Das Große 1x1 der Strafanzeigen

  • Immer wieder kommt es im Straßenverkehr zu Situationen, die brenzlig sind und bei denen man fassungslos, verängstigt, wütend oder hilflos dasteht.
    Und häufig kommt da der Wunsch auf, jemanden anzuzeigen.

    Ich möchte die möglichen Wege und Un-Wege etwas näher beleuchten und hoffe so, Betroffenen etwas Mut zu machen oder die größten Illusionen zu nehmen.
    Um Missverständnisse zu vermeiden: ich.bin.kein.Anwalt. :!:

    Das Folgende beruht daher auf eigenen Erfahrungen und Gesprächen mit Leuten, die damit beruflich zu tun haben.
    Wer Korrekturen anbringen möchte, möge dies bitte tun.

    Ich habe versucht, mich kurz zu fassen - aber vieles muss einfach betrachtet, erwähnt und erläutert werden.

    1) Unterscheidungen
    A) Ordnungswidrigkeit Ordnungswidrigkeiten sind so die kleinen Überschreitungen und Missachtungen der StVO.
    Falschparken, bei Rot fahren, Vorfahrt nehmen, hupen, dicht auffahren, Überholen ohne ausreichenden Seitenabstand, und was einem sonst noch so im alltäglichen Leben auf 2 Rädern begegnet.

    zum Thread mit der Ordnungswirdrigkeitenanzeige geht's hier lang.


    B) Straftat Eine Handlung ist dann strafbar, wenn sie die im Strafgesetzbuch festgeschriebenen Bedingungen erfüllt.
    (freie! Definition durch mich)
    Die Anzeige einer strafbaren Handlung kann mündlich oder schriftlich bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder dem Amtsgericht erfolgen.
    In aller Regel geht man zum nächsten/bekannten Polizeikommissariat und erklärt dem Beamten, dass man eine Anzeige stellen möchte wegen folgenden
    Sachverhaltes: ...
    Typische Stratbare Handlungen: Körperverletzung, Nötigung, Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

  • Straftanzeigen

    Im Unterschied zu einer OWi-Anzeige kann eine Strafanzeige nicht so mir-nichts-dir-nichts-hoppla-hopp eingestellt werden.
    Dass es in vielen vielen Fällen doch auf eine Einstellung hinausläuft, steht auf einem anderen Blatt. Rein rechtlich kann man sich gegen eine
    Einstellung aber zur Wehr setzen. Doch der Reihe nach.

    Eine Strafanzeige kann wie bereits oben erwähnt mündlich oder schriftlich bei Polizei, Staatsanwaltschaft oder dem Amtsgericht erfolgen.
    An dieser Stelle empfehle ich tatsächlich den Gang zum PK, da hier häufiger Strafanzeigen aufgenommen werden und bestimmte Sachverhalte erfragt werden, die man bei einer eigenständigen, schriftlichen Formulierung möglicherweise vergessen würde.

    Eine Strafanzeige kommt für Radfahrer immer dann in Betracht, wenn ein besonders gefährlicher Verstoß vorlag oder einem unumwunden mit körperlicher Gewalt gedroht wird.
    Nur ein paar Beispiele:

    • enges Überholen, hupen, anschließendes Ausbremsen
    • das berühmte "von der Straße schieben". Also nebenherfahren und dann rechts rüber ziehen und abdrängen
    • "Verpiss dich von der Straße, oder ich überfahr dich!!!!"
    • vollendete Körperverletzung durch Schläge, Tritte etc
    • Sachbeschädigung durch Anfahren/Kontakt/Unfall


    1) Vorgehen und Hinweise
    Es hat also einen Vorfall gegeben, auf Grund dessen man sich zu einer Strafanzeige entscheidet.

    a) relativ zeitnah ein PK aufsuchen
    Allerdings ist es manchmal ratsam, durchaus erst nach Hause zu fahren, um sich ggfs. zu informieren oder gleich ein eigenes kleines Gedächtnisprotokoll zu schreiben.
    Bei der Gelegenheit können auch von der möglicherweise vorhandenen ActionCam gemachte Aufnahmen gesichtet werden. Wer die
    Möglichkeit sieht, kann gerne auch nach 18:00 auf einem PK vorbeischauen, spätestens ab 20:00 ist es erfahrungsgemäß dort etwas ruhiger was Publikumsverkehr & Einsätze angeht
    Jedes PK wird eine Strafanzeige aufnehmen, unabhängig davon, wo sich der Vorfall ereignete. Aber es hilft manchmal, wenn der Beamte des zuständigen PKs die Situation vor Ort, Straßennamen, Geschäfte etc. kennt, die ein einfacheres Verständigen ermöglichen.

