Und Gigaliner sollen innerorts funktionieren?

  • In Hamburg fährt die Hochbahn bekanntlich mit den 25 Meter langen Doppelgelenkbussen Van Hool AGG 300 herum. Mit 26 dieser Fahrzeuge will man die Metrobuslinie 5 irgendwie in den Griff bekommen, auf der seit Abschaffung der Straßenbahn immerhin 60.000 Fahrgäste in Bussen transportiert werden müssen.

    Die Gigaliner mit einer zulässigen Gesamtlänge von 25,25 Metern entsprechen ungefähr der Länge eines solchen Doppelgelenkbusses — und wie das Zusammenspiel mit nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern innerorts klappen soll, ist mir nach wie vor ein Rätsel.

    Soweit ich weiß, ist der Linienweg des Metrobus 5 gegen feindliche Verkehrsströme abgesichert, mir fällt wenigstens zwischen dem Hauptbahnhof und dem Tibarg keine Stelle ein, an der der Bus abbiegen dürfte, gleichzeitig aber Fußgänger und Radfahrer in gleicher Richtung grünes Licht haben. Solche Stellen wie beispielsweise die alte Straßenbahn-Kehre am Nedderfeld ist mittlerweile auch signalisiert worden: Will ein Bus abbiegen, dann haben Fußgänger und Radlinge rot.

    Ich finde es allerdings erschreckend, wie oft gleich wieder die Tote-Winkel-Karte gespielt wird, wenn eine solche Signalisierung nicht gegeben ist. Am Neuen Pferdemarkt biegt beispielsweise der Einfachgelenk-Metrobus 6 nach rechts zur Feldstraße ab, während Radfahrer und Fußgänger geradeaus queren dürfen. Ich vermute mal, dass das Abbiegen mit einem solch langen Fahrzeug eben einiges an Konzentration erfordert, jedenfalls habe ich mittlerweile verstanden, wie man dort als Radfahrer überlebt: Man wird nur beachtet, wenn man beim Umschalten auf grünes Licht direkt vorne an der Kreuzung wartet. Nähert man sich der Kreuzung, wenn sich der Bus bereits in Bewegung gesetzt hat, sollte man auf die eigene Vorfahrt besser verzichten.

    Ganz abenteuerlich wird es ja, wenn die Fahrzeuge zum Einsatzort fahren oder zurück zum Betriebshof Langenfelde. Die Doppelgelenkbusse der Metrobuslinie 5 kommen zum Beispiel oben aus Burgwedel die Kieler Straße herunter oder kommen vom Tibarg oder Nedderfeld durch die Koppelstraße und den Basselweg entlang — dort gibt es aber keine gesonderte Signalisierung, so dass Doppelgelenkbusse und nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer sozusagen ungeschützt aufeinandertreffen.

    Das sieht dann beispielsweise beim Abbiegen in den Betriebshof regelmäßig so aus:

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Ich kann mir vorstellen, dass solche Abbiegevorgänge den Fahrer ganz schön fordern. Er muss hier nicht nur aufpassen, ob rechts jemand auf dem Radweg fährt, sondern auch noch erkennen, ob 25 Meter hinter ihm rechts jemand auf dem Radweg fährt. Und gleichzeitig schwenkt seine Karre soweit aus, dass er die beiden rechten Fahrstreifen reserviert hat.

    So etwas erlebe ich dort leider häufiger, die Abbiegevorgänge erfolgen dort leider meistens unter der Prämisse, dass der Radfahrer angesichts des Doppelgelenkbusses schon anhalten wird — sofern der Fahrer mich denn überhaupt als kleinen, winzigen Punkt in seinem Spiegel wahrgenommen hat. Herrje, aber ich mache dem dann keinen Stress, auch wenn ich solche Abbiegevorgänge ganz schön grenzwertig finde. Letzte Woche hatte ich sogar schon Blickkontakt mit dem Fahrer durch die vordere Tür aufgebaut, aber er machte dann mit dem Gaspedal deutlich, noch schnell seine 25 Meter vor mir um die Kurve fahren zu wollen — vielleicht hatte er Sorge, die übrigen Kraftfahrer machten ihm mit der Hupe aufgrund der zwei belegten Fahrstreifen die Hölle heiß oder er dachte sich, ah, der Radfahrer hat meinen Bus gesehen, dann kann ich ja jetzt abbiegen.

    Und nun denke ich mir, die Sache mit den so genannten Gigalinern, die wird ja nicht besser — dort sind die Sichtverhältnisse noch viel schlechter, da gibt’s keine verglaste Tür und rechts nur ein einziges Fenster.

