Beiträge von Th(oma)s

    Hab neulich gelernt gelesen, dass man in den Niederlanden als Autofahrer automatisch schuld bei einem Unfall mit Fußgängern und/oder Radfahrern ist. Sowas wie "konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen" oder "Regentropfen verhinderten die Sicht" zieht da angeblich nicht. Könnte mit ein Grund sein, weshalb man beim Abbiegen oder Türaufreißen lieber zweimal guckt.

    Die Niederlande haben ein *höheres* spezifisches/km-normiertes Unfallrisiko als Deutschland, schon vergessen?

    "war zu schnell, konnte nicht mehr bremsen" und "bin gefahren, obwohl ich nichts sehen konnte" zieht außerdem auch in Deutschland nicht. Das sind doch kristallklare Geständnisse, keine Ent-Schuldigungen.

    Anders herum werden auch in den Niederlanden bei Haftungsprozessen idR niedrige Geldstrafen verhängt.

    Vor allem, wo nach Entfernung der [Zeichen 240] ohne weitere Maßnahmen oder begleitender Öffentlichkeitsarbeit aus einem "Radweg" ein Gehweg geworden ist, oder wenn in irgendeinem Kaff Gehwege baulich nicht von benutzungspflichtigen kombinierten Geh- und "Radwegen" zu unterscheiden sind, weil das alles der selbe Schrott ist.

    Genau sowas meine ich (auch) mit "Fahrradfirlefanz": ein kurzer Streifen verblasstes rotes Pflaster hier, eine vergessene Furtmarkierung da, eine linksseitige Gehwegfreigabe dort, fertig ist der Eindruck "hier sind Revanchefouls erlwünscht".

    Dann musst du gleich auch noch die Abschaffung von Gehwegen fordern, weil es auch Autofahrer gibt, die eine soziale Benutzungspflicht des Gehweges sehen, wo es keinen "Radweg" gibt.

    Mir ist in fünf Jahrzehnten Rad fahren noch kein Autofahrer begegnet, der mich ohne Fahrradfirlefanz* auf den Bürgersteig mobben wollte.

    *) beispielsweise sowas wie der (unbeschilderte) Streifen auf meinem Avatarbild

    Herr Schwendy sagt die Statistik spricht eindeutig für sein Kreuzungsdesign und von der Fahrbahn abgetrennte Radwege, weil dann viel mehr Rad gefahren wird und die so erzeugte zusätzliche Lebenszeit die paar mehr Opfer im Straßenverkehr deutlich überwiegt.

    Ich kann mir nicht helfen, aber ich empfinde diese Sichtweise ("fürs Großganze müssen halt paar Opfer her") extrem zynisch.

    Um dieses Bild zu ändern, reicht es nicht aus, den Leuten Unfallstatistiken zu zeigen, dass sie eigentlich im Mischverkehr auf der Fahrbahn sicherer fahren.

    Wenn man anerkennt, dass Gefühle die Grundlage vom Umstieg sind, und damit das Primat von Image und PR über die Unfallstatistik anerkennt, wäre es hilfreich, wenigstens das Kesseltreiben des Bangemachens einzustellen. Ich erwarte ja gar nicht, dass die Menschen die wahren Unfallrisiken zur Kenntnis nehmen sollen. Ich wünsche mir nur, dass die Radwege-Strippenzieher in den Menschen wenigstens nicht noch ständig nach Kräften neue Ängste wecken und bestehende Sorgen zur Phobie potenzieren würden.

    Jeder Dorfschulze, der in Anwesenheit des örtlilchen Seniorenclubs unter Gesängen der versammelten Kindergartengruppen freudig seinen neuen Radwegabschnitt zwischen Fußballplatz und Friedhof (sic!) eröffnet, schreit ein "seht her, auf der Fahrbahn müsst ihr ANGST!!! haben, da würdet ihr nämlich von hinten überfahren" in alle Welt hinaus.

    Du klingst langsam wirklich paranoid. Das Wort "Radwegebenutzungspflicht" kommt in dem verlinkten Artikel nicht einmal vor. Und falls du gelesen hättest, was ich oben zu den BUND-Positionen geschrieben habe, hättest du vielleicht sogar gemerkt, dass es dabei um das genaue Gegenteil ging.

