfahrern" erscheinende Werk ist eine in dieser Hinsicht unbrauchbarer Datenwüste.

    Die von Dir präsentierte eindimensionale Analyse hat in der jetzigen Form leider die gleiche Schwäche wie die amtlichen Statistiken.

    Ich biete daher auf meiner Seite auch immer eine Excel-Ausgabe der gesamten Liste an, deren Inhalt jeweils gleichzeitig mit den Updates der Online-Version aktualisiert wird.