Mit Gedenk-Fahrrad (Ghost-Bike) ausgestatte Unfallstellen in Hannover

  • Am gestrigen Freitag wurde in Hannover ein weißes Gedenk-Fahrrad an einer Unfallstelle im Deisterkreisel aufgestellt, an der ein Radfahrer von einem Autofahrer totgefahren wurde. Ein paar Bilder von der Veranstaltung, an der sich ca. 40 bis 50 Menschen beteiligten:

    Die Teilnehmer umrunden unter Polizeischutz den Kreisel in einem kurzen Gedenk-Marsch.

    An diesem Radfahrer- und Fußgängerüberweg mit "Bettelampel" an der Ausfahrt Richtung Göttinger Straße geschah der Unfall.

    Am Fahrrad ist eine Beschreibung des Unfall-Hergangs befestigt.

  • Transkript des am Fahrrad angebrachten Zettels:

    "Ein Nachruf

    An dieser Stelle ist am 30.08.2018 der Radfahrer Wolfgang Klausner [?] von einem Auto erfasst und tödlich verletzt worden. Ob die Bedarfsampel an der Einmündung zur Göttinger Straße für ihn grün oder rot zeigte, ist nicht geklärt.

    Sicher ist, dass Wolfgang Klausner ein Opfer des alles beherrschenden Autoverkehrs wurde, der sich hier wie überall durch hohe Geschwindigkeiten auszeichnet, und den Ampelschaltungen bevorrechtigen.

    Wir werden den leidenschaftlichen Radfahrer Wolfgang in Erinnerung behalten.

    31.08.2018"

    „Zeigen wir dem staunenden Ausländer einen neuen Beweis für ein aufstrebendes Deutschland, in dem der Kraftfahrer nicht nur auf den Autobahnen, sondern auf allen Straßen durch den Radfahrer freie, sichere Bahn findet.“ (Reichsverkehrsministerium, 1934)

  • Vielen Dank für die Transkriptierung. In der Hannoverschen Allgemeinen wurde unter anderem so über den Unfall berichtet: "Nach Angaben der Polizei starb der 64-Jährige am Freitag im Krankenhaus. Der Unfall ereignete sich gegen 10.15 Uhr, als der Radler offenbar bei Rot über die Göttinger Straße fuhr. Ein VW-Fahrer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und erfasste den 64-Jährigen. HAZ vom 31.8.18, http://www.haz.de/Hannover/Aus-d…schwerem-Unfall

    Die Ermittlungen zum genauen Unfallhergang dauern an, deshalb sucht die Polizei weiterhin Zeugen – vor allem mit Blick auf die Ampelsituation zu dem Zeitpunkt." Das Wörtchen "offenbar" signalisiert: "Der Radfahrer ist doch selber schuld an dem Unfall, wenn er bei Rot fährt." Es wird jedoch in dem HAZ-Artikel nichts dazu gesagt, wie schnell der Autofahrer fuhr. Welches Geschwindigkeitslimit dort gilt. (Vor der Ampel sind es Tempo 50, hinter der Ampel beginnt allerdings eine Tempo 40-Zone.) Es wird auch nichts dazu gesagt, dass die schiere Größe des Verkehrskreisels dazu verleitet, schneller als Tempo 50 zu fahren. Es wird auch nichts dazu gesagt in dem Artikel, dass Tempo 50 besser auf Tempo 30 als Tempolimit reduziert werden sollte. Allerdings wird in dem Artikel darüber berichtet, dass die Polizei noch nach Zeugen sucht, die Aussagen zur Ampelschaltung zum Unfallzeitpunkt machen kann. Und daher ist es sehr fragwürdig, wenn an anderer Stelle in dem Artikel ausgasagt wird, dass der Radfahrer "offenbar" bei Rot fuhr.

    Dieser gigantische Verkehrskreisel, an dem sich der Unfall ereignete, stammt aus einer Zeit, in der über solche Kreisel so berichtet wurde: "Um die Außenbezirke der Niedersachsenstadt schließt sich ein Ring von autobahnähnlichen, kreuzungsfreien Schnellstraßen, über die der Fern- und Durchgangsverkehr ohne Geschwindigkeitsbegrenzung surrt. Die City umfaßt ein zweiter, engerer Ring aus gleichfalls doppelbahnigen Schnellstraßen von 50 Metern Gesamtbreite, an deren Gelenken mächtige Verkehrskreisel wie Turbinenräder die Automobile in jede gewünschte Richtung wegschaufeln. (...) Wenn sie fertig sind, können die Autofahrer aus der Richtung Ruhrgebiet - was kaum in einer anderen deutschen Stadt möglich ist - unbehindert durch Kreuzungen oder Ampeln mit unbeschränkter Geschwindigkeit bis zum Stadtkern preschen. Der Spiegel vom 3.6.1959, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42625552.html

    Immerhin wurde der Verkehrskreisel seitdem schon einmal umgebaut und zwar nicht zu einer Kreuzung, sondern zu einem ampelgesteuerten Verkehrskreisel. Nicht zuletzt die deutlich geringeren Baukosten sprachen dafür. Aber auch die aberwitzige Diskussion darüber, dass nach Ansicht einiger vorwiegend autofahrenden Bürger ein ampelfreier Kreisel ja grundsätzlich die bessere Art der Verkehrsorganisation sei im Vergleich zu einer ampelgesteuerten Kreuzung. Kompromiss: Machen wir doch einen ampelgesteuerten Kreisel. Seitdem hat die Anzahl der tödlich verunfallten Fußgänger und Radfahrer abgenommen. (Dazu habe ich allerdings keine Statistik, die das belegt, aber ich kann mich noch an die Situation vor dem Umbau erinnern und an Zeitungsartikel zum Unfallsgeschehen im Deister-Kreisel.)

    Hier eine Karte auf Grundlage von openstreetmap erstellt:

  • Der Stadtanzeiger berichtete am 10.11.2018, dass der Bezirksrat dringend dazu aufforderte, den Deisterkreisel sicherer zu machen. Außerdem schrieb die Tochter des tödlich verunglückten Radfahrers einen entsprechenden Brief an die Stadt Hannover. Immerhin hat die Stadtverwaltung reagiert: "„Notwendig ist eine durchgängige längere Freigabe für Fußgänger und Radfahrer auf beiden Querungen der Göttinger Straße“, fordert die Tochter in ihrem Brief. Die Experten der Unfallkommission kommen zu einem ähnlichen Urteil. Künftig soll es an dem Radfahrer- und Fußgängerüberweg, an dem sich der Unfall ereignete, eine längere Grünphase für Radler und Passanten geben, wie Stadtsprecherin Michaela Steigerwald auf Anfrage mitteilt. Zudem wird es dort keine Bedarfsampel mehr geben. Nach Aussage der Stadt ist somit ein zügigeres, sichereres Queren der beiden ampelgeregelten Übergänge möglich – in vielen Fällen auch ohne einen Zwischenstopp auf der kleinen Verkehrsinsel. Unabhängig von dem Unfall sollten die Markierungen am Deisterkreisel erneuert werden." http://www.haz.de/Hannover/Aus-d…sicherer-machen

    Ob die Veränderung der Bedarfsampel zur regulären Ampel allerdings den Radverkehr und Fußverkehr tatsächlich beschleunigen wird?

    Hier noch mal ein Bild von dem Text an dem Ghost-bike. Der Text war ja etwas unscharf auf meinem ersten Bild: