*Radfahrer frei* auf Gehwegen - welche Tempovorgaben gelten?

  • Moin

    Malte hatte an einer Stelle die ich nicht wiederfinde, geschrieben auf für den Radverkehr freigegebenen Fusswegen würde generell Schrittgeschwindigkeit gelten.
    Ich erinnere mich wohl, daß es genau hierum bei der Änderung vor wenigen Jahren eine langanhaltende Diskussion um die Wirkung eines im Gesetzestext gesetzten Semikolons gab, wie die Tempovorgabe nun tatsächlich zu verstehen ist. Generell Schrittgeschwindigkeit, oder nur dort wo Fahrrad auf Fussgänger trifft?
    Weiß jemand ob dieser strittiger Punkt inzwischen offiziell geklärt worden ist, oder ob einem das weiterhin als wie_es_einem_in_den_Kram_passt Auslegungssache selber überlassen bleibt?

    Die Sache ist mir wieder in den Sinn gekommen, nachdem ich heute im Propagandablatt las, man wolle auf einem Abschnitt den Fussweg für Radfahrer freigeben, weil man auf der Straße noch eine "Lücke" beim Rad/alibistreifen habe und manche Leute sich dann ja so unsicher fühlen würden. Sollte ich es mal schaffen nen Leserbrief zu schreiben, wäre es gut wenn ich dann klarer Bezug auf die Fusswegproblematik für Radfahrende nehmen könnte.

    PS: Über Alibistreifen möchte ich jezt nicht diskutieren.

  • Also es geht um diesen Teil der Anlage 2 zur StVO:
    Erläuterung "Ge- und Verbote" zu Zeichen 239 "Gehweg" [Zeichen 239]

    Zitat

    2. Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung eines Gehwegs für eine andere Verkehrsart erlaubt, muss diese auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten; er darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.


    Ohne hier als Sprachwissenschaftler auftreten zu wollen, sehe ich keine Relation des Satzteils nach dem Semikolon zu der Bedingung "Wenn nötig" im ersten Satzteil. Funktionell ist ein ";" für mich wie ein Punkt. Ich lese da unmissverständlich, dass der Fahrverkehr ("er") Schrittgeschwindigkeit fahren muss.

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • Zitat von Zeichen 239

    Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung eines Gehwegs für eine andere Verkehrsart erlaubt, muss diese auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten; er darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.

    Ich lese es so, dass das Semikolon hier die schwächere Bindungskraft hat. Du könntest das Semikolon zu einem Punkt ändern, es würde dasselbe bedeuten: Selbst wenn weit und breit kein Fußgänger zu sehen ist, und auch mit keinem zu rechnen ist, darf man nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.

    Wenn man höhere Geschwindigkeiten generell zuließe, dann kann der schnelle Radfahrer beim Unfall immer behaupten, er habe den Fußgänger zu spät bemerkt oder wäre davon ausgegangen, dass ausreichend Platz ist. Mit der Argumentation fährt der Radfahrer aber generell schneller und der Schutz der Fußgänger, der mit dieser Vorschrift bezweckt wird, kann nicht mehr erreicht werden.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Wenn auf für Radfahrer freigegebenen Fußwegen generell Schrittgeschwindigkeit gilt, gilt das dann auch in freigegeben Fußgängerzonen? Denn das sind ja schließlich nur "große Fußwege". Warum fordern dann aber viele die Freigabe eben dieser Zonen für Radfahrer, wenn sich diese dort eh nicht schneller als zu Fuß fortbewegen dürfen? Kann ja dann keinen Unterschied machen, ob ich absteige und schiebe oder im Schritttempo vor mich hin bleiere.

  • Funktionell ist ein ";" für mich wie ein Punkt.

    Ja, für Dich, für viele Andere auch. Ich erinnere mich aber eben an Diskussionen, wo es Leute gab für das das eben nicht so eindeutig war und wenn ich mich richtig erinnere, wurde diese Diskussion auch auf ADFC Seite geführt.
    Ja, es spricht da wohl mehr dafür wie Du und auch Gerhart es erklären, aber meine Frage ist, gibt es dazu eben auch eine eindeutige Stellungnahme?

