Europäische Union schwächt Fahrgastrechte

  • Die Europäische Union hat eine Reform der Fahrgastrechte im Personenschienenverkehr beschlossen: EU schafft Entschädigung für Zugverspätungen bei höherer Gewalt ab

    Fahrgäste können zukünftig keine Fahrgastrechte mehr geltend machen, wenn Verspätungen oder Zugausfälle von höherer Gewalt verursacht werden. Namentlich soll es um „extreme Wetterbedingungen, große Naturkatastrophen oder große Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit“ gehen.

    Und woher kommt diese Idee? Laut dem SPIEGEL-Bericht vom Bundesautominister Andreas Scheuer.

    Nun ist natürlich nicht alles schlecht, es soll beispielsweise in einigen Jahren in jedem Zug ein Fahrradabteil geben — wie auch immer das auf nationaler oder regionaler Ebene funktionieren soll. Vermutlich ist „in einigen Jahren“ ein recht dehnbarer Begriff, ich sehe jedenfalls noch nicht, dass die Deutsche Bahn etwa im ICE 2 oder ICE 3 noch Fahrradabteile nachrüsten will. In der ICE-1-Resterampe, bei der kürzere Züge mit sieben oder neun statt zwölf Wagen aus noch funktionstüchtigen Wagen zusammengestellt werden sollen (beispielsweise ICE 924), kann ich mir einen Umbau schon eher vorstellen.

    Wenn ich in mein streng geführtes Fahrtenbuch schaue, sind ungefähr 75 Prozent meiner Entschädigungsansprüche von so genannter höherer Gewalt verursacht: Zwischen Hamburg und Elmshorn fällt ein Baum auf die Gleise und der Zugverkehr wird für einige Stunden, wenn nicht gar für den Rest des Tages eingestellt. Und der Witz an der ganzen Sache ist bislang und wird auch künftig sein, dass dazu gar kein Unwetter nötig war, das in irgendeiner Form vergleichbar war mit der Schneekatastrophe, mit der der SPIEGEL-Artikel beginnt. Manchmal genügte ein kurzer Regenschauer mit Windstärke 4 und schon hängt ein morscher Baum in der Oberleitung. Das mag zwar irgendwie höhere Gewalt sein, aber irgendwie denke ich mir: Wenigstens die kränkesten Bäume — und davon haben wir ja leider mittlerweile eine ganze Menge — könnte die Bahn mal wegschneiden, bevor sie im Fahrdraht zappeln.

    Ich sehe das auch ein bisschen wie der Bundesverband der Verbraucherzentralen: Womöglich sind auch spielende Kinder oder Betrunkene im Gleisbett, Notarzteinsätze im Zug, eine Bombendrohung, Polizeieinsätze oder der morgendliche Stau in Hamburg-Dammtor höhere Gewalt, für die niemand verantwortlich sein möchte. Und ich seh’s auch ein, dass die Bahn nur bedingt verhindern kann, dass jemand das Gleisbett mit dem echten Bett verwechselt und sich nach einer durchzechten Nacht auf Gleis 7 im Hamburger Hauptbahnhof zur Ruhe begibt.

    Im Endeffekt bedeutet das aber, dass ich zwar eine Fahrkarte habe, im Zweifelsfall aber noch mal aus eigener Tasche fürs Taxi oder andere Beförderungsmöglichkeiten ans Ziel zahle. Fahrgastfreundlich ist das nicht unbedingt.

  • Im Endeffekt bedeutet das aber, dass ich zwar eine Fahrkarte habe, im Zweifelsfall aber noch mal aus eigener Tasche fürs Taxi oder andere Beförderungsmöglichkeiten ans Ziel zahle. Fahrgastfreundlich ist das nicht unbedingt.

    Ich hätte den Artikel so verstanden, dass es keine Fahrpreiserstattung bei Verspätung durch höhere Gewalt gibt.

