Im Fernverkehr wird’s mit Fahrrad jetzt ganz besonders witzig. Das Problem der defekten Schweißnähte im neuen ICE 4, das sich schon vor ein paar Monaten ankündigte, ist jetzt akut geworden: Einige mit ICE 4 geplante Verbindungen fallen jetzt aus oder werden mit anderen Zügen geleistet.
Vor ein paar Tagen fragte ich frech bei @DB_Bahn auf Twitter nach, was denn mit meinem Fahrrad passiert, wenn wegen der Schweißnähte jetzt ein ICE 1 statt eines ICE 4 vorgefahren kommt, aber @DB_Bahn meinte, das werde nicht planmäßig passieren.
Nun wollte ich am Freitag eigentlich mit dem ICE 697 von Hamburg nach Berlin fahren, um Sonnabend mit dem Fahrrad von Berlin nach Hamburg zurückzudüsen (sofern denn die Ferse hält, aber das ist eine andere Geschichte) aber dummerweise, naja, fällt die Fahrt aus und niemand weiß, was stattdessen am Bahnsteig stehen wird.
Soweit, so schlecht. Ich ging also ins Reisezentrum am Hamburger Hauptbahnhof, um mir meine Optionen erklären zu lassen. Schon das Personal direkt am Eingang, das die Wartenummern verteilte, präsentierte mir eine abschließende Aufzählung ebenjener Optionen:
- Gucken, ob in nachfolgenden Zügen noch Platz für Fahrräder sein wird. Am Freitagabend in der allerbesten Sommerzeit eher unwahrscheinlich.
- Nahverkehr fahren. Am Freitagabend in der allerbesten Sommerzeit schon ohne Fahrrad schwierig — abgesehen davon, dass ich dann locker doppelt so lange unterwegs wäre. Und das ist bei Nahverkehrsverbindungen, die nur alle zwei Stunden fahren, schon gleich ein Verzug von insgesamt vier Stunden.
Naja. Ich ließ nicht locker und sprach noch mal direkt im Reisezentrum vor, nachdem die Kollegen dort einen Bereich von knapp 70 Wartenummern in einer halben Stunde abarbeiteten. Und das lohnte sich: Es gibt eine inoffizielle Regelung, die auf einem Blatt Papier mit einem lustigen Fahrrad-Comic abgedruckt ist, dass in ICE-1-Verbindungen, die als Ersatz für den ICE 4 fahren, vier Abteile im Wagen 1 für Fahrräder reserviert werden sollen. Leider durfte ich das nicht fotografieren, alleine die lustige Darstellung eines Radfahrers wäre es wert.
Okay, jetzt mal unter uns gefragt: Wer glaubt, dass die Fahrradmitnahme reibungslos funktioniert?
Ich mein, sorry: „LOL“.
Okay, Hamburg-Altona, 17:14 Uhr, ein ICE 1 fährt auf Gleis 12 rein. Sechs Minuten Zeit zum Zustieg sind in Hamburg-Altona ohnehin schon ziemlich mutig bemessen, aber man nimmt ja was man kriegt, nicht wahr?


Und das mit dem nehmen, was man kriegt, das gilt natürlich umso mehr in einem Zug, in dem die Reservierungen nicht gelten, der weniger Sitzplätze als der eigentlich vorgesehene ICE 4 bietet und der der Prognose zufolge superstark ausgelastet sein soll.
Hier sind nun tatsächlich die versprochenen vier „Fahrradabteile“. Das blöde ist halt: Vorne klebt zwar ein Zettel, „Tür defekt“, mit der kaum erkennbaren Aufschrift „Fahrradabteil“, aber mal im Ernst: Wer liest denn das durch? Zwei Fahrgäste diskutierten kurz über den Zettel, gingen davon aus, dass wohl die Schiebetür des Abteils defekt wäre und nahmen fröhlich Platz:




Okay, und nun stellt euch mal vor, da kommt Malte Hübner und sagt, nee, sorry, das ist das Fahrradabteil, hier möchte ich gerne mein Fahrrad abstellen. Das ist für die Leute vermutlich das abwegigste, was sie in dieser Woche gehört haben. Und ich kann es ihnen nicht verdenken: Wer geht denn davon aus, dass in diesem Abteil mit sechs Ultrabequemsitzen und einem Tisch Fahrräder stehen sollen? Also: Wo sollen denn Fahrräder stehen?

