Das Celler Helmurteil

  • Malte hat es ja schon in seinem Blog angesprochen,


    das OLG Celle bewertet den Helm-Fall ganz anders. Aus dem Urteil lässt sich zwischen den Zeilen entnehmen, dass die Celler OLG Richter das Fahrrad tatsächlich schon mal als Fortbewegungsmittel benutzt haben.

    Die entscheidenden Passagen 91 bis 103 zitiere ich hier mal:

    Hieran vermag nach Auffassung des Senats auch
    die Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 5. Juni 2013 (Az. 7
    U 11/12) nichts zu ändern. Zutreffend ist zwar, dass - wie dort
    ausgeführt - Radfahrer heutzutage auch im täglichen Straßenverkehr
    vielfältigen Gefahren ausgesetzt sind. Der vorliegende Fall belegt
    jedoch geradezu exemplarisch, dass entsprechend schwerwiegende
    Verletzungen auch unabhängig von der Dichte des Straßenverkehrs auf
    vergleichsweise ruhigen Seitenstraßen eintreten können, sodass mithin
    die Zunahme der Verkehrsdichte allein nicht als Argument für einen
    Sorgfaltspflichtverstoß gegen sich selbst für den Fall des Unterlassens
    des Tragens eines Schutzhelms herangezogen werden kann.

    92Richtig ist auch, worauf das Oberlandesgericht Schleswig ebenfalls abstellt,
    dass die von der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere des
    Oberlandesgerichts Düsseldorf (a. a. O.), vorgenommene Differenzierung
    zwischen verschiedenen Arten von Radfahrern - nämlich denjenigen das
    Fahrrad lediglich als Fortbewegungsmittel nutzenden einerseits sowie den
    sportlich ambitionierten Fahrern andererseits - durchaus
    Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten kann, zumal aufgrund der technischen
    Entwicklung auch mit solchen Fahrrädern, bei denen es sich nicht um
    Rennräder handelt, hohe Geschwindigkeiten erzielt werden können.
    Gleichwohl vermag jedoch eine solche Differenzierung, die auf eine
    Einzelfallbetrachtung hinausläuft, den tatsächlichen Verhältnissen im
    Straßenverkehr am besten gerecht zu werden.

    93Dabei mag, wie das Oberlandesgericht Schleswig ausführt, zwar das Tragen von
    Sturzhelmen bei Fahrradfahrern heutzutage bereits mehr verbreitet sein
    als noch vor einigen Jahren. Eine solche allgemeine Verkehrsauffassung
    hat der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag allerdings noch 2012 nicht
    festzustellen vermocht (Scholten, Aktuelles und Bekanntes zum
    Mitverschulden im Straßenverkehr, DAR Extra 2013, 748, 749 unter Verweis
    auf Verhandlungen des 50. Verkehrsgerichtstages, AK II, Hamburg 2012).
    Nach den regelmäßigen Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen
    (BAST) waren im Jahr 2011 lediglich 11 % und im Jahr 2012 13 % der
    Fahrradfahrer innerorts mit Helm unterwegs (Scholten, a. a. O., unter
    Verweis auf BAST, Forschung kompakt, Nr. 06/13: Gurte, Kindersitze,
    Helme und Schutzkleidung - 2012). Mithin zeigt sich gerade im täglichen
    Straßenbild, dass die weit überwiegende Zahl von Fahrradfahrern - und
    dies dürften insbesondere die weniger dem sportlich ambitionierten
    Personenkreis, als mehr dem der „Alltagsfahrer“, die das Fahrrad als
    schlichtes Fortbewegungsmittel benutzen, zuzurechnenden sein - eben
    keinen Helm benutzen. Diesen Personen grundsätzlich im Fall einer
    Kopfverletzung ein Mitverschulden ausschließlich infolge des
    Nichttragens eines Helms anzulasten, ohne dass sie durch ihre Fahrweise
    zu dem Unfall Anlass gegeben hätten, erscheint dem Senat unangemessen.
    Hierauf würde allerdings die vom Oberlandesgericht Schleswig vertretene
    Auffassung hinauslaufen, obwohl auch weiterhin keine gesetzlich
    geregelte und bußgeldbewehrte Verpflichtung für Fahrradfahrer, selbst
    für Nutzer bestimmter Arten von E-Bikes, die nicht der Bestimmung des §
    21 a Abs. 2 S. 1 StVO unterfallen, zur Nutzung eines Sturzhelms besteht.