    b) was sollte ich mitbringen?
    - Personalausweis/Pass
    - Kennzeichen des Kfz
    - Beschreibung des Fahrers/der beteiligten Personen
    - Adressen von evtl. Zeugen
    - ca. 30-60min Freizeit, je nach Umfang der Anzeige

    c) Den Vorfall so sachlich und ausführlich wie möglich/nötig schildern
    Es kommt hier nicht auf jede Kleinigkeit an - aber viele Kleinigkeiten können wichtig sein. Der leitende Satz wird sein: "Was ist wann, wo, wie (und warum) passiert?"

    Achtung: Es ist eure Strafanzeige. Ihr unterschreibt dafür. Also lest euch durch, was der Beamte aus euren Ausführungen macht. Korrigiert, sofern nötig.
    Was weniger gut ankommt: Rechtschreibung und Interpunktion zu bemängeln. Bei grammatikalischen Fehlern kann man sich noch darauf berufen, dass
    der ein oder andere Satz mit der Wortreihenfolge einen anderen Sinn ergibt...

    Die Polizei wird einen Satz im Protokoll unterbringen, der sinngem. lautet: "stelle Strafanzeige wegen aller in Frage kommender Delikte".
    Dieser Satz sollte so oder so ähnlich unbedingt drin stehen. Das hat den Hintergrund, dass Euch und dem Polizeibeamten möglicherweise nicht klar ist, welche Straftaten sich aus dem Protokoll nun entnehmen lassen. Wäre doch "schade", wenn nur Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt würde, aber da auch noch Bedrohung und Körperverletzung drin stecken.

    Wichtig:
    Ihr erhaltet von diesem Protokoll keine Kopie und dürft euch auch selbst keine machen.
    Wer allerdings vergisst, seine ActionCam auf dem PK auszumachen, der hat unter Umständen eine Aufnahme des ausgedruckten Protokolls in der Videodatei oder darf sich daheim darüber amüsieren, wie seltsam die eigene Stimme klingt, wenn man das Protokoll im PK nochmal laut vorliest. :whistling:

    Fast(?) alle Straftaten, die einem Radfahrer widerfahren können, sind sogenannte Antragsdelikte. Dies bedeutet, die Staatsanwaltschaft wird erst Ermittlungen aufnehmen, wenn ein Strafantrag gestellt wird. Diesen Strafantrag wird euch der Polizeibeamte vorlegen. Unterschreiben!

    Das war es bis dahin. Mehr könnt ihr jetzt nicht machen. Nun heißt es abwarten.

    2) weiterer Ablauf
    a) Einstellung
    Die Polizei wird die Strafanzeige + Strafantrag an die zuständige Staatsanwaltschaft leiten.
    Dort werden die meisten Strafanzeigen die den Bereich "Straßenverkehr" betreffen, gleich wieder eingestellt.
    Im Unterschied zu einer OWi-Anzeige gibt es hier jedoch Post von der Staatsanwaltschaft mit einer Begründung der Einstellung.

    Und der Einstellungsbegründungstextbaustein lautet hier in Hamburg:
    [finde gerade meinen §§-Ordner nicht. Ich trage das später nach. Daher sinngem.:] Einstellung nach §153 StPO, da kein öffentliches Interesse vorliegt und die Schuld des Täters als gering anzusehen ist. Sowie Einstellung nach §170 StPO. Da schiebt die Staatsanwaltschaft gerne vor, dass nach vorliegenden Aussagen keiner Partei mehr Glauben geschenkt
    werden könne als der anderen. Eine Verurteilung nicht erfolgen wird und das Verfahren damit quasi wegen mangelnder Erfolgsaussicht eingestellt wird.

    Es folgt eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach man binnen 14 Tagen bei der Generalstaatsanwaltschaft Beschwerde gegen den Bescheid (also die Einstellung des Verfahrens) einlegen kann. Sollten zwischenzeitlich keine neuen Videobeweise, Zeugenaussagen etc. auftauchen, kann man sich entweder die Arbeit sparen oder die Beamten am Amtsgericht nerven.

    Um ehrlich zu sein: eine "Gefährdung im Straßenverkehr" und ähnliches hat wenig Aussichten auf Klageerfolg. Interessant wird es bei Strafsachen wie Körperverletzung und Beleidigung.
    Lustigerweise scheint die Hemmschwelle, ein solches Verfahren einzustellen, deutlich höher zu sein. Da bekommt man an einer Stelle einen Einstellungsbescheid zu einer Anzeige, obwohl man fast abgeschossen wurde, weil der Fahrer so eng überholt, dass man den Kontakt Auto-Fahrrad mitbekommt. An anderer Stelle wird ein Verfahren angestrebt, weil der Fahrer lautstark kundtut, dass er den Radfahrer jetzt überfahren wird.