    Und dann taucht natürlich auch wieder die "beliebte" Frage auf, wie schnell ist Schrittgeschwindigkeit. Diejenigen die die Raserei auf den Straßen begleiten, die Rennleitung, versteht Schrittgeschwindigkeit ja gerne als zweistellig schnell und mitunter halten sie gar 30km/h für nicht zu schnell. Bei Kraftfahrzeugen!

    Wie auch immer, für einen Leserbrief reicht das wohl aus: Gehweg mit Radfahfer frei = laaaaaangsaaaaaaaam (Scharpingtempo) = kann man auch direkt schieben.
    Danke.

  • Ja, gilt auch in Fußgängerzonen.
    Ich finde sitzen bequemer als laufen. Auch wenn's nicht schneller ist.

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • Ja, für Dich, für viele Andere auch. Ich erinnere mich aber eben an Diskussionen, wo es Leute gab für das das eben nicht so eindeutig war

    Hättest du mal ein Beispiel? Mich würden die Argumente für die andere Interpretation interessieren.

    Ich sehe einen Gehweg als Schutzraum für die schwächsten Verkehrsteilnehmer, die Fußgänger. Deshalb ist der Fahrverkehr die Ausnahme und es kann ihm zugemutet werde, immer langsam zu fahren. Auch, weil keiner mit schnellen VT hier rechnen muss. Dafür ist die Fahrbahn da.

    Wenn man (im Leserbrief) gegen den Lückenschluss über den Gehweg argumentieren will, sollte man auch beim Fußgängerschutz ansetzen und nicht unbedingt beim Zeitverlust der Radler. Die, die den Gehweg beradeln, vertritt man mit der Leserbriefmeinung sowieso nicht.

  • Die Begründung dazu lautet:

    Zitat

    Aus der "Schilderwaldnovelle" nicht übernommen wird allerdings das Fehlen einer konkreten Höchstgeschwindigkeit auf Fußgängerverkehrsflächen, wenn andere Verkehrsarten dort zugelassen werden. Eine fehlende Geschwindigkeitsvorgabe wäre der Verkehrssicherheit dieser schwächsten Verkehrsteilnehmer abträglich. Bund und Länder lehnen aus Gründen der Verkehrssicherheit bislang auch "Flanierzonen nach Schweizer Vorbild" ab, die mit einem Vortrittsrecht der Fußgänger bei einer höchstzulässigen Geschwindigkeit für den Fahrverkehr von 20 km/h einhergehen. Daher wird für Fußgängerverkehrsflächen an der Schrittgeschwindigkeit festgehalten. Dort ist in der Regel mit einem plötzlichen Heraustreten aus Häusern, Geschäften, Lokalen etc. zu rechnen, ist Raum für den kommunikativen Gemeingebrauch, darüber hinaus lässt der (Ausbau-) Zustand dieser Verkehrsflächen (oftmals Kopfsteinpflaster, Blumenkübel, Werbetafeln/Möblierung etc.) höhere Geschwindigkeiten als Schrittgeschwindigkeit in der Regel nicht zu. Auch Sport und Spiel ist dort zulässig. Die Festlegung der Schrittgeschwindigkeit ist daher nach wie vor allgemein geboten.


    Es ist also tatsächlich so gewollt, dass Radfahrer auf freigegebenen Gehwegen und in freigegebenen Fußgängerzonen generell mit Schrittgeschwindigkeit fahren müssen.

    … womit man wieder bei der Frage ist, warum man den nicht fahrbahnbegeisterten Radfahrern diesen Käse überhaupt anbietet. Auch kurze Abschnitte von 50 Metern fährt kein normaler Radfahrer mit Schrittgeschwindigkeit — wer fährt denn beispielsweise diese kilometerlangen freigegebenen Gehwege im nördlichen Niedersachsen mit Schrittgeschwindigkeit?