    94Auch aus der Parallele zu sportlichen Betätigungen wie Reiten oder Skifahren
    lässt sich nach Auffassung des Senats ein Obliegenheitsverstoß von
    Radfahrern, die auf einen Schutzhelm verzichten, nicht herleiten. Denn
    bei den vorstehend genannten Tätigkeiten handelt es sich um reine
    Hobbys, die mit der Nutzung eines Fahrrades zu Transport- und
    Beförderungszwecken, wie im Alltagsverkehr üblich, nicht vergleichbar
    sind. Gerade bei Sportarten wie Reiten wegen der damit verbundenen
    Tiergefahr bzw. beim Skilaufen wegen der dort erzielten vergleichsweise
    hohen Geschwindigkeiten und weitgehend fehlender „Verkehrsregeln“ liegen
    spezifische Risiken vor, die sich von denen eines Fahrradfahrers
    - selbst wenn dieser mit einem Rennrad zu Trainingszwecken im
    Straßenverkehr unterwegs ist, dort aber ansonsten völlig unauffällig
    fährt (hierzu LG Koblenz, Urteil vom 4. Oktober 2010 - 5 O 349/09) -
    deutlich unterscheiden (so insbesondere auch OLG München, BeckRS 2012,
    12391).

    95Hinzu kommt, dass bislang nicht hinreichend erwiesen sein dürfte, dass
    Fahrradhelme in einer statistisch signifikanten Weise zur Abwendung von
    Kopfverletzungen beizutragen geeignet sind. Auch das Oberlandesgericht
    Schleswig geht in dem von ihm entschiedenen Fall unter Berücksichtigung
    der Ausführungen des dortigen Sachverständigen davon aus, dass die
    dortige Klägerin für den Fall des Tragens eines Helms gleichwohl
    Kopfverletzungen erlitten hätte, lediglich deren Ausmaß geringer
    ausgefallen wäre. Unter dieser Maßgabe gelangt es deswegen zu der
    Auffassung, dass Fahrradhelme die größte Schutzwirkung ohnehin nur bei
    leichten bis mittelgradigen Traumen entfalten würden. Generell ist das
    Ausmaß der Wirksamkeit von Fahrradhelmen jedenfalls schwierig zu
    qualifizieren (Scholten, Mithaftung ohne Fahrradhelm? - zur Begründung
    einer allgemeinen Obliegenheit, 50. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2012,
    S. 65, 74). Dementsprechend lässt sich daher dem Tragen eines
    Fahrradhelms allenfalls eine tendenzielle Schutzwirkung zuschreiben (LG
    Koblenz, a. a. O.), was jedoch aus Sicht des Senats eher gegen eine
    allgemeine Verpflichtung zum Tragen eines solchen Helms im Sinne einer
    Obliegenheit spricht. Das gilt umso mehr, als es - soweit ersichtlich -
    bislang auch noch keine zuverlässigen Zahlen über die Wahrscheinlichkeit
    gibt, in Deutschland Opfer eines Verkehrsunfalls mit einer
    Kopfverletzung zu werden (vgl. Scholten, a. a. O., S. 76).

    96Problematisch erwiese sich die Annahme einer Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms
    auch unter dem Gesichtspunkt, wie eine Kollision zwischen einem
    Radfahrer und einem Fußgänger zu beurteilen wäre, die beide infolge des
    Zusammenstoßes auf den Kopf stürzen. Für diesen Fall wäre selbst bei
    ansonsten gleichen Verursachungsbeiträgen automatisch von einem
    Mitverschulden und damit geringeren Ersatzansprüchen des keinen
    Schutzhelm tragenden Fahrradfahrers auszugehen, obwohl ein solcher beim
    Fußgänger den Eintritt schwerer Kopfverletzungen möglicherweise in
    gleicher Weise verhindert hätte wie beim Radfahrer.

    97Der Senat folgt deshalb der von der bisherigen obergerichtlichen
    Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass sich ein Mitverschulden aus
    dem Nichttragen eines Fahrradhelms mangels einer hierzu bestehenden
    gesetzlichen Verpflichtung jedenfalls im Allgemeinen nicht herleiten
    lässt, sondern ein solches lediglich unter Berücksichtigung des
    jeweiligen Einzelfalls bei einer besonders risikobehafteten Fahrweise
    des Radfahrers in Betracht kommen kann.