    Von "sehen sie selbst zu, wie sie ans Ziel kommen", lese ich so nichts und würde weiterhin davon ausgehen, dass die Bahn bei Streckensperrungen etc. Taxigutscheine ausgibt oder dich auf alternative Verbindungen hinweist oder dir zur Not eine Übernachtung im Hotel zahlt.

    :/

  • Ich habe gerade erst eine Bahnfahrt mit langer Verspätung hinter mir und habe ein gewisses Maß an Verständnis für das Problem der Bahn.

    Ich verlinke den Grund der Verspätung mal hier: Kindermord in Solingen . Für die Schnellleser: Eine Mutter hat damals scheinbar 5 ihrer Kinder getötet, und danach versuch sich selbst vor die S-Bahn zu werfen. Wegen des "Notarzteinsatzes im Gleis" war die Verbindung Köln-Frankfurt gesperrt. Umfahrung geht dann am Rhein entlang und über Mainz - das dauert etwas länger (eine Stunde, 55 Minuten - wie sie das knapp unter 2 Stunden schaffen war mir auch ein Rätsel).

    Und ganz ehrlich: natürlich nehme ich die 50€, aber für so etwas kann die Bahn nichts. Die Verspätung, die sie durch "Zug nicht rechtzeitig bereit gestellt", "Gleiskörper nicht gewartet", "Personal nicht bereitgestellt" verursachen - dafür sollen sie bluten.

    Dass bitte gefälligst ein alternativer Service schnell gestellt werden muss wäre mir gesetzlich wichtiger gewesen. Müssen sie halt Busse vorhalten.

  • Ich hätte den Artikel so verstanden, dass es keine Fahrpreiserstattung bei Verspätung durch höhere Gewalt gibt.

    Von "sehen sie selbst zu, wie sie ans Ziel kommen", lese ich so nichts und würde weiterhin davon ausgehen, dass die Bahn bei Streckensperrungen etc. Taxigutscheine ausgibt oder dich auf alternative Verbindungen hinweist oder dir zur Not eine Übernachtung im Hotel zahlt.

    :/

    Naja, was dann passiert, haben wir beide ja schon hinreichend oft erlebt.

    Wenn wieder mal der obligatorische Baum zwischen Pinneberg und Elmshorn in der Oberleitung abhängt, dann ist ja erstmal die Strecke stundenlang gesperrt. Fahrgäste sollen dann erstmal mit der S-Bahn bis Pinneberg fahren, von dort aus würde dann ein Schienenersatzverkehr bis Elmshorn bereitgestellt. Die Kapazität des Schienenersatzverkehrs genügt aber nicht im Ansatz dem Andrang der Fahrgäste, mitunter pendeln dort zwei (!) Reisebusse, die dann die Fahrgäste von sechs Regionalbahnen und einem Fernverkehrszug pro Stunde und Richtung aufnehmen sollen. Da können also locker mal fünftausend Fahrgäste pro Stunde nach Hause wollen, die kriegt man niemals mit Bussen und Taxis wegtransportiert.

    In der Regel bildet sich dann eine riesige Schlange an Kraftfahrzeugen in Pinneberg, mit denen Partner, Freunde oder Kollegen die Fahrgäste einzeln nach Hause transportieren. Für diese Fahrt entstehen die üblichen Kosten für den Betrieb eines Kraftfahrzeuges, die sich im nicht nennenswerten Bereich bewegen, wenn es nur um ein paar Kilometer geht, aber doch ins Geld gehen, wenn mal jemand bis nach Kiel gebracht werden muss — ganz zu schweigen von weiteren Belastungen, etwa Verdienstausfall oder zu leistenden Überstunden oder verpassten Terminen und so weiter und so fort.

    Nach zweieinhalb Jahren Pendeln halte ich das Bereitstellen des Schienenersatzverkehrs eher für eine Beruhigungspille im Sinne von „wir tun, was wir können“. Mir ist klar, das nicht an jedem Bahnhof zehn Doppeldecker-Reisebusse mit laufendem Motor warten können, um im Fall der Fälle einen Schienenersatzverkehr zu leisten. Aber es ist eben absolut witzlos, angesichts dieser Gesamtumstände die übliche Umleitung über Bad Segeberg oder Lübeck anzupreisen, wenn dort ein (!) Bummel-LINT 41 eingesetzt wird.

