Sehr geehrter Herr Klenk,
danke für Ihre Antwort. Allerdings ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem Anspruch, »lediglich den objektiven Unfallhergang neutral« wiederzugeben, und dem Text der Meldung.
1. Sie schreiben, meine Frage »bezüglich der eingehaltenen Abstände« könne »nicht pauschal beantwortet werden«, da es »immer auf den Einzelfall und die örtliche Gegebenheiten« ankomme. Wie kann es dann aber sein, dass in der Pressemeldung »ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot« als Tatsache (»Da die Radfahrerin zu weit in der Straßenmitte fuhr«) und nicht als Verdacht (etwa: »nach Angaben der Pkw-Fahrerin …« oder »möglicherweise …« oder »die Staatsanwaltschaft prüft, ob …«) dargestellt wird? Die Pressemeldung besagt: »Die Radfahrerin hätte nicht dort fahren dürfen, wo sie fuhr.« Das kann aber frühestens als Ergebnis einer Beweisaufnahme oder gar eines Gerichtsverfahrens festgestellt werden, nachdem die Angaben der Radfahrerin geprüft und bewertet worden sind.
2. Sie schreiben, bei der Unfallaufnahme habe auch ein Vorfahrtsverstoß im Raum gestanden. Dieser ist offensichtlich von der Autofahrerin begangen worden, die in die Bismarckstraße einbog, obwohl die angestrebte Fahrlinie wegen der Radfahrerin nicht frei war. In der Pressemeldung steht davon nichts.
Beides sind Verstöße gegen den Anspruch, »den objektiven Unfallhergang neutral« wiederzugeben; beide Verstöße entlasten die Autofahrerin und belasten die Radfahrerin.
3. In der Pressemeldung stellen Sie Punkt 1 als Ursache (»Da die Radfahrerin …«) eines als zwangsläufig bezeichneten (» … musste ...«) Verhaltens der Autofahrerin dar. Da nach Ihren Worten aber auch ein Vorfahrtsverstoß der Autofahrerin im Raum stand, stellt sich um so mehr die Frage, warum es in der Pressemeldung nicht hieß »Da die Autofahrerin die Vorfahrt der Radfahrerin missachtete, musste sie nach rechts ausweichen …«.
Auch hier: eine Belastung der Radfahrerin, eine Entlastung der Autofahrerin - gerade so, als ob sie einem Geisterfahrer oder einem herabfallenden Dachziegel ausgewichen sei.
4. Ich hatte bereits die Frage gestellt, warum die Autofahrerin nicht angehalten hat, als sie die Radfahrerin erkannte, sondern versucht hat, sich zwischen der Radfahrerin und dem parkenden Auto hindurchzuquetschen. Ich nehme an, dass die Frage der Geschwindigkeit in solchen Fällen bereits im Rahmen des Vorfahrtsverstoßes geprüft wird (§ 8 Absatz 2 - mäßige Geschwindigkeit; ggf. Hineintasten). Damit kann aber das Ausweichens nach rechts beim Verfassen der Pressemeldung nicht als zwangsläufige Handlung dargestellt werden, sondern als eine von mehreren zu untersuchenden Handlungsoptionen; eine andere wäre die Vollbremsung gewesen.
5. Sie schreiben, es »bestand noch der Verdacht der Verkehrsunfallflucht«. Da Sie im vorhergehenden Satz bereits das Imperfekt verwenden, geht aus »bestand noch« nicht eindeutig hervor, ob es sich um einen bei Unfallaufnahme und Verfassen der Pressemeldung noch bestehenden, aber inzwischen ausgeräumten Verdacht handelt oder um den vierten Verstoß (drei gegen die StVO und einen gegen § 142 StGB), zu dem die StA noch Ermittlungen führt. Diese Ermittlungen müssen sich aber auch mit Absatz 5 des § 142 StGB befassen, konkret: ob die Radfahrerin überhaupt mitbekommen hat, dass es einen Unfall gab, an dem sie eine Beteiligte sein soll.
Lassen Sie mich noch erstens ergänzen, dass ich großes Verständnis dafür habe, dass Sie sich nicht konkret zu einem laufenden Verfahren äußern.
Zweitens: Ich bin kein Jurist, sondern Sprachwissenschaftler - mir fallen in Pressemeldungen wie dieser häufig Ungereimtheiten auf, die mit englischen Fachbegriffen wie »victim blaming« oder »framing« bezeichnet werden. Oftmals werden bei Zusammenstößen zwischen links abbiegenden Autofahrern und geradeaus fahrenden Radfahrern (Schutz-?)Behauptungen des Autofahrers als objektive Tatsachen hingestellt, geradezu typisch ist hier die »Blendung durch die tief stehende Sonne«, die als Entschuldigung für das Fehlverhalten des Autofahrers durchgeht, obwohl er sich mit der Angabe, er sei trotz fehlender Sicht (Blendung!) einfach weitergefahren und ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr abgebogen, im Grunde um Kopf und Kragen redet. In vielen Fällen wird keine Unfallschilderung des verunfallten Radfahrers wiedergegeben - meist aus dem bedauerlichen Grund, dass das Opfer schwer verletzt abtransportiert wurde oder noch an der Unfallstelle verstarb. In solchen Fällen wäre es ein Gebot der Neutralität und Professionalität, Aussagen von Beteiligten als Aussagen zu bezeichnen, anstatt sie als objektive Wahrheit zu formulieren. Im Falle der von mir angesprochenen Pressemeldung ergibt sich ohne Aussagen der Radfahrerin das Bild »die Radfahrerin fuhr mitten auf der Straße, wo sie nicht hingehört, die Autofahrerin konnte gar nicht anders als das rechts geparkte Auto zu touchieren - und die Radfahrerin ist einfach abgehauen«. Was aber, wenn die Radfahrerin sagen würde: »die Autofahrerin kam um die Ecke gefegt, ohne zu gucken, und hätte mich beinahe erwischt; ich bin nicht in der Gosse gefahren, nicht mitten durch die Schlaglöcher und nicht mit dem Lenker auf Handbreitabstand von geparkten Autos, sondern auf der Fahrbahn mit dem gebotenen Sicherheitsabstand nach rechts; ich musste ihr ausweichen, weil sie nicht gebremst hat, und bin ziemlich erschrocken weitergefahren; dass sie anschließend einen Unfall gebaut hat, indem sie hinter mir ein Auto touchiert hat, habe ich nicht bemerkt«?