    98bb) Dass im konkreten Fall dem Kläger eine solche vorzuwerfen wäre, hat die Beklagte jedoch nicht nachzuweisen vermocht.

    99Zwar ist wohl davon auszugehen, dass der Kläger als „sportlich
    ambitionierter“ Fahrer anzusehen ist, da es sich bei der hier zu
    beurteilenden Unfallfahrt nach seinen eigenen Angaben um eine
    „Trainingsfahrt“ gehandelt hat, er mit einem Rennrad nahe kommenden
    Fahrrad unterwegs war und er sich seinen Erklärungen im Strafverfahren
    gegen die Beklagte zufolge mit dem Fahrer eines Tourenrades als nicht
    vergleichbar erachtete. Nach seinen dortige Angaben fahre nämlich „ein
    Fahrer auf einem Rennrad keinem Radfahrer auf einem Tourenrad
    hinterher“, was wohl dahingehend zu verstehen sein dürfte, dass sich der
    Kläger selbst als Radfahrer einer „anderen Klasse“ ansah als
    derjenigen, der er die Beklagte zuordnete.

    100Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass er sich im Zeitpunkt des
    Unfallereignisses auch besonderen Risiken ausgesetzt hat. Allein die
    „sportliche Ambition“ eines Radfahrers begründet nach überwiegender
    Ansicht nämlich noch nicht eine Obliegenheit zum Tragen eines Helms,
    soweit er mit seinem Fahrrad nichts anderes tut als ein „gewöhnlicher“
    Radfahrer auch.

    101Hinweise auf eine besonders rasante oder anderweitig risikobehaftete Fahrweise
    des Klägers hat die Beklagte nicht vorgetragen. Allein aus der Tatsache,
    dass der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen T. mit
    einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h auf einer abschüssigen Straße
    unterwegs war, auf der die Beklagte nach eigenen Angaben selbst etwa 20
    km/h fuhr, lässt sich ein besonders gefahrträchtiges Fahrverhalten nicht
    herleiten. Gleichermaßen ist dem Kläger auch nicht zu widerlegen, dass
    er seine Trainingsfahrten lediglich zur Verbesserung seiner Ausdauer,
    nicht hingegen zur Erzielung möglichst hoher Geschwindigkeiten
    durchgeführt hat.

    102In Anbetracht dessen lässt sich daher in der Gesamtschau ein
    Mitverschulden des Klägers auch nicht aus dem Unterlassen von
    Sicherheitsvorkehrungen, namentlich dem Nichttragen eines Fahrradhelms,
    herleiten.

  • Ich habe das Urteil mit Freuden zur Kenntnis genommen. Es entspricht ziemlich genau meiner Argumentationslinie. Ist eine konkret höhere Gefahr nachweisbar (möglicherweise Downhill, Windschattenfahrten, Trial, BMX o.ä.), eine bestimmte Schutzkleidung anerkannt und eine Erhöhung des Schadens durch Nichttragen dieser Schutzkleidung nachgewiesen, kommt ein Mitverschulden m.E. in Betracht. Für alltäglichen Radverkehr und übliche Fahrradhelme treffen jedenfalls die ersten beiden Punkte nicht zu.

  • Naja, ich weiß nicht. Einerseits ein positives Signal für den Radverkehr, andererseits tue ich mir da mit einigen argumentativen Passagen recht schwer. Das Schleswiger Urteil fand ich besser begründet. Ich muss mir das erstmal in Ruhe alles zu Gemüte führen.

  • "nämlich wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt".

    Mal angenommen, ich fahre mit meinem Trekking-Rad (?) mit 20-40km/h auf der Fahrbahn durch die Stadt, ohne bestimmten Zweck außer des Radfahrens an sich.
    * Außerhalb einer Rennsportveranstaltung ist das sicherlich.
    * Aber bin ich nun sportlich ambitioniert, weil ich Radfahren auch als Sport betreibe, das aber nicht profimäßig tue?
    * Setze ich mich besonderen Risiken aus, weil ich Radwege meide? Weil da Autos unterwegs sind und ich deutlich zügiger als der Durchschnitts-Alltagsradler unterwegs bin? Wie ist es, wenn ich eine RWBP "übersehen" habe?