    Tja. Das eine ist eine "Unachtsamkeit". Das andere ist tatsächlich Körperverletzung. Denn auch das begründete Fürchten um die körperliche Unversehrtheit, sein Leben gar, kann den Tatbestand der vollendeten Körperverletzung erfüllen. Vielleicht bei Aufgabe der Strafanzeige berücksichtigen. :)

    Sollte es zu einem Strafverfahren kommen, gilt auch wie bei einem OWi-Verfahren:
    - ihr seid als Zeuge geladen
    - der Arbeitgeber muss euch in aller Regel freistellen
    - Verdienstausfall und Fahrtkosten werden von der Landesjustizkasse beglichen

    b) ich will aber unbedingt klagen!
    da hilft dann nur der Weg zum Rechtsanwalt. Denn nach der Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft und deren Abweisung der Beschwerde, ist ohne Rechtsbeistand hier Schicht im Schacht. Klageerzwingungsverfahren bedürfen zwingend eines Rechtsanwaltes. Und mal ehrlich: die Erfolgsaussichten sind nicht so wahnsinnig rosig. Wenn man dann auch bedenkt, dass selbst bei Verurteilung des Beschuldigten in aller Regel nur relativ milde Strafen ausgesprochen werden, sollte man sich wohl überlegen, hier Geld für einen RA locker zu machen.
    Und: eine Rechtsschutzversicherung zahlt - soweit mir bekannt - keine Honorare bei Klageerzwingungsverfahren.

    Fazit:
    Ich möchte niemanden davon abbringen, eine Strafanzeige zu stellen. Steht der Verdacht auf Körperverletzung im Raum, würde ich in jedem Fall dazu
    raten. Egal, ob der Autofahrer den Baseballschläger aus dem Kofferraum holt, er nur eine Backpfeife austeilt oder damit droht, euch zu überfahren.
    Wer "nur" eng überholt oder geschnitten wurde, der sollte eher über Anzeige wegen einer Ordnungswidrigkeit nachdenken.

  • Gegebenenfalls kann man in der Strafanzeige bzw. der Einstellungsbeschwerde auch die höfliche Bitte einfliessen lassen, eine Kopie des Vorgangs an die Fahrerlaubnisbehörde weiterzuleiten, da begründete Zweifel an der charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen.

    Schaden kann es nach meiner Meinung auch nicht, die üblichen Textbausteine zur Einstellung des Verfahrens schon präventiv etwas zu entkräften - etwa indem man begründet, warum die Nichtahndung dieses Vorfalles gegen öffentliches Interesse verstoßen würde (Wahrung des Rechtsfriedens, Hinweis darauf, dass die Gesellschaft Agressionsdelikte im Straßenverkehr nicht akzeptieren dürfe, Hinweis darauf, dass laut der Polizeigewerkschaft 1/3 aller Unfälle durch aggressives Verhalten verursacht wird). Darauf hinweisen, dass sich der äter bei Nichtahndung in seinem Verhalten bestätigt fühlen wird, daraus resultiert Wiederholungsgefahr!

  • das mit dem Weiterleiten an die für Fahrerlaubnis zuständigen Behörden wird nicht passieren.
    Dies würde bedeuten, dass auch nicht verfolgte, eingestellte oder "unschuldig" abgeurteilte Fahrzeugführer irgendwelche Schriftsätze zu ihrer Person bei einer 3. Behörde vorliegen hätten. Meiner Meinung nach würde das gegen das rechtsstaatliche Prinzip verstoßen.
    Anders gesprochen: wenn mein Fahrrad ein Kennzeichen hätte und jeder Affe eine Anzeige gegen mich stellt, weil ich durch Fahren auf der Fahrbahn den Verkehr behindert hätte und jedem einen Stinkefinger zeigen würde - soll das auch der Führerscheinstelle mitgeteilt werden?
    Bekomm ich dann Post von denen, dass mein Führerschein eingezogen wird, weil zu viele Anzeigen gegen mich gestellt wurden? 8)

  • Strafanzeigen gegen Taxifahrer können in Hamburg durch eine parallele Beschwerde bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt "ergänzt" werden.

    Die sind für die Lizenzen zuständig...

  • Hm, in Bayern scheint es keine Rechtsbehelfsbelehrung mehr zu brauchen. Dort kommt einfach nur die Mitteilung über die Verfahrenseinstellung.

