Abknickende Vorfahrtstraße mit Radverkehrsführung und § 10 StVO

  • Ich möchte noch einmal dieses Konstrukt aus Havelberg zur Diskussion stellen:

    Und was halten wir eigentlich von solchen Konstruktionen? Eine abknickende Vorfahrtsstraße, der Radverkehr wird von einem Schutzstreifen mitten ins Geschehen geschmissen. Das wird bestimmt total super, wenn jemand mit dem Fahrrad nach links abbiegen, der Kraftfahrer aber geradeaus möchte. Als ich kurz nach diesem Foto links abbiegen wollte, „übersah“ mich eine von links kommende Kraftfahrerin und nahm mir die Vorfahrt. Das klappt ja echt prima.

    Der Radverkehr wird inmitten dieser abknickenden Vorfahrtsstraße über einen Schutzstreifen vom Hochbordradweg auf die Fahrbahn entlassen. Da könnte ja auch § 10 StVO einschlägig sein und der Radverkehr fährt ganz zuletzt. Wenn ich nun mit dem Rad nach links abbiegen möchte, wäre ich ja wartepflichtig gegenüber geradeaus fahrenden Kraftfahrern. Für letztere kommt womöglich § 9 Abs. 3 StVO in Frage, allerdings schlägt § 10 StVO ja grundsätzlich alles.

    Was meint ihr dazu?

  • Korrekte Wege hier mit dem Fahrrad links abzubiegen sind folgende:

    Endweder nach § 9 Abs. 1: Dann muss man bereits vor der Kreuzung auf die Fahrbahn auffahren und sich einordnen. Anschließend biegt man normal wie ein KFZ ab.

    Oder nach Endweder nach § 9 Abs. 2: Da folgt man der Radverkehrsanlage erstmal geradeaus über die Kreuzung (und sollte dabei auch Vorfahrt haben) und quert anschließend nochmal die Fahrbahn um nach links abzubiegen (und ist dabei Wartepflichtig).

  • §10 dürfte hier aus drei Gründen nicht zur Anwendung kommen:

    1. Die Markierungen sind ziemlich vorbildlich genau so markiert, wie es in einer der Hinweise der VwV für den Übergang von benutzungspflichtigen Radverkehrsanlagen vorsieht, dabei wird es wie ein auslaufender Radstreifen behandelt und es herrscht Gleichberechtigung bzw. Reißverschlussprinzip. Ich habe das Bild vor dem geistigen Auge, aber gerade nicht zur Hand, kann ich bei Bedarf aber gerne raussuchen und nachreichen.
    2. Die Fahrbahn ist an dieser Stelle so breit, dass sich Auto und Rad auf der Vorfahrtsstraße nicht in die Quere kommen können (bei LKWs könnte es evtl knapper werden). Selbst wenn man also den Worst Case von §10 annehmen würde, könnte niemand auf der Vorfahrtsstraße behindert oder gefährdet werden.
    3. Beim Abbiegen (Geradeausfahren) hat die Vorfahrtsstraße absoluten Vorrang in jeder Hinsicht. Selbst sich darauf befindliche Fahrzeuge, die Fehler begehen, genießen das Vorfahrtsrecht. Da der Radweg eindeutig zur Straße gehört und auch keine abweichenden [Zeichen 205] zu sehen sind, ist jeder Abbieger wartepflichtig. Die markierten Linien zeigen das ja recht deutlich, dass sich der Radweg auf der abknickenden Vorfahrtsstraße befindet.

    Man könnte es natürlich noch deutlicher machen und das ganze weiter nach vorne ziehen, dann wäre es noch weniger fehleranfällig. Das geht aber wohl aufgrund der Brücke nicht so leicht. Scheint aber eh nicht benutzungspflichtig zu sein, weil an der Einbahnstraße die Beschilderung fehlt und hinten links das ganze zum Gehweg wird, oder?

  • In §10 steht nicht, dass man beim Einfahren von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn warten muss, sondern dass man dabei keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährden darf.

    Da man beim Wechsel vom "Radweg" auf den Schutzstreifen bei dieser Ausführung niemanden gefährden kann, greift §10 dort meiner Meinung nach nicht.

    Das Problem stellt sich auch gar nicht beim Wechsel auf den Schutzstreifen, sondern beim anschließenden Linksabbiegen, wenn von hinten jemand mit dem Kfz geradeaus fährt. Das sehe ich wie DMHH , dass Radfahrer schon vorher auf die Fahrbahn geführt werden sollten, damit das Reißverschlussprinzip angewandt werden kann, bevor man abbiegt.

    Radwegende direkt im Kreuzungsbereich ist Murks, weil dann zwei Verkehrssituationen gleichzeitig bewältigt werden müssen (Einfahren auf die Fahrbahn + Abbiegen).

    Eine Situation, wo §10 an einer abknickenden Vorfahrtstraße greift, ist z.B. diese hier:

    In der Straße in der gezeigten Richtung gibt es gar keinen Radweg, aber von rechts trifft ein unabhängig geführter Weg auf die Kreuzung.

    Für die Radfahrer, die von dort kommen und die §10 zu beachten haben, hat man aber eine rote Furt auf die Fahrbahn geschmiert, damit es spannend bleibt.

    Das rote Pflaster, das auf der gegenüberliegenden Seite weiter führt, war bis Anfang 2019 in beiden Richtungen mit [Zeichen 240] versehen. Jetzt ist es ein Gehweg mit roter Radwegfurt an einer Kreuzung, an der Radfahrer keine Vorfahrt haben.

    Immerhin kann man an der Kreuzung direkt ein Unfall-Gutachten bekommen.