    Solange Dummheit als plausible Erklärung ausreicht, sollte man keinen Vorsatz annehmen.

  • "nämlich wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt".

    Mal angenommen, ich fahre mit meinem Trekking-Rad (?) mit 20-40km/h auf der Fahrbahn durch die Stadt, ohne bestimmten Zweck außer des Radfahrens an sich.
    * Außerhalb einer Rennsportveranstaltung ist das sicherlich.
    * Aber bin ich nun sportlich ambitioniert, weil ich Radfahren auch als Sport betreibe, das aber nicht profimäßig tue?
    * Setze ich mich besonderen Risiken aus, weil ich Radwege meide? Weil da Autos unterwegs sind und ich deutlich zügiger als der Durchschnitts-Alltagsradler unterwegs bin? Wie ist es, wenn ich eine RWBP "übersehen" habe?

    Sollte dein Unfall nach der Begründung des obigen Urteils beurteilt werden:
    Einzelfallentscheidung. Ich würde vermuten, dass man bei einer Geschwindigkeit von über 25km/h (sofern nicht gerade bergab) immer noch schlechte Karten hätte. Wenn dann noch "fährt auf der Fahrbahn trotz RWBP" hinzukommt und sogar Klickpedale - da würd ich weiterhin nicht drauf vertrauen, dass man ohne anteilige Schuld davonkommt.

    Dieses Urteil ändert für mich persönlich gar nichts: Rennlenker + Klickpedale + Netto-Durchschnittsgeschw. 22km/h + Topspeed zw. 35 und 45km/h = weiterhin Teilschuld. Das hatte ja auch schon mind. ein älteres Urteil hergegeben.
    Für bspw. meine Eltern würde es jedoch was ändern. Die fahren zwar flott - aber nicht schneller als 27km/h. Hollandrad, Kurzstrecken, Radwegenutzung wo BP oder guter Zustand.

  • In der FAZ war zum Beispiel ein Artikel zu einem völlig anderem Thema: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Frage, wann die Mitschuld des Arbeitnehmers am Krankheitsfall dazu führt, dass die Lohnfortzahlung wegfällt. Leider finde ich den Artikel nicht mehr, ich weiß auch, dass es kein dünneres juristisches Eis gibt als diesen Vergleich zu ziehen.

    Ein Beispiel in diesem Artikel war der Arbeitnehmer, der am Wochenende gerne sportlich-ambitionierte Motorradrennen bestritt. Hier wurde die Unterscheidung gemacht zwischen einem Arbeitnehmer, der geübter Motorsportler ist und Rennen in seiner "Kragenweite" fährt, also dem hohem Risiko beim Motorsport ein hohes Maß an Fähigkeit entgegen setzt und so das Risiko abfedert, und dem ungeübten Fahrer der sich auf eine übermotorisierte Maschine quasi ohne Vorbereitung in ein schnelles Rennen begibt.

    Ich finde das obige Helmurteil schlägt in eine ähnliche Kerbe, in dem deutlich betont, dass nur weil jemand auf einem Rennrad sitzt, dieser kein höheres Risiko eingeht. Jetzt muss nur noch ein Gericht erkennen, dass (zumindestens auf der Fahrbahn) 35km/h nicht per se übermäßig gefährlich sind.

  • So wenn nicht dauernd die Katze auf meine Tastatur hüpfen würde könnte ich auch mal was schreiben. Also der Lohnfortzahlungsanspruch ist ja ein sozialversicherungsrechtlicher Anspruch. Da ist das mit der Übertragbarkeit immer so eine Sache. Aber der Grundtenor aller Entscheidungen ist absolut richtig: Mache ich etwas riskanteres als andere, dann muss ich unter Umständen auch mehr Vorsorge treffen, sonst nicht. Das finde ich eigentlich absolut richtig. Ich persönlich finde das Celler Helmurteil gut begründet, mich überrascht nur, dass es sich mehr mit dem Schleswiger Urteil auseinandersetzt als mit dem konkreten Fall. Das geht schon fast in die Richtung eines obiter dictum.

