[Dass die Angst vor dem Auto von hinten angeboren wäre,] ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, Unsinn. Ohne dass vorher jemand Radfahrer mit dem „Radwege-sooo-sicher“-Virus infiziert, kommt keiner auf die Idee, Autos von hinten könnten ein Problem sein.
Mal ein schönes aktuelles Beispiel wie dieses Animpfen mit dem Auto-von-hinten-Virus so abläuft:
Schlagzeile "Immer wieder tödliche Unfälle: das sind die Gefahrenstellen für Radfahrer in Frankfurt"
Reality Check: es gab in 11,5 Jahren 29 Tote beim Radeln in FFM, wovon nur 14 mit Beteiligung von fahrenden KFZ innerorts waren. Die Ereignisse verteilen sich wahllos über das gesamte Stadtgebiet, die Unterstellung, es gäbe besondere "Gefahrenstellen" ist somit Blödsinn.
Einleitender Satz des Redakteurs:
Zitat
"Bei Unfällen zwischen Autos und Radfahrern ziehen letztere oft den Kürzeren – mit schweren oder gar tödlichen Verletzungen."
"Oft" ist angesichts der bereits erwähnten niedrigen Zahl der Toten unangemessen. Aber auch bei Schwerverletzten trifft diese quantitative Angabe nicht zu. Der Destatis Unfallatlas gibt für FFM im Mittel über die letzten 8 Jahre 62 Schwerverletzte unter Beteiligung von KFZ an. Das ist für eine Metropole von der Größe FFMs mit 20% Radanteil nicht "oft" sondern "selten". Auch streuen die Schwerverletzten ohne erkennbare Schwerpunkte anders als vom Aufmacher suggeriert gleichmäßig über das ganze Stadtgebiet (eigene grafische Auswertung der Opendata aus dem Unfallatlas).
Nach den einleitenden Nebelkerzen schreiten nun die "Experten" (hüstel) zur Stellungnahme. Zuerst der Fachmann der NGO "Ghostbike Frankfurt":
Zitat
"Die Hauptursachen für tödliche Fahrradunfälle liegen laut „Ghostbike Frankfurt“ im Verhalten der Autofahrer. Das Nichteinhalten des vorgeschriebenen Abstandes von mindestens 1,50 Meter beim Überholen [...] sowie Ablenkung durch Handynutzung seien häufige Unfallursachen. Die Organisation betont die Notwendigkeit einer besseren Verkehrsinfrastruktur, wie baulich getrennte Radwege"
Wir lernen also: "Überholen (und Handy) ganz schlimm tödlich". Realtity Check: Von den 14 Todesfällen mit KFZ war genau nullmal Handy im Spiel und nullmal Unterschreitung des Mindestabstandes. Zudem dürfte der Leser mit "Autofahrern" wohl auch nur PKW-Lenker assoziieren, da waren es dann ohne Ansehen des Unfallhergangs auch eh nur noch 6 Fälle, einer davon ein Frontalzusammenstoß auf einem innerörtlichen Autobahnabschnitt.
Dann folgt der Auftritt des Experten von der Polizei:
Zitat
"Zu den häufigsten Unfallursachen zählen nach Angaben der Polizei [...] Fehler beim Überholen [und] falsche Fahrspurwahl"
Reality Check: unter den schweren und tödlichen Fällen mit KFZ-Beteiligung im Unfallatlas finden sich 6 Ereignisse jährlich mit dem Unfalltyp "im Längsverkehr" und den Unfallarten "seitlich nebeneinander" bzw. "von hinten gerammt". Ein unbekannter Teil dieser Unfälle beruht zudem noch auf Kollisionen, die auf Fehlverhalten des beteiligten Radfahrers resultierten. "Falsche Fahrspurwahl" klingt ebenfalls schwer nach "im Fahrbahnmischverkehr" und "von hinten", ist aber gar keine amtliche Unfallursache. Der Experte meint da vielleicht die Ursache 10 aus dem amtlichen Katalog (= "Benutzung der falschen Fahrbahn, auch Richtungsfahrbahn oder verbotswidrige Benutzung anderer Fahrbahnteile") was gerne als Auffangtatbestand für das nicht als eigenständige Ursache eistierende radwegetypische Gehweg-, Gehweggeister- und Radweggeister-Radeln eingetragen wird.
Quintessenz: der oberflächliche Zeitungsleser (und wer wäre das nicht) nimmt von dem ganzen Sermon nur die Message "Fahrbahn = Selbstmord" mit, fertig ist die nächste Umdrehung im Teufelskreis aus nichtangeborener Fahrbahnangst und Fahrbahnmeidung.