    Ist nur Konsequent: bei Bescheiden zu Benutzungspflichten gibt es hier auch keine mehr.

  • so, gerade mal eine Strafanzeige bei der "Online-Wache" aufgegeben.
    Am Ende bekommt man den ganzen Sermon, den man da eingegeben hat (wer-wann-wo-Schilderung des Vorfalls) nochmal übersichtlich zusammengefasst.
    Und einen Hinweis, dass man in den nächsten Tagen kontaktiert wird.

    Ich ahne ja, woran es hapern wird: die Strafanzeige muss unterschrieben werden. Da (mir) das online so nicht möglich ist, wird es wohl darauf hinauslaufen, dass ich den Kram morgen ausdrucken, unterschreiben und postalisch an den "Kriminal-Dauerdienst" schicken darf.
    Es hätte mir vorher klar sein sollen. Wär ich doch bloß auf einen Plausch zum PK31 rübergeradelt... X/

    Hätte unterm Strich auch nicht länger gedauert. ||

    Mal gucken, was mir der/die nette Mitarbeiter_in morgen am Telefon erzählt, wie das jetzt weiterläuft.

    Dokumentierte Schimpftirade mit Beleidigungen unterster Schublade. Bin ja mal gespannt, ob ich da auch sofort stante pede den Einstellungsbescheid erhalte. Wenn ja, dann ist das der ultimative Freibrief, pöbelnd durch die Gegend zu ziehen. Nicht, dass ich das dann endlich mal machen würde - aber selbst wenn mir mal mehr als ein "aaaaalter!!!" oder "Rad ab!?!" über die Lippen käme, bräucht ich mir fortan wohl wenig Sorgen machen :)

    Na mal gucken.

  • [...] Ich ahne ja, woran es hapern wird: die Strafanzeige muss unterschrieben werden. Da (mir) das online so nicht möglich ist, wird es wohl darauf hinauslaufen, dass ich den Kram morgen ausdrucken, unterschreiben und postalisch an den "Kriminal-Dauerdienst" schicken darf.[...]

    Zumindest für Frankfurt bzw. Hessen kann ich das so nicht bestätigen:
    Nachdem ich vor ca. zwei Jahren mal eine Anzeige online gestellt habe, wurde ich nach wenigen Wochen von der zuständigen Polizeiwache telefonisch kontaktiert und gebeten, zwecks mündlicher Aussage vorbeizukommen. Bei diesem Termin wurden ein paar ergänzende Fragen zu meiner Anzeige gestellt. Bei der Gelegenheit habe ich dann auch meine Unterschrift hinterlassen. Ich schätze, dass es in Hamburg ähnlich läuft.

    Das Leben ist wie ein Fahrrad. Man muß sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. - Albert Einstein

  • tjaja - auch wenn viele Hamburger (und ich manchmal auch) nicht so wahnsinnig begeistert von der Arbeit einiger Polizisten sind:

    gerade (8:30 Uhr) klingelt mein Telefon im Büro. Polizei Hamburg, PK31. :)
    Die Online-Anzeige ist eingegangen. Es ist jedoch nötig, dass die Anzeige unterschrieben wird (dachte ich mir). Und das Video des Vorfalls soll auf CD mitgeschickt werden.

    Interessanterweise kam im Gespräch die These auf: "ja, Bleidigung... Als ich das gelesen hatte, dachte ich erst, dass der Radfahrer vorher selbst etwas gemacht hat. Stinkefinger oder ähnliches. Aber bei [ihre Berufsgruppe1], geh ich mal nicht davon aus."

    wtf? 8|
    haste den "richtigen" Arbeitgeber, wird das verfolgt - bist du Klempner bei Fa. Röhrich, wird das pauschal als "haben bestimmt beide beleidigt" abgestempelt?

    Bin ja mal gespannt, wann die Gegenanzeige kommt. Der Typ fuhr einen Luxusschlitten und hat den bestimmt nicht ausgeliehen. :whistling:

    1 also... meine Berufsgruppe

  • Herrlich! Was bitte bringt eine Online-Anzeige, wenn man dann doch für eine Unterschrift vorbei muss? :(
    Oder geht das nur mit diesem neuen E-Perso? ;)
    Und CD ist ja auch Steinzeit. Das kann man bei der Online Anzeige nicht uploaden? :/
    Moderne Rechner haben doch oft schon gar kein CD-Laufwerk mehr! :D

    --
    [Zeichen 244] sike tu li ilo tawa li pona! [Zeichen 244]