Zum Thema dämliche Formulierung von Gesetzen gibt es eine nette Episode aus dem Steuerrecht, betreffend die Anerkennung von Studienkosten entweder als Sonderausgaben oder als Werbungskosten. Der Gesetzgeber war mit der studierenden- (und piloten-) freundlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nicht einverstanden und wollte zur Rechtslage aus 1937 zurück. Also schrieb er ins Gesetz:
Sonderausgaben sind die folgenden Aufwendungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind oder wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden: ... Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung bis zu 4 000 Euro im Kalenderjahr.
Der Bundesfinanzhof sagte: "Netter Versuch, und wir haben Eure Gesetzesbegründung gelesen, dass ihr Studienkosten immer als Sonderausgaben behandeln wollt. Aber der - dieser Begründung widersprechende - Wortlaut mit dem "wenn" ist derart eindeutig, dass sich eine Abweichung vom Wortlaut verbietet. Es ist somit durch das Finanzamt vorrangig zu prüfen, ob Ausbildungskosten Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben sind. Wenn sie das nicht sind, dann können 4.000 Euro davon als Sonderausgaben anerkannt werden."
Genau vier Tage nach Veröffentlichung der entsprechenden Urteile gab Finanzminister Schäuble in einem Zeitungsinterview ungefragt bekannt, dass er diese Klatsche nicht auf sich sitzen lassen wollte. Also wurden binnen weniger Wochen in die §§ 4 und 6 neue Absätze eingefügt, um apodiktisch zu erklären: "Kosten eines Erststudiums sind keine ...".
Der Bundesfinanzhof hatte daraufhin die Faxen dicke und hat das Bundesverfassungsgericht angerufen, um klären zu lassen, ob diese Diskriminierung verfassungskonform ist. Das Verfahren läuft noch.
So, nach diesem Ausflug in ein anderes Rechtsgebiet wieder zurück zu Ampeln und Radverkehrsführungen. Da gibt es also einen Wortlaut in § 37 Absatz 2 Ziffer 6 StVO:
[stvo]Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten. An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Rad Fahrende müssen Rad Fahrende bis zum 31. Dezember 2016 weiterhin die Lichtzeichen für zu Fuß Gehende beachten, soweit eine Radfahrerfurt an eine Fußgängerfurt grenzt.[/stvo]
Seit dem 1.1.2017 ist der dritte Satz obsolet, es gilt also nur noch:
Wer ein Rad fährt, hat die Lichtzeichen für den Fahrverkehr zu beachten. Davon abweichend sind auf Radverkehrsführungen die besonderen Lichtzeichen für den Radverkehr zu beachten.
Jetzt sage ich als Nichtjurist, aber Germanist: Setzt der Verordnungsgeber voraus, dass an Radverkehrsführungen STETS besondere Lichtzeichen für den Radverkehr existieren, wenn irgendwelche Lichtzeichen für den Radverkehr gelten sollen? Da steht immerhin der bestimmte Artikel "die" vor den besonderen Lichtzeichen, und es folgt hinter dem "beachten" ein Punkt und kein Nebensatz ", sofern welche vorhanden sind". Ist also das Anlegen einer Radverkehrsführung an die Anbringung besonderer Lichtzeichen für den Radverkehr geknüpft?
Der Nutzer steht vor der schlichten Frage: Muss ich auf einer Radverkehrsführung IMMER von der Fahrbahnampel abweichen, oder nur dann, wenn es dort eine eigene Fahrradampel gibt?
Das ist leider nicht so eindeutig wie der Fall Schäuble.
Aber jetzt kommt der dritte Satz mit der seit Neujahr nicht mehr geltenden Handlungsanweisung ins Spiel.
»An Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen ohne besondere Lichtzeichen für Rad Fahrende ...« - Aha! Für solche Orte sind also die Abweichungen gedacht! Das legt nahe, dass auch bei den »Radverkehrsführungen« im zweiten Satz »Lichtzeichenanlagen mit Radverkehrsführungen« gemeint sind.
Man muss also beurteilen können, ob die Radverkehrsführung zur Lichtzeichenanlage gehört. Die breite Allee in Berlin hatten wir schon - bei einem so großen Abstand, hinter einem Grünstreifen würde ich daran zweifeln. Nächster Fall:
Benutzungspflichtiger Hochbordradweg. Irgendwann verläuft der hinter einer Reihe geparkter Autos.
Oh - eine Ampel! Ist das eine »Lichtzeichenanlage mit Radverkehrsführung«? Ich sehe keine.
Noch ein Fall: Auf der Südseite der in die Bergedorfer Straße übergehenden Eiffestraße verläuft ein benutzungspflichtiger Zweirichtungsradweg.
Ein paar Meter weiter aus Richtung Osten fotografiert:
Eine Ampel. Und links hinter der Hecke verläuft eine Radverkehrsführung.
Muss ich da anhalten, wenn die Ampel rot zeigt? Für mich hat die Ampel nichts, aber auch gar nichts mit der Radverkehrsführung zu tun.