    Es gibt keinen Radweg ohne soziale Benutzungspflicht, und diese soziale Benutzungspflicht ist die einzig relevante, weil sie Fahrbahnradlern -und das leider nicht nur auf Straßen mit Radweg, aber natürlich auch und gerade auf diesen- den Schutz der gegenseitigen sozialen Kontrolle raubt.

    Kannst du solche Aussagen auch begründen?

    Gegenfrage: welches StVO-konforme Verhalten bedingt eigentlich die Zulässigkeit einer Radwegebenutzungspflicht?

    Sobald du dich auf die Fiktion einlässt, dass Radwegebenutzungspflichten grundsätzlich zulässig sein könnten, bestätigst du das kraftfahrende Establishment im Wahn, dass das Mobbing von Fahrbahnradlern legitim ist, sobald sich erst genügend Interessenten für einen gemeinschaftlichen versuchten Totschlag zusammenrotten. Am Ende hat damit jeder Radweg dann doch mindestenes eine "soziale" Benutzungspflicht, die viel effektiver als jedes Schild und jede Polizeistreife dafür sorgt, dass die Fahrbahn für Radfahrer zur "no-Ride-Area" gerät.

    Dass der ADFC wie selbstverständlich ungefragt sein eigenes Radwege-Süppchen auf der Flamme der FFF-Bewegung kocht, zeigt auch sehr eindrucksvoll, was am Ende von allen komplexen Forderungen bei Wählern und Politikern angekommen sein wird: "mehr Radwege", eben.

    Die Forderung nach T30/70 ohne Radwege ist plumpe Erpressung: "entweder, ihr akzeptiert die Spaßbremse, oder wir kriegen unseren Radweg. Sucht's euch aus". Sicherheitstechnisch ist die Forderung aber Unsinn, denn erstens wird der Verkehr von KFZ untereinander durch einen Radweg keinen Deut sicherer, und zweitens führt die Führung der Radfahrer im Seitenraum ohne parallele Temporeduktion auf der Fahrbahn unweigerlich dazu, dass die ohenhin schon gefährlichen Knotenpunkte für sie noch gefährlicher gemacht werden.

    Auch die Fahrradmitnahme im ÖPNV fördert am Ende nur implizit die Ausgrenzung von Radverkehr ("ja, die sind halt ganz anders als wir, eigentlich sind das alles bloß rollende Fußgänger, also dürfen sie auch mit in den Bus") und legitimiert so wiederum das zu Radwebau-Forderungen führenden Mobbing der Fahrbahnradler.

    Und wozu soll bitte mehr Personal bei den Behörden gut sein, außer, um durch dieses "schneller mehr und besser vernetzte Radwege bauen" die Fahrbahn für Radverkehr kontinuierlich unwirtlicher zu machen?

    Das ist so nicht richtig. Wenn man von Kopenhagen spricht, meint man im Allgemeinen die Hauptstadtregion.

    Das ist kein Dorf. Berlin ist auch kein Dorf, nur weil London doppelt so groß ist.

    Die 820km Radfahrleistung je Einwohner habe ich durch Division der im Mobilitätsbericht 20222 der Stadtverwaltung CPH publizierten Gesamtzahl Tageskilometer der "Kopenhagener" (1,45 Mio pro Werktag) durch die Einwohnerzahl von CPH lt. Wikipedia (644.000) erhalten. Nähme man dagegen die 1,9 Mio Einwohner der Hauptstadtregion als Divisor, kämen weniger als 300km pro Kopf zusammen. Die Angabe zum Modal Split bezieht sich also wohl ebenso auf Kern-CPH (auch ohne die Enklave Frederiksborg).

    Aus der gleichen Grafik ergibt sich für die Einwohner von CPH übrigens eine PKW-Fahrleistung von 2.635 km/Jahr. "Mobilität in Städten" (2018) nennt 2.965km für Berlin. Das sind jetzt auch keine Welten Unterschied.

    Wenn die Pro-Kopf Fahrleistung in beiden Städten gleich ist, wie du oben geschrieben hast, würde es ja bedeuten, dass in Kopenhagen die durchschnittlich mit dem Rad zurückgelegten Wege gerade mal etwas mehr als halb so weit sind (*edit: oder dass in Kopenhagen insgesamt weniger Wege zurückgelegt werden).

    Verglichen mit B ist CPH ja quasi ein Dorf. Klar, dass da die Wege kürzer sind. Die MIV-km für beide Städte rauszusuchen, bin ich gerade zu faul. :saint:

    Funfact: die Summe aller Wege im Modal Split ist immer 100%, über die absolute Anzahl und die Länge je Verkehrsmittel sagt der Wert nicht das geringste.