  • Ja, gilt auch in Fußgängerzonen.

    Ich habe eben im Kettler (3.Aufl.) nachgeschaut und zu Fussgängerzone findet sich nichts, bis auf die spannende Ausführung zu Rädern die als reines Sportgerät ausgeführt sind (was mag das genau bedeuten?), welche dann nicht mehr als Fahrrad gelten und damit anderen Regeln (denen für Fussgänger) unterliegen.

    In der Fuzo ist Radfahrern nur erlaubt, wenn es ausdrücklich freigegeben worden ist.

    Kleiner Ausweg ist das Rollern, wobei es da wohl bereits spitzfindige Gerichte gegeben hat, die zwischen linken und rechtem Fuss auf dem Pedal unterschieden haben und das eine als Rollern anerkannten, daß andere als Beginn des aufsteigens und damit Radfahrens.


    Widersprüchliches? Ja, die StVO ist relativ gut voll mit Widersprüchen. Aber die Maut ist wichtiger, als sich mal mit der Aufarbeitung von Widersprüchlichem zu befassen.

  • Funktionell ist ein ";" für mich wie ein Punkt.

    Also von der Theorie her bewirkt ein Semikolon eine stärkere Trennung als ein Komma, aber eine schwächere als ein Punkt.

    Wikipedia hat noch zwei interessante Beispiele, in denen die Einzelteile ziemlich eng zusammen hängen.

    • Er kam nach Hause; seine Frau war noch nicht da.
    • Zum Nachtisch gab es Äpfel, Bananen und Kirschen; rote Grütze und Vanillecreme; Plätzchen, Kuchen und Törtchen.

    Mit den Beispielen würde ich sagen, dass Radfahrer laut Gesetzestext nur bei Anwesenheit von Fußgängern Schritt fahren müssen.

    Die Begründung von Malte deutet in die andere Richtung.

    Fazit: Man weiß es einfach nicht.

  • Einen Verweis auf Jahre zurückliegende Diskussionen habe ich nicht zur Hand. Nur meine Erinnerung und ich gehöre (leider) zu den Menschen, die sich mit dem Vergessen recht schwer tun (es sei denn es geht um Formeln und Physikalische Chemie oder Spanisch).

    Ich sehe einen Gehweg als Schutzraum für die schwächsten Verkehrsteilnehmer, die Fußgänger. Deshalb ist der Fahrverkehr die Ausnahme und es kann ihm zugemutet werde, immer langsam zu fahren. Auch, weil keiner mit schnellen VT hier rechnen muss. Dafür ist die Fahrbahn da.

    Das sehe ich auch so. Fusswege sind für Fussgänger da und ja, Rücksicht auf Fussgänger ist extrem wichtig.

    Andererseits ist für Menschen die von sich aus Rücksicht kennen, das Wort sogar buchstabieren können und eben auch mit Hirn, also sinnvoll anwenden, nicht verständlich weshalb sie dort wo keine Fussgänger sind, eben nur Schrittgeschwindigkeit fahren sollen. Wobei ich auf solchen Wegen eben auch nicht so flott fahren würde, wie vergleichsweise auf einem normalen (= halbgaren) Radweg. Das auch aus der Distanz sichtbare Verhalten ist mir auch wichtig, was Toleranz wie eben gegenüber Fussgänger angeht.

    Mir ist natürlich klar, daß es auch massig Leute gibt, die über sowas erst gar nicht nachdenken und sich mit dem Rad auf Gehwegen eben total anders verhalten. Ich sehe sie jeden Tag. Daher ist es schwer mit Gesundem Menschenverstand zu argumentieren, um für sich einen Freiraum zu rechtfertigen.

    Problematisch finde ich aber den Umgang mit diesem "Radfahrer frei" für an sich reine Gehwege, da den ALLERMEISTEN nicht klar ist, wie sie sich dort zu verhalten haben. Hier wird so gut wie gar nicht durch Behörden aufgeklärt, was in vielfacher Weise fatal wirkt.