  • In der FAZ war zum Beispiel ein Artikel zu einem völlig anderem Thema: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Frage, wann die Mitschuld des Arbeitnehmers am Krankheitsfall dazu führt, dass die Lohnfortzahlung wegfällt. Leider finde ich den Artikel nicht mehr, ich weiß auch, dass es kein dünneres juristisches Eis gibt als diesen Vergleich zu ziehen.

    Ein Beispiel in diesem Artikel war der Arbeitnehmer, der am Wochenende gerne sportlich-ambitionierte Motorradrennen bestritt. Hier wurde die Unterscheidung gemacht zwischen einem Arbeitnehmer, der geübter Motorsportler ist und Rennen in seiner "Kragenweite" fährt, also dem hohem Risiko beim Motorsport ein hohes Maß an Fähigkeit entgegen setzt und so das Risiko abfedert, und dem ungeübten Fahrer der sich auf eine übermotorisierte Maschine quasi ohne Vorbereitung in ein schnelles Rennen begibt.
    d.

    War es dieser Artikel hier?

  • Genau, ich meine vorallem diesen Teil:

    Zitat

    Was besonders gefährlich ist, beurteilt sich übrigens auch nach der persönlichen Eignung für die gewählte Sportart. Außerdem müssen die Risiken, die mit der Sportart verbunden sind, beherrschbar sein, was nicht gleichbedeutend damit ist, dass dabei generell keine Unfälle passieren dürfen. Selbst die Teilnahme an einer Motorradrennsportmeisterschaft begründet nicht per se ein schuldhaftes Verhalten, das die Entgeltfortzahlung ausschließt - zumindest, wenn es sich um einen geübten Motorradfahrer handelt. Allein aus der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer einen Skiunfall erlitten hat, wird also nicht auf ein besonders leichtsinniges Verhalten geschlossen werden können.

    Finde ich sehr vernünftig.

  • Ich bin auch nach mehrfacher Lektüre noch unschlüssig. Einerseits scheint mir das OLG Celle näher an der Realität, andererseits finde ich die Begründung des Urteils teilweise recht widersprüchlich. Das Urteil des OLG Schleswig war zwar für den Radverkehr ein Desaster und die Begründung schmeckte auch niemandem so richtig, aber da war wenigstens die Begründung schlüssig. Meine Befürchtung ist, dass sich der Bundesgerichtshof sicherlich nicht irgendsoein Urteil zurechtschwurbeln wird und deshalb eher in Richtung des OLG Schleswig gehen wird. Ich tippe da mal einen Artikel und lasse mich etwas darüber aus.

  • Ich tippe da mal einen Artikel und lasse mich etwas darüber aus.


    Ich bin gespannt auf den Artikel. Vielleicht bin ich etwas betriebsblind, aber ich teile deine Meinung zur Schlüssigkeit der Urteile nicht. Falls Du vor dem Artikel noch dazu Lust und Zeit hast, welche Folgerungen der Celler Richter erscheinen Dir denn bspw. nicht schlüssig?

  • Falls Du vor dem Artikel noch dazu Lust und Zeit hast, welche Folgerungen der Celler Richter erscheinen Dir denn bspw. nicht schlüssig?

    Naja, zum Beispiel vermag das OLG Celle nicht zu begründen, warum denn sportlich ambitionierte Fahrer nun einen Helm tragen sollen, wenn sie ein paar Zeilen später feststellen, dass ein Helm eigentlich wenig bis kaum schützt, beziehungsweise das Gegenteil noch nicht wissenschaftlich erwiesen wurde. Ich verstehe auch nicht, warum man sich bei Hobbys wie Skifahren oder Reiten mit einem Helm vor Gefahren schützen soll, beim Radfahren, sofern es nicht hobbymäßig betrieben wird, allerdings nicht. Da steht dann was von Gefahrenpotenzial, aber warum es das jetzt auf der Piste geben soll, auf der Straße aber nicht, das geht nicht daraus hervor.

    Und sich dann teilweise auf Urteile anderer Oberlandesgerichte von vor über 24 Jahren zu berufen, das finde ich mutig. Seitdem hat sich in Sachen Radverkehr doch einiges getan, ich erinnere mich, dass meine Eltern meinen ersten Helm im Versandhandel bestellen mussten, weil sowas beim lokalen Fachhändler überhaupt nicht im Regal lag. Und da gab es dann auch nur diese fusseligen Helme ohne harte Schale, die ja längst als überholt und gefährlich gelten.