    Subjektiv kommt mir der Radleranteil in Berlin nicht anders vor wie in München.

    Ist er auch nicht. Beide Städte liegen 2018 gleichauf bei 18%.

    Podcast beim Deutschlandfunk - Kultur: Niederlande und Dänemark - Wo Radfahren funktioniert

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/niederlande-da…ahrrad-100.html

    Liebe Vorurteile werden wie neu, wenn man sie gelegentlich durch einen niederländischen Verkehrsplanungsconsultant aufwärmen lässt. :evil:

    Die mittlere Pro-Kopf-Radfahrleistung von Villabacho-Berlin (knapp 800km/a) ist auf Augenhöhe mit Villariba-Kopenhagen (gut 800km/a).

    Klassischer Logikfehler: ein höherer Frauenanteil unter Radfahrern ist nicht Folge, sondern *Ursache* für geringere Unfallraten.

    Was auch süß ist: die seit den 70er Jahren erzielten Erfolge werden dem emsigen Radwegebau zugeschrieben. Dabei verläuft die Entwicklung der Verkehrsopferzahl in ganz Europa mit oder ohne Radwegebau quasi synchron (siehe überlagerte Grafiken der nationalen Straßenbehörden aus D, NL, F und DK, Maximum ca. 1971, danach zuerst steile, später langsame stetige Abnahme).

    Ein Großteil der anderen Gruppe war vorher gar nicht, oder zumindest nicht nennenswert mit dem Radl unterwegs und da fehlts an Übung und Reaktion.

    Dass sich die Unfallopfer weitgehend aus Neueinsteigern rekrutieren, lässt sich aus der engen Korrelation von Absatz- und Unfallzahlen schließen. Wenn dem so ist, wäre "Erfahrung" neben Lebensalter und (außerörtlichem) Einsatzgebiet eine dritte Variable, die Unfallrisiko und -schwere bedingen. Der Elektroantrieb verliert damit noch weiter an Bedeutung als eigentlicher Prädiktor fürs Risiko.

    Die UDV manipuliert. Das Unfallrisiko ist das Ergebnis aus Schadenzahl je Expositionszeit. Da niemand die km im Nenner kennt und sich auch keiner die Mühe macht, sie herauszufinden, müssen halt ersatzweise andere Größen herhalten. Die UDV hat hier bauernschlau den jährlichen Absatz als Bezugsgröße gewählt, um die These "Pedelec besonders gefääährlilch!!!!" untermauern zu können. Das ganze Gerede um die angeblich steigende Gefährlichkeit der Pedelec bricht mit lautem Puff in sich zusammen, wenn man fairerweise nicht den Absatz pro Jahr, sondern den kumulierten Bestand hilfsweise als Anhaltspunkt für die Abschätzung der Fahrleistung hernimmt. Mit dieser Korrektur der Abbildung wird die ganze Publikation müßig.

    Th(oma)s : Hast du vielleicht Unfallzahlen aus Kopenhagen?

    Bisschen was gibt es im Mobilitätsbericht 2022. Man muss dazu sagen, dass die Dänen Verkehrsopfer ganz anders erfassen als die deutsche Polizei. So gibt es zb paradoxerweise stets geringere Zahlen für leicht- als für schwerverletzte Verkehrsopfer zu verzeichnen. Darüberhinaus sind die wenigen Seiten im Mobilitätsbericht, die sich mit Verkehrsunfällen befassen, eher eine einzige Nebelkerze als brauchbare Analyse, die man mit deutschen Statistiken vergleichen kann. Immerhin findet man im zweiten Teil die Aussage, dass 11% aller Radunfälle Rechtsabbiegekonflikten entspringen - das ist, wenn das so gemeint ist, wie ich die relative Angabe interpretiere, eine mit deutschen Statistiken verglichen überraschend hohe Zahl.

    Ich habe außerdem jedesmal, wenn ich beim unregelmäßigen Googlen nach tödlichen Radunfällen in CPH von einem Rechtsabbieger lese, die Seite gebookmarkt. Da habe ich im Schnitt 1-2 Einträge jährlich - das ist pro Einwohner auf dem Niveau von Berlin, das ja bei ungefähr gleicher Radfahrleistung ca. 5x größer ist als CPH.

