Günter Fuchs steuert den VW Touran durch Wiesbaden, da passiert ihm ein Fehler. »Hier rechts rein«, sagt Fahrlehrerin Sabine Glanert, sie sitzt hinter ihm im Auto. Fuchs blinkt und biegt von der Hauptstraße in eine schmale Seitenstraße ab. Doch über die Schulter blickt er nicht.
Er müsse »mehr gucken«, sagt Sabine Glanert später zu Fuchs, besonders beim Abbiegen, auch mithilfe der Spiegel. »Wenn man die Radfahrer nicht kennenlernen will, darf man sie nicht überfahren.« Ein freundlicher, frecher Spruch, aber ihre Kritik ist deutlich. Er schaue eigentlich immer in die Spiegel, sagt Fuchs. Glanert widerspricht: »Ich konnte Sie im Rückspiegel genau beobachten.« Es würde sie wirklich freuen, wenn er darauf mehr achte.
Schulterblick vergessen – ein Fahrschüler wäre in der Prüfung womöglich durchgefallen. Günter Fuchs aber muss keine Konsequenzen fürchten. Er hat seinen Führerschein schon seit über 70 Jahren und macht an diesem Tag im Mai eine freiwillige Übungsstunde. Sie soll ihm zeigen, ob sich unbewusst Fehler eingeschlichen haben. Letztlich geht es für den 90-Jährigen darum, wie lange er noch fahren kann. Aber darüber entscheidet nicht Fahrlehrerin Glanert, nicht die Polizei, nicht die Fahrerlaubnisbehörde; darüber entscheidet allein Günter Fuchs.
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Was die Debatte erschwert: Die meisten Studien konnten nicht belegen, dass Gesundheitstests wie in Italien, den Niederlanden oder der Schweiz zu weniger Unfällen führen. Stattdessen sortieren sie eher Senioren aus, die vermutlich nie in ihrem Leben einen Unfall gehabt hätten.
Das zeigt folgendes Rechenbeispiel: Von 100 Menschen im Alter zwischen 75 und 79 Jahren hat statistisch nur einer einen schweren Unfall auf den nächsten 50.000 Kilometern. Ein Gesundheitstest würde diesen Unfallfahrer wahrscheinlich im Vorhinein erfassen; allerdings würde er unter Umständen auch Dutzende weitere Personen fälschlicherweise als mögliche Risikopersonen identifizieren – was ihnen den Führerschein nehmen würde. Dabei wären sie, statistisch betrachtet, unfallfrei geblieben.
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Glanert bleibt gelassen: Gelegentlich den Sicherheitsgurt zu spüren, sei nicht schlimm.
Sie ist seit 26 Jahren Fahrlehrerin, auf ihren Unterarm hat sie sich ein Fahrschulschild tätowieren lassen. Oft beobachtet sie, dass Ältere zu wenig Abstand halten oder neue Verkehrsregeln nicht kennen. Nach jeder Fahrt gibt sie ihren Teilnehmern ein Heftchen mit, »da habe ich mal alle Neuerungen im Straßenverkehr seit 1999 reingeschrieben«.