Nach dem ich mir gestern abend mal das Urteil im Original https://research.wolterskluwer-online.de/document/3930e…d2-6fcb4132e516 angeschaut habe, kann ich irgendwie nicht mehr so recht nachvollziehen, warum Knie das als vorher angeblich verboten bezeichnet ...
Ich habe mich auch schon gefragt, ob denn das Laternenparken" vorher strikt verboten war. Denn zu dieser Überlegung kann man kommen, wenn man die Darstellung von Andreas Knie liest: "Ein Bremer Kaufmann hatte seinen Kleinlastwagen, mangels eines geeigneten
privaten Stellplatzes, abends und am Wochenende einfach am Straßenrand abgestellt und war deshalb mehrfach von den Bremer Ordnungskräften abgemahnt worden."
Du schreibst ja:
Wahrscheinlich war es das [das Laternenparken] nie [verboten] und man konnte, wenn man wollte, auch Kutschen schon unter der "Laterne" parken, nur waren dann die "1-PS-Motoren" irgendwann verhungert, wenn man das zu lange mit "laufendem Motor" machte, wie der Bremer übers Wochenende, weswegen sich die Frage seltener stellte bzw. der Motor irgendwann weitergelaufen ist ...
Hatte denn der Bremer Kaufmann den Motor seines Wagens laufen lassen, als er auf den Bremer Straßen nachts und am Wochenende parkte? Hatte ich das überlesen in der von dir angegebenen Quelle? Der Bremer Laternenparker war jedenfalls ein Kaufmann und sein 2-t-Lieferwagen im damaligen Vergleich schon recht groß. Das ist ein Foto von einem Borgward-Lieferwagen-Oldtimer:
Ich weiß aus eigener Erinnerung, dass zumindest im ländlichen Raum es auch in den 90er-Jahren noch verpönt war, sein Fahrzeug auf der Fahrbahn zu parken. Weil aber in immer mehr Familien der Zweitwagen und häufig auch noch ein Dritt- und Viertwagen üblich wurden, reichte der Platz auf den Grundstücken häufig nicht, oder die Familien waren nicht bereit, dafür den Garten zu verkleinern, dass auf dem Grundstück mehrere Fahrzeuge hätten unterkommen können. So setzte es sich nach und nach durch, dass diejenigen Dorfbewohner, denen das Zuparken der Dorfstraßen missfiel, als kinderlose Nörgler abgestempelt wurden, die nichts zu melden hatten.
Ich lese die Abhandlung von Andreas Knie nicht in dem Sinne, dass vorher das sogenannte "Laternenparken" strikt verboten war und aufgrund des Bremer Urteils von heute auf Morgen plötzlich erlaubt wurde. Zumal sich die Urteilsfindung über eine Zeitraum von 10 Jahren erstreckte, in denen der Auto-Bestand in Westdeutschland sich vervielfachte.
1955: 5,8 Millionen KFZ, davon 1,8 Millionen PKW
1965: 14,3 Millionen KFZ (fast dreimal so viel), davon 10,5 Millionen PKW (also mehr als fünfmal so viel PKW)
Agenda 21; Daten; KFZ-Bestand Deutschland 1950 bis 2000
Vielmehr macht Knie darauf aufmerksam, wie die Einstellung der Gesellschaft sich verändert hat. Denn es wird an mehreren Stellen in dem von dir verlinkten Text deutlich, dass es begründete Hindernisse gab, die gegen das Laternenparken sprechen. Nicht zuletzt wird mehrfach auf §1 StVO Bezug genommen: "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."
Genau das ist doch der Grund, wenn zum Beispiel eine Verkehrsverwaltung in einer Fahrradstraße einen Handlungsbedarf dafür sieht, das Parken einzuschränken. Den Fahrradfahrenden soll es möglich sein, in der Fahrradstraße (die für den Autoverkehr freigegeben ist) nebeneinander zu fahren, ohne immer auf Hintereinander fahren "umschalten" zu müssen, wenn Gegenverkehr kommt.
Wenn in einer Fahrradstraße (legal) so geparkt werden kann, dass dort ein angenehmes Nebeneinanderfahren von Fahrradfahrenden nicht möglich ist, weil diese von Autofahrenden zum Hintereinanderfahren gezwungen werden, dann werden diese Fahrradfahrenden behindert und belästigt. Erschwerend kommt dazu, dass meistens nur eine Person im Auto sitzt, aber diese Person zusätzlich einen leeren Beifahrersitz spazieren fährt.
1965, so Knie, war die Autobegeisterung so ungetrübt und wurde von so viel Menschen geteilt und wurde nur von so wenigen Zeitgenossen in Frage gestellt, dass es nicht mit heute vergleichbar ist. Besonders die Anzahl der Menschen, die ganz bewusst ohne Auto mobil sind, hat deutlich zugenommen im Vergleich zu 1965. Und auch die Menschen, die aufgrund von Behinderung oder niedrigem Einkommen nicht in der Lage sind, sich ein Auto zu leisten, melden sich vermehrt zu Wort, um mehr Rechte für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer*innen einzufordern. Darauf macht Knie mit seiner Abhandlung über das Zustandekommen des Bremer Laternenparker-Urteils von 1955-1965 zu Recht aufmerksam.
https://bibliothek.wzb.eu/artikel/2021/f-24377.pdf