    Mit den nun beschlossenen Fahrgastrechten ist der Fahrgast im Zweifelsfall der Dumme, obwohl politische Versäumnisse in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu diesen ganzen Umständen geführt haben — auf Ausweichstrecken stumpf einen einzigen LINT fahren zu lassen, ist in Zeiten der so genannten Verkehrswende ohnehin keine gute Idee (die Nordbahn hat nach meiner Kenntnis übrigens nur drei LINT 41, mit denen die Strecken von Bad Oldesloe über Neumünster, Heide bis Büsum bestritten werden, wenn da einer kaputt geht, wird’s noch enger) und schon gar nicht, wenn diese Strecken ständig als Umleitung angespriesen werden.

    Wenn die Politik die Bahn von der Entschädigungspflicht für den im Fahrdraht zappelnden Baum befreien möchte, kann sie sich ja Bitteschön andere Lösungen überlegen. Sogar ich bin dann bereit, Baumfällungen zuzustimmen — macht ja momentan eh nichts mehr aus angesichts der Waldflächen, die wir für Autobahnen und Gewerbegebiete vernichten. Oder es müssen Gleise, Weichen und Fahrdraht her und dann fahren die Züge statt über Elmshorn eben über Bad Oldesloe. Oder es wird bei der Bestellung künftiger Züge darauf geachtet, im Zweifelsfall eine Doppeltraktion Diesellokomotive davorspannen zu können, die den Zug über die Ausweichstrecken ans Ziel bringt.

    Aber ich bin als Fahrgast nicht gewillt, diese politischen Versäumnisse als mein persönliches Pech hinzunehmen.

  • so sehr ich deinen Zorn auf die bescheidene Infrastruktur (rollend und liegend) im Norden nachvollziehen kann - es ändert sich also de facto recht wenig für dich und andere Pendler. Weder zum Positiven noch zum Negativen.

    Der Schienenersatzverkehr bleibt der Flaschenhals. Die Bahn ist weiterhin für das Verbringen der Reisenden von A nach Z verantwortlich.

    Nur 50% des Ticketpreises gibt es nicht zurück.

    Wie viel EUR gibts eigentlich momentan bei Verspätung, wenn man mit BC100 oder Pendlerticket unterwegs ist? :/


    Wenn ich mich recht entsinne, wollte die DB nach den letzten Stürmen (Frühjahr? Herbst?) doch eigentlich nochmal mit dem eisernen Bes.. äh.. mit der eisernen Säge die Strecken abgehen und Abstände vergrößern. Und irgendwo (dbmobil?) meine ich auch, einen dieser blöden "die KI wirds richten!!!"-Artikel gelesen zu haben, wonach mit Daten "aus dem Weltraum" eine Analyse zu gefährdeten Streckenabschnitten bzw. teilweise sogar Einzelbäumen gemacht werden soll. Irgendein Startup steht da schon in den Löchern und freut sich auf den Externalisierungswahn der DB. ...

    ah, gefunden:

    https://www.deutschebahn.com/de/Digitalisie…/LiveEO-3468220

    Wird im Endeffekt irgendwas mit Höhenbestimmung durch Mikrowellen sein, die dann mit örtlichen Daten verschnitten (Gleislage, Differenz zu DGM, Siedlungsgebiete etc) werden, um Baumhöhen bzw. Solitäre zu ermitteln (zu errechnen). hm.

    KI! Startup! Weltraum!

    Erinnert mich an die Verkehrspfosten der CDU und anderer Parteien, die immer "intelligente Ampeln" fordern.

    Narf!

  • so sehr ich deinen Zorn auf die bescheidene Infrastruktur (rollend und liegend) im Norden nachvollziehen kann - es ändert sich also de facto recht wenig für dich und andere Pendler. Weder zum Positiven noch zum Negativen.