    Für ganz Dänemark gibt es auf der Homepage des Verkehrsministeriums eine Seite zu Rechtsabbiegerunfällen. Da stehen für die letzten Jahre im Schnitt 3-4 Todesopfer p.a. drin. Da DK 14x kleiner ist als D, liegt das -bei quasi gleicher Radfahrleistung wie in D- weit über dem Niveau von Deutschland.

    Und da schließt sich gleich die nächste Frage an, warum sind diese Abbiegeassistenten mit Notbremsfunktion nicht serienmäßig verbaut und müssen auch bei alten LKW nachgerüstet werden. Die aktuellen Vorschriften für neue LKW verlangen lediglich ein Warnsignal.

    Okay, den Notbremsassistent nachzurüsten ist bei alten LKWs möglicherweise sehr aufwendig bis unmöglich.

    Aber zumindest bei Neuwagen-LKWs muss ein Abbiege-Assistent mit Notbremsfunktion verpflichtend werden!

    In Deutschland sind 3,5 Millionen LKW zugelassen. Die Nachrüstung mit Abbiegeassistent plus Notbremsfunktion kostet vielleicht 3000 € pro Fahrzeug, macht also insgesamt etwa 10 Milliarden (plus nochmal der gleiche Aufwand für sämtliche ausländische LKW im Transit). Mit so viel Kohle kann man eine Menge sinnvolleres anfangen, zumal gefühlt 90% der Tote-Winkel-Unfälle von der überschaubaren Teilmenge an Bau- und Entsorgungsfahrzeugen verursacht werden. Wenn, dann könnte man über deren Nachrüstung reden.

    Ist doch schlüssig, oder? Wenn man davon ausgeht, dass der Radverkehrsanteil sowieso nur einen kleinen Bruchteil des Gesamtverkehrs ausmacht, dann hat bei gleicher prozentualer Abnahme aller Verkehrsteilnehmer die Abnahme des PkW-Verkehrs einen höheren Impact. Angeblich ist der Anteil des Radverkehrs während Corona ja auch noch gestiegen, drum wundert mich das Ergebnis nicht.

    Fangfrage: Was wäre deine Erwartung für einen Corona-Effekt in den Niederlanden?

    Die Zahlen derer, die im Rollstuhl landen, Gliedmaßen verlieren und das Essen/Sprechen/Schlucken neu lernen müssen, werden ja auch nicht beachtet. Meines Erachtens makaber.

    Nichts von den Holländern gelernt, wie? :evil:

    Über Fahrradunfälle spricht man in der Öffentlichkeit an besten gar nicht. Das ist nicht makaber, sondern die beste aktive Radverkehrsförderung, die man kriegen kann. Wer Radfahrer will, muss auch aushalten können, dass sich dabei Menschen, auch schwer oder tödllich, verletzen.

    Mich wundert immer wieder, dass in den Pressemeldungen dem Vergleich mit dem Vorjahr soviel Bedeutung beigemessen wird. Um einen klaren Trend festzustellen, braucht es mehrere Jahre.

    Dennoch scheint es erfreulicherweise so zu sein, dass die Zahlen auch im 5- oder 10-Jahresmittel zurückgehen.

    Leider geht bei destatis, dpa & Co niemand darauf ein, dass der Rückgang quasi vollständig auf der Abnahme der KFZ-Fahrrad-Kollisionen beruht, während sich bei Alleinstürzen nur sehr wenig bewegt hat. So nahm zB die Anzahl der tödlichen PKW-Fahrrad-Zusammenstöße innerorts um satte 38% (von 88 auf 55) ab. Auch innerörtliche LKW-Fahrrad-Unfälle gingen stark zurück, was v.a. an der Halbierung der "Tote-Winkel"-Unfälle liegt (siehe Hamburg-Unfall-Faden).

    Vielleicht doch? Wenn der Verkehrsminister für jeden solchen "Unfall" ein Jahr Knast bekäme, würde sich vermutlich sehr schnell was ändern.

    Es ändert sich gerade was. Während ich von 2013 bis 2020 immer so um die 30-40 tödliche LKW-Rechtsabbieger jährlich erfasst habe, sind es in 2021 und in der ersten Jahreshälfte 2022 nur knapp die Hälfte davon gewesen. Über einen derart langen Zeitraum sollten sich statistische Schwankungen allmählich rausgemittelt haben. Auch ein Corona-Effekt kann das mittlerweile nicht mehr sein.