    Witzigerweise lag mein früherer Schulweg oben im entlegenen Büdelsdorf an einer der Versuchsstrecken, von dort aus wurde ein Lager in Neumünster angefahren — das war kein Spaß. Die Route verlief ungefähr so: Von der Autobahn ging es durch vier (!) Kreisverkehre in die Hollerstraße, dort wurde dann schließlich nach links zu ACO abgebogen — und bei diesem Abbiege-Vorgang sollte man dem Lastkraftwagen nach Möglichkeit nicht im Wege herumfahren.

    Nun wundere ich mich ja, wie gut das denn bei den Gigalinern künftig funktionieren soll. Man hat als nicht-motorisierter Verkehrsteilnehmer heutzutage schon gegenüber „normalen“ Lastkraftwagen verloren, was die Vorfahrt angeht, jetzt müssen noch mal sieben Meter mehr um die Ecke gebracht, beziehungsweise ein weiterer Anhänger durch die Schleppkurve gezogen werden. Und auch das wird angesichts von Stau, Arbeitsstellen oder Unfällen auf Routen stattfinden, die für Gigaliner weder geeignet noch vorgesehen sind.

    Ich kann mich noch dran erinnern, dass mir aufgrund einer längeren Arbeitsstelle ein solcher Gigaliner damals mal in einem Wohngebiet entgegenkam — das hat auch nur funktioniert, weil ich mich mit meinem Rad auf den Gehweg verdrückt habe, ansonsten stünden wir uns wohl noch heute gegenüber.

    Im Netz habe ich leider außer Protestschreiben und Feldversuchen nichts derartiges gefunden — weiß jemand, ob es Pläne gibt, die künftigen Routen der Gigaliner an derartigen Kreuzungen entsprechend abzusichern?


  • Ich finde es allerdings erschreckend, wie oft gleich wieder die Tote-Winkel-Karte gespielt wird, wenn eine solche Signalisierung nicht gegeben ist.

    Die Doppelgelenker haben Videokameras installiert...
    Es gibt dort keinen toten Winkel.

    Ich hatte mich anno dazumal, nach der interessanten Umgestaltung der Dammtorstraße und des Gänsemarktes, gleich mal probehalber auf ein Duell eingelassen.
    Nach der Linkskurve von der Dammtorstraße zum Gänsemarkt fährt der M5 direkt nach rechts rüber in die Busbucht, kreuzt den endenden Radfahrstreifen.
    Ich fuhr rechts neben der letzten Achse des links "abbiegenden" Busses. Der Bus blinkte schon rechts. und hielt. um mich rechts vorbeizulassen.
    Hatte den Busfahrer angesprochen und gefragt, weil er mich unmöglich sehen konnte. Die Außenspiegel hätten 5m nach rechts abstehen müssen.
    Erklärung: Kamera. musste mal drauf achten bei den Doppelgelenkern.
    Übrigens hat die Hochbahn doch auch Mercedes-Doppelgelenker im Angebot, oder?
    Ich meine, die VanHools waren nur die ersten 12(?), die gekauft wurden. hmmm

  • Nach der Linkskurve von der Dammtorstraße zum Gänsemarkt fährt der M5 direkt nach rechts rüber in die Busbucht, kreuzt den endenden Radfahrstreifen.


    Puh, die Ecke hatte ich ja ganz vergessen — es gibt ja vom Gänsemarkt bis runter in die Mönckebergstraße diverse Möglichkeiten, mit den Doppelgelenkbussen aneinanderzugeraten. Beispielsweise hier am Jungfernstieg, wo man erst von der Fahrbahn aufs Hochbord wechseln soll und anschließend vermutlich nicht mal mehr § 9 Abs. 3 StVO einschlägig ist:

    Und die Ecke hier am ZOB dürfte ja auch kompliziert sein, oder?

    Erklärung: Kamera. musste mal drauf achten bei den Doppelgelenkern.


    Du hast recht, die Kameras sind mir auch schon mal aufgefallen — aber reichen die aus, um jemanden dort auf dem Radweg zu entdecken, wo ich oben im Video fuhr? Beziehungsweise läuft das nicht so wie beim Spiegelkabinett an modernen Lastkraftwagen, wo der Fahrer halt in jede Ecke gucken könnte, wenn er zwölf Augen hätte?

    Im Endeffekt ist das aber ja egal, denn an den Gigalinern sind nach meiner Kenntnis keine Kameras vorgesehen — da müssen die handelsüblichen Spiegel offenbar für 25,25 Meter reichen.

  • Hm, in München gibt es keine Doppelgelenkbusse, dafür aber Anhängerbusse. Weiß gar nicht, wie das bei denen gelöst ist. Da gibts ja sogar zusätzlich das Problem, dass theoretisch jemand zwischen die beiden Fahrzeuge steigen könnte.