    Der Schienenersatzverkehr bleibt der Flaschenhals. Die Bahn ist weiterhin für das Verbringen der Reisenden von A nach Z verantwortlich.

    Nur 50% des Ticketpreises gibt es nicht zurück.

    Und damit ändert sich eben doch was: Ich kann entweder stundenlang am Bahnhof warten, bis der Betrieb wieder aufgenommen wird oder ich dann doch irgendwann mal in den Schienenersatzverkehr reinkomme, oder aber ich lasse mich auf eigene Kosten abholen. Diese Kosten wurden mir in der Vergangenheit einigermaßen erstattet, indem die Bahn einen gewissen Anteil des Ticketpreises zurückerstattet.

    Möchte ich als Fahrgast also nicht draufzahlen, bleibt mir in Zukunft vor allem das Warten am Bahnsteig. Denn der Schienenersatzverkehr ist mit zwei bis vier Reisebussen ja quasi nicht existent, und die Umleitung über Ostholstein mit LINT-41-Zügen eine Zumutung.

    Und dann gibt's ja auch noch das Hotel:

    oder dir zur Not eine Übernachtung im Hotel zahlt.

    Das ist natürlich auch nur ein theoretisches Konstrukt. Nach meiner Erfahrung sind sowohl das Zugpersonal als auch die Mitarbeiter an der Information nach Kräften bemüht, einen Anspruch des Fahrgastes auf ein Hotel zu verneinen.

    Ich war mehrfach in der Situation, dass der Kieler Hauptbahnhof wegen eines Polizeieinsatzes stundenlang gesperrt war und ich quasi in Hamburg festsaß, weil die Züge nur bis Neumünster, beziehungsweise bis Plön fahren. Es war 22 Uhr, es war klar, dass das heute nichts mehr wird, aber die Bahn verwies tapfer darauf, dass der Zug um 22:22 Uhr fahren würde. Tat er natürlich nicht, aber der Zug um 22:43 Uhr führe ganz bestimmt. Nö. Aber um 23:22 Uhr! Ganz sicher! So ging es dann weiter… bis zum Betriebsschluss. Die Bahn verweigerte mir gegenüber mehrfach den Anspruch auf Hotels, weil der Computer sagte, der nächste Zug führe. Ich halte das nach wie vor für einen Trick um zu vermeiden, dass hunderte gestrandete Fahrgäste ins Hotel abhauen, was wohl etwas teurer wird den Leuten 50 Prozent ihres Fahrpreises zurückzuerstatten.

    Laut anderen BahnCard-100-Reisenden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, bucht man sich am besten auf eigene Faust ein Hotel bis 60 oder 80 Euro pro Nacht und reklamiert anschließend beim Servicecenter Fahrgastrechte. Ansonsten schläft man eben im Hotelzug oder auf dem Bahnsteig.

    Wie viel EUR gibts eigentlich momentan bei Verspätung, wenn man mit BC100 oder Pendlerticket unterwegs ist? :/

    Für eine BahnCard 100 gibt es ab 60 Minuten Verspätung oder einer nicht angetretenen Fahrt 10 Euro, in der 1. Klasse 15 Euro. Bei Fernverkehrszeitkarten halb so viel, bei Ländertickets für den Nahverkehr 1,50 Euro. Es werden bei Zeitkarten maximal 25 Prozent des Ticketwertes erstattet.

  • ja, wenn sich die Bahn auf "höhere Gewalt" beruft, gibt es kein Geld. Das stimmt natürlich.

    Mein Beitrag zielte darauf ab, dass die Bahn ja trotz der neu formulierten Rechte/Pflichten noch immer dafür zu sorgen hat, dass der Fahrgast von A nach B kommt.

    Das ändert sich nicht.

    Dass du dir private Alternativen organisierst und die Aufwendungen dafür mit der Verspätungserstattung kompensierst, hatte ich nicht erwartet.

    In der Tat fällt das dann weg. ?(