Malte hat es ja schon in seinem Blog angesprochen,
das OLG Celle bewertet den Helm-Fall ganz anders. Aus dem Urteil lässt sich zwischen den Zeilen entnehmen, dass die Celler OLG Richter das Fahrrad tatsächlich schon mal als Fortbewegungsmittel benutzt haben.
Die entscheidenden Passagen 91 bis 103 zitiere ich hier mal:
Hieran vermag nach Auffassung des Senats auch
die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 5. Juni 2013 (Az. 7
U 11/12) nichts zu ändern. Zutreffend ist zwar, dass - wie dort
ausgeführt - Radfahrer heutzutage auch im täglichen Straßenverkehr
vielfältigen Gefahren ausgesetzt sind. Der vorliegende Fall belegt
jedoch geradezu exemplarisch, dass entsprechend schwerwiegende
Verletzungen auch unabhängig von der Dichte des Straßenverkehrs auf
vergleichsweise ruhigen Seitenstraßen eintreten können, sodass mithin
die Zunahme der Verkehrsdichte allein nicht als Argument für einen
Sorgfaltspflichtverstoß gegen sich selbst für den Fall des Unterlassens
des Tragens eines Schutzhelms herangezogen werden kann.
92Richtig ist auch, worauf das Oberlandesgericht Schleswig ebenfalls abstellt,
dass die von der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des
Oberlandesgerichts Düsseldorf (a. a. O.), vorgenommene Differenzierung
zwischen verschiedenen Arten von Radfahrern - nämlich denjenigen das
Fahrrad lediglich als Fortbewegungsmittel nutzenden einerseits sowie den
sportlich ambitionierten Fahrern andererseits - durchaus
Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten kann, zumal aufgrund der technischen
Entwicklung auch mit solchen Fahrrädern, bei denen es sich nicht um
Rennräder handelt, hohe Geschwindigkeiten erzielt werden können.
Gleichwohl vermag jedoch eine solche Differenzierung, die auf eine
Einzelfallbetrachtung hinausläuft, den tatsächlichen Verhältnissen im
Straßenverkehr am besten gerecht zu werden.
93Dabei mag, wie das Oberlandesgericht Schleswig ausführt, zwar das Tragen von
Sturzhelmen bei Fahrradfahrern heutzutage bereits mehr verbreitet sein
als noch vor einigen Jahren. Eine solche allgemeine Verkehrsauffassung
hat der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag allerdings noch 2012 nicht
festzustellen vermocht (Scholten, Aktuelles und Bekanntes zum
Mitverschulden im Straßenverkehr, DAR Extra 2013, 748, 749 unter Verweis
auf Verhandlungen des 50. Verkehrsgerichtstages, AK II, Hamburg 2012).
Nach den regelmäßigen Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen
(BAST) waren im Jahr 2011 lediglich 11 % und im Jahr 2012 13 % der
Fahrradfahrer innerorts mit Helm unterwegs (Scholten, a. a. O., unter
Verweis auf BAST, Forschung kompakt, Nr. 06/13: Gurte, Kindersitze,
Helme und Schutzkleidung - 2012). Mithin zeigt sich gerade im täglichen
Straßenbild, dass die weit überwiegende Zahl von Fahrradfahrern - und
dies dürften insbesondere die weniger dem sportlich ambitionierten
Personenkreis, als mehr dem der „Alltagsfahrer“, die das Fahrrad als
schlichtes Fortbewegungsmittel benutzen, zuzurechnenden sein - eben
keinen Helm benutzen. Diesen Personen grundsätzlich im Fall einer
Kopfverletzung ein Mitverschulden ausschließlich infolge des
Nichttragens eines Helms anzulasten, ohne dass sie durch ihre Fahrweise
zu dem Unfall Anlass gegeben hätten, erscheint dem Senat unangemessen.
Hierauf würde allerdings die vom Oberlandesgericht Schleswig vertretene
Auffassung hinauslaufen, obwohl auch weiterhin keine gesetzlich
geregelte und bußgeldbewehrte Verpflichtung für Fahrradfahrer, selbst
für Nutzer bestimmter Arten von E-Bikes, die nicht der Bestimmung des §
21 a Abs. 2 S. 1 StVO unterfallen, zur Nutzung eines Sturzhelms besteht.
94Auch aus der Parallele zu sportlichen Betätigungen wie Reiten oder Skifahren
lässt sich nach Auffassung des Senats ein Obliegenheitsverstoß von
Radfahrern, die auf einen Schutzhelm verzichten, nicht herleiten. Denn
bei den vorstehend genannten Tätigkeiten handelt es sich um reine
Hobbys, die mit der Nutzung eines Fahrrades zu Transport- und
Beförderungszwecken, wie im Alltagsverkehr üblich, nicht vergleichbar
sind. Gerade bei Sportarten wie Reiten wegen der damit verbundenen
Tiergefahr bzw. beim Skilaufen wegen der dort erzielten vergleichsweise
hohen Geschwindigkeiten und weitgehend fehlender „Verkehrsregeln“ liegen
spezifische Risiken vor, die sich von denen eines Fahrradfahrers
- selbst wenn dieser mit einem Rennrad zu Trainingszwecken im
Straßenverkehr unterwegs ist, dort aber ansonsten völlig unauffällig
fährt (hierzu LG Koblenz, Urteil vom 4. Oktober 2010 - 5 O 349/09) -
deutlich unterscheiden (so insbesondere auch OLG München, BeckRS 2012,
12391).