  • Hm, in München gibt es keine Doppelgelenkbusse, dafür aber Anhängerbusse. Weiß gar nicht, wie das bei denen gelöst ist. Da gibts ja sogar zusätzlich das Problem, dass theoretisch jemand zwischen die beiden Fahrzeuge steigen könnte.

    Sowas war auch mal zwischen Wedel und Uetersen im Einsatz im Einsatz:

    Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, der Anhänger wird mittlerweile auch nicht mehr eingesetzt; das Internet schweigt sich darüber leider aus.

    Das ist eher ein Beispiel für: Geschwindigkeit des Radlings komplett unterschätzt.
    Oder verschätzt mit dem Gedanken: ich bin schon halb drüben bis der ankommt.

    Naja, so richtig schnell war ich heute Morgen ja nicht — schneller ging’s auch gar nicht: Noch mit Vollgas neben die vordere Tür zu fahren kam nicht in Frage, bei dem Tempo hätte ich dann auch bei normalem Untergrund ohne matschige Blätter nicht mehr reagieren können. Und wenn der Busfahrer dann noch immer nichts merkt, schlägt man irgendwo hinter die vordere Tür ein.

  • Die Doppelgelenkbusse fahren auch auf der Linie E86 zwischen ZOB Altona und Teufelsbrück über Max-Brauer-Allee und Elbchaussee (Airbuszubringer). Dort sind fast ausnahmslos keine Radverkehrsanlagen vorhanden . . .

    Übrigens hat es auch in Utrecht - bei deutlich besserer Radinfrastruktur - Doppelgelenkbusse zur Anbindung des Univiertels ans Stadtzentrum.

  • Die Doppelgelenkbusse fahren auch auf der Linie E86 zwischen ZOB Altona und Teufelsbrück über Max-Brauer-Allee und Elbchaussee (Airbuszubringer). Dort sind fast ausnahmslos keine Radverkehrsanlagen vorhanden . . .

    Fahren da tatsächlich Doppelgelenkbusse? Ich dachte immer, auf der Linie E86 führen „nur“ Einfachgelenkbusse.

    Die Berliner Morgenpost berichtet dann auch noch mal über die Gigaliner:

    Bezüglich womöglicher Sicherheitsbedenken ist der Artikel eher reserviert:

    Zitat

    Stören die nicht im Straßenverkehr?

    Befürchtungen, dass es Behinderungen geben könnte, seien bislang nicht eingetreten, auch Sicherheitsbedenken seien bislang nicht hoch. "Bei 80 Stundenkilometern haben die Lang-Lkw einen kürzeren Bremsweg, weil mehrere Achsen bremsen", erklärt Hodea vom Deutschen Speditions- und Logistikverband.

    Ist ja super, dass mehrere Achsen bremsen. Das hilft aber gar nichts, wenn beim Abbiegen innerorts erst gar nicht gebremst wird, weil man mal wieder die Toter-Winkel-Karte spielt und beim Abbiegen nicht guckt.


    Offenbar gilt mal wieder uneingeschränkt der § 1 StVO. Ist ja total super, dass man dann ab 1. Januar als Radfahrer über einige rote Ampeln sausen darf.

  • "In der Bundesregierung ist ein offener Streit über die Zulassung überlanger Lastwagen auf deutschen Straßen entbrannt. Das Umweltministerium von Barbara Hendricks (SPD) kritisierte die Entscheidung von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), die Lang-Lkw in den Regelbetrieb gehen zu lassen, als "Alleingang"."
    Quelle: Die Zeit vom 2.1.2017: "Lang-Lkw: Bundesregierung streitet über Zulassung von Gigalinern",

    Nicht nur im Bund gibt es diesen Interessensgegensatz von Umweltpolitik versus Wirtschafts- und Verkehrspolitik. Auch in Niedersachsen tobt dieser Kampf.

    Zu allem Überfluss bezeichnen die Gigaliner-Lobbyisten und Politiker, die diese XXXL-LKW auf die Straße bringen wollen, die Fahrzeuge auch noch als umweltfreundlich, weil damit ja LKW-Fahrten eingespart werden könnten. Die weniger umweltbelastende und nachhaltigere Alternative freilich fällt dabei hinten runter, nämlich die Verlagerung des Güterverkehrs auf Bahnstrecken.

    Und gleichzeitig freuen sich die Autofahrer, weil sie nämlich aus dem Blickfeld verschwinden, dabei ist es immer noch in erster Linie der massenhafte PKW-Verkehr, der es Radlern, den ÖPNV-Nutzern (mit dem Bus im Autostau stecken bleiben) und der Umwelt schwer machen.