    Und erzieherische Gefährdungsautofahrer halten solche Freigaben ja leider auch für Radwege und es gibt ja sogar Uniformierte, die mit solcherlei Fehlwissen prall glänzen.
    Ein freigegebener Fussweg ist aber kein Ersatz für einen Radweg, sondern taugt nur für wenige ohnehin langsam fahrende Nutzergruppen und stellt in seiner Gesamtheit ein Armutszeugnis dar. Radwwege werden entschildert, dafür werden Gehwege "freigegeben" und alte Probleme, anstatt sie aufzulösen, auf ein anderes Terrain verlagert, wo alte Konflikte neu entstehen, jedoch mit einer Nutzergruppe (Fussgänger) mehr denn vorher. Toller Trick.

    Was kommt eigentlich vom ADFC dazu? Ach ne, die üben sich im Kochen von Kosnenssoße, ich vergaß.

  • Mit den Beispielen würde ich sagen, dass Radfahrer laut Gesetzestext nur bei Anwesenheit von Fußgängern Schritt fahren müssen.

    Beide Beispiele passen vorne und hinten nicht zu dem Konditionalsatz aus der StVO.

    Die Begründung von Malte deutet in die andere Richtung.
    Fazit: Man weiß es einfach nicht.

    Die Begründung von Malte ist die offizielle Begründung des Gesetzgebers zum Regelungswillen dieser Vorschrift.
    Fazit: jetzt weiß man es klar!

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • Wenn auf für Radfahrer freigegebenen Fußwegen generell Schrittgeschwindigkeit gilt, gilt das dann auch in freigegeben Fußgängerzonen?

    Ja. Hier gelten die gleichen Regeln.
    Anlage 2 der StVO. Erläuterung der "Ge- und Verbote" zu Zeichen 242.1 ("Fußgängerzone") [Zeichen 242] :

    Zitat

    2. Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung einer Fußgängerzone für eine andere Verkehrsart erlaubt, dann gilt für den Fahrverkehr Nummer 2 zu Zeichen 239 entsprechend.

    Also siehe oben.

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • Die Begründung von Malte ist die offizielle Begründung des Gesetzgebers zum Regelungswillen dieser Vorschrift.
    Fazit: jetzt weiß man es klar!

    Man weiß es erst wirklich, wenn es höchstrichterliche Urteile zu dem Thema gibt. Im Endeffekt können sich die Richter aussuchen, welcher Interpretation sie folgen.
    So eine höchstrichterliche Klärung gibt es aber wohl erst, wenn es mal ohne Unfall und Fußgänger ein Knöllchen gab und die Sache ausgefochten wird.
    Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass das in absehbarer Zeit passiert.

  • Sondern? Wenn du einsiehst, daß es eben nicht, wie man so schön sagt, wasserdicht klar ist und es also zwei Möglichkeiten gibt es jeweils "richtig" zu deuten, dann ist das letztlich eben so wie ich in sprachlich übertriebener Form auch meinte: Eine Auslegungssache wie es einem dann gerade in den Kram passt. Vielleicht passt mir mal die eine Sichtweise und ein andermal die andere Auslegung. Und ein Gericht kann es ebenso halten.

    Toll.

  • Mir genügt, wenn ich zu einem potenziell nicht völlig klaren Satz eine Begründung des Gesetzgebers habe, was da wie geregelt werden sollte. Solange sich der tatsächlich in der Verordnung enthaltene Satz nicht grob beißt mit dem vorgeblichen Regelungswillen. Aber hier passt beides zusammen, ist höchstens sprachlich nicht besonders gelungen.
    Die Chance, dass dann ein Richter abweichend urteilt, wäre mir zu gering, um darauf irgendwas aufzubauen - geschweige denn eine Verteidigungsstrategie.
    Ein höchstrichterliches Urteil wird es vermutlich nie dazu geben, weil der Verstoß so günstig ist, dass kein Mensch ein Verfahren über diese Frage führen wird, solange er noch halbwegs bei Verstand ist.

    Twitter: @Nbg_steigt_ab