95Hinzu kommt, dass bislang nicht hinreichend erwiesen sein dürfte, dass
Fahrradhelme in einer statistisch signifikanten Weise zur Abwendung von
Kopfverletzungen beizutragen geeignet sind. Auch das Oberlandesgericht
Schleswig geht in dem von ihm entschiedenen Fall unter Berücksichtigung
der Ausführungen des dortigen Sachverständigen davon aus, dass die
dortige Klägerin für den Fall des Tragens eines Helms gleichwohl
Kopfverletzungen erlitten hätte, lediglich deren Ausmaß geringer
ausgefallen wäre. Unter dieser Maßgabe gelangt es deswegen zu der
Auffassung, dass Fahrradhelme die größte Schutzwirkung ohnehin nur bei
leichten bis mittelgradigen Traumen entfalten würden. Generell ist das
Ausmaß der Wirksamkeit von Fahrradhelmen jedenfalls schwierig zu
qualifizieren (Scholten, Mithaftung ohne Fahrradhelm? - zur Begründung
einer allgemeinen Obliegenheit, 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2012,
S. 65, 74). Dementsprechend lässt sich daher dem Tragen eines
Fahrradhelms allenfalls eine tendenzielle Schutzwirkung zuschreiben (LG
Koblenz, a. a. O.), was jedoch aus Sicht des Senats eher gegen eine
allgemeine Verpflichtung zum Tragen eines solchen Helms im Sinne einer
Obliegenheit spricht. Das gilt umso mehr, als es - soweit ersichtlich -
bislang auch noch keine zuverlässigen Zahlen über die Wahrscheinlichkeit
gibt, in Deutschland Opfer eines Verkehrsunfalls mit einer
Kopfverletzung zu werden (vgl. Scholten, a. a. O., S. 76).
96Problematisch erwiese sich die Annahme einer Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms
auch unter dem Gesichtspunkt, wie eine Kollision zwischen einem
Radfahrer und einem Fußgänger zu beurteilen wäre, die beide infolge des
Zusammenstoßes auf den Kopf stürzen. Für diesen Fall wäre selbst bei
ansonsten gleichen Verursachungsbeiträgen automatisch von einem
Mitverschulden und damit geringeren Ersatzansprüchen des keinen
Schutzhelm tragenden Fahrradfahrers auszugehen, obwohl ein solcher beim
Fußgänger den Eintritt schwerer Kopfverletzungen möglicherweise in
gleicher Weise verhindert hätte wie beim Radfahrer.
97Der Senat folgt deshalb der von der bisherigen obergerichtlichen
Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass sich ein Mitverschulden aus
dem Nichttragen eines Fahrradhelms mangels einer hierzu bestehenden
gesetzlichen Verpflichtung jedenfalls im Allgemeinen nicht herleiten
lässt, sondern ein solches lediglich unter Berücksichtigung des
jeweiligen Einzelfalls bei einer besonders risikobehafteten Fahrweise
des Radfahrers in Betracht kommen kann.
98bb) Dass im konkreten Fall dem Kläger eine solche vorzuwerfen wäre, hat die Beklagte jedoch nicht nachzuweisen vermocht.
99Zwar ist wohl davon auszugehen, dass der Kläger als „sportlich
ambitionierter“ Fahrer anzusehen ist, da es sich bei der hier zu
beurteilenden Unfallfahrt nach seinen eigenen Angaben um eine
„Trainingsfahrt“ gehandelt hat, er mit einem Rennrad nahe kommenden
Fahrrad unterwegs war und er sich seinen Erklärungen im Strafverfahren
gegen die Beklagte zufolge mit dem Fahrer eines Tourenrades als nicht
vergleichbar erachtete. Nach seinen dortige Angaben fahre nämlich „ein
Fahrer auf einem Rennrad keinem Radfahrer auf einem Tourenrad
hinterher“, was wohl dahingehend zu verstehen sein dürfte, dass sich der
Kläger selbst als Radfahrer einer „anderen Klasse“ ansah als
derjenigen, der er die Beklagte zuordnete.
100Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass er sich im Zeitpunkt des
Unfallereignisses auch besonderen Risiken ausgesetzt hat. Allein die
„sportliche Ambition“ eines Radfahrers begründet nach überwiegender
Ansicht nämlich noch nicht eine Obliegenheit zum Tragen eines Helms,
soweit er mit seinem Fahrrad nichts anderes tut als ein „gewöhnlicher“
Radfahrer auch.
101Hinweise auf eine besonders rasante oder anderweitig risikobehaftete Fahrweise
des Klägers hat die Beklagte nicht vorgetragen. Allein aus der Tatsache,
dass der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen T. mit
einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h auf einer abschüssigen Straße
unterwegs war, auf der die Beklagte nach eigenen Angaben selbst etwa 20
km/h fuhr, lässt sich ein besonders gefahrträchtiges Fahrverhalten nicht
herleiten. Gleichermaßen ist dem Kläger auch nicht zu widerlegen, dass
er seine Trainingsfahrten lediglich zur Verbesserung seiner Ausdauer,
nicht hingegen zur Erzielung möglichst hoher Geschwindigkeiten
durchgeführt hat.
102In Anbetracht dessen lässt sich daher in der Gesamtschau ein
Mitverschulden des Klägers auch nicht aus dem Unterlassen von
Sicherheitsvorkehrungen, namentlich dem Nichttragen eines Fahrradhelms,
herleiten.