    Ich finde, ohne dass ich jetzt juristischer Profi bin, dass das OLG Celle nicht schlüssig zu begründen vermag, warum der Kläger jetzt im Sinne des § 254 BGB ohne Helm keine Mitschuld an seinen Verletzungen tragen soll. Und meine Sorge ist eben, dass sich der Bundesgerichtshof eher argumentativ dem Urteil aus Schleswig anschließen wird, zumindest sehe ich da so etwas wie einen roten Faden in der Begründung.

  • Entschuldige die späte Antwort, ich bin derzeit ganz schön im Stress. Ich meine, dass Deine Skepsis wegen der Schlüssigkeit größtenteils auf den unterschiedlichen Argumentationsnotwendigkeiten beruht. Während die Schleswiger Richter durch eine schlüssige Argumentationskette ein Mitverschulden mangels Helm darlegen mussten, sofern sie dies annehmen wollten, war es für die Celler Richter wesentlich einfacher. Ihnen reichten punktuelle Widersprüche oder einfach fehlende Beweise, insofern muss hier keine schlüssige Kette vorliegen. Stark vereinfacht kann man dies auf die Beweislast für einen zivilrechtlichen Anspruch herunterbrechen: Derjenige, der den Anspruch geltend macht, musss eine geschlossene Kette darlegen und nötigenfalls beweisen, wer dagegen in Anspruch genommen wird, muss nur ein Glied der Kette widerlegen bzw. nur bestreiten, wenn kein Beweis vorgebracht wird. Ohne Ansehen und Bewertung der Argumente wird das Vorbringen des Anspruchstellers in der Regel eine geschlossenere Argumentation bilden (müssen), die Erwiderung dagegen sehr selektiv sein.

    IMHO haben die Celler Richter nicht im Rahmen eines obiter dictums die Helmpflicht für bestimmte Radfahraktivitäten, Reiten oder Skifahren explizit festgestellt, sondern sind eher davon ausgegangen, dass dies möglich/üblich ist. Insofern sehe ich hier keinen Widerspruch. Hätten sie sich näher damit auseinandergesetzt, wären evtl. auch "normale" Radhelme nicht als ausreichend bewiesen sicher gewertet worden, sondern vielleicht nur Downhill- oder BMX-Helme bei entsprechendem Einsatz.

    Nach meinem Verständnis des Urteils sollte auch nicht zwischen hobbymäßigem Reiten/Skifahren/Radfahren unterschieden werden, sondern die Richter sahen in "normalem" Straßenverkehr kein besonders erhöhtes Risiko zur Begründung einer Obliegenheit zum Helmtragen. Erst besondere Radfahrgefahren könnten eine solche begründen, m.E. auch für die Celler Richter bei hobbymäßigem Radfahren mit entsprechend besonderen Risiken, welche sie bei diesem Hobbyradler in dieser bestimmten Situation nicht sahen. Die Unterscheidung zum Skifahren und Reiten verstehe ich eher dahingehend, dass zum Einen hierzulande nur noch extrem selten Reiten oder (Abfahrts-)Skifahren zum überwiegenden Zwecke der Fortbewegung betrieben wird und somit grundsätzlich eine alltägliche Beschäftigung mit alltäglichem Risiko betrieben werde. Dies allein würde nun für Helmobliegenheiten für nicht Alltags-Radeln sprechen, allerdings sieht das Gericht (m.E. zu Recht) zum Anderen auch ein anderes Gefahrenpotential. Beim Skifahren auch aufgrund der häufig/durchschnittlich (?) wesentlich höheren Geschwindigkeiten, beim Reiten aufgrund der Tiergefahr. Zusammen ergibt dies in der Konsequenz mögliche Helmobliegenheiten für Radfahren zum Zwecke der sportlichen Betägigung und mit besonders erhöhtem Risiko.

    Disclaimer: Ich habe mangels Zeit das Urteil jetzt nicht noch einmal gelesen und allein aufgrund meiner Erinnerung des mehrmaligen Lesens bei Veröffentlichung geschrieben. Sollte ich aufgrund falscher Erinnerung inhaltlich daneben liegen, bitte ich um entsprechenden Hinweis und bitte vorab um Entschuldigung für die "blinde" Antwort.