Ehrlich, hätte ich mich nicht vorher informiert, ich würde auch denken, Spinner, hau mal schön ab, der nächste möchte dann gerne seinen Elefanten im Suppenwagen abstellen? Insofern war auch der Dialog zwischen den Fahrgästen und mir wenig fruchtbar, beinahe eher ein Monolog, in so große Augen habe ich schon lange nicht mehr geschaut. Aber Augenbling hin oder her, man gibt halt seinen Sitzplatz in einem ausgebuchten Zug ohne Reservierungen nicht auf, weil irgendjemand da was mit Fahrradabteil skandiert.
Tja. Die Uhr tickt, noch zwei Minuten bis zur Abfahrt. Jetzt das Fahrrad einfach in den Gang stellen, damit den Wagen 1 faktisch vom Rest des Zuges trennen und allen auf den Sack gehen? Oder erstmal den Zugbegleiter suchen, der zuletzt irgendwo im Bereich des Suppenwagens gesehen wurde und den Fahrgästen die Modalitäten der Erstattung der Reservierung erklärte? Da sind ja nur so gefühlt 200 Fahrgäste am Zug, die alle genau wissen wollen, was nun plötzlich ihrer Sitzplatzreservierung widerfahren ist.
Äh, by the way, Sitzplatzreservierungen — welche Art von Reservierungen zeigt eigentlich die elektronische Anzeige an den Abteilen an, die eigentlich für die Fahrradmitnahme vorgesehen sind? Einfach irgendwelche Reservierungen, die noch auf der Diskette gespeichert waren, die noch von der letzten planmäßigen Fahrt im Rechner steckte? Oder sind das die umgebuchten Fahrradreservierungen? Äh, fünf Räder in ein Abteil, obwohl der ganze ICE 4 doch eigentlich nur acht Räder befördert? Das passt alles vorne und hinten nicht, aber natürlich nehmen die Fahrgäste ohne Fahrrad diese Reservierungen gerne an. Wenn „Hamburg–Berlin“ draufsteht, kann es so verkehrt ja nicht sein:

Und was passiert, wenn der Zugbegleiter noch gar nichts von der frohen Kunde weiß, dass er im Wagen 1 vier Fahrradabteile herumfährt, weil er den Zug gerade von Kollegen übernommen hat und den Zettel mit dem lustigen Fahrradcomic nicht gelesen hat? Was ist, wenn er gerade andere Sorgen als einen renitenten Radfahrer hat? Und was, wenn der Zug einfach abfährt, während Schneeweißchen noch draußen auf dem Bahnsteig steht?
Noch eine Minute. Scheiß drauf, ich bleibe zu Hause. Ich habe es einfach satt, dass quasi jede Fahrt mit Fahrrad und Bahn dermaßen stressig wird.
Ein Kollege berichtete mir auf Nachfrage, dass der Zug gegen 17:38 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof abgefahren wäre, und dort mindestens zwei Radfahrer eingestiegen wären. Er habe sich schon gewundert, was die in einem ICE 1 zu suchen hätten — vielleicht hatten die ja mehr Glück. Ich bin’s mittlerweile echt leid.
Vielleicht stünde mir ein bisschen mehr Arschloch ganz gut zu Gesicht.
Und der Witz ist halt auch: Geld zurück gibt’s nicht. Erstens hätte ich mit meinem Ticket ja mit dem Nahverkehr fahren können, zweitens gab es ja nicht nur einen Ersatzzug, sondern auch die theoretische Möglichkeit einer Fahrradmitnahme, drittens besteht laut Beförderungsbedingungen nunmal kein Anspruch auf Mitnahme des Fahrrades. Soll wohl heißen: Selbst schuld, wer’s trotzdem versucht. Immerhin hält sich mein wirtschaftlicher Schaden mit knapp 40 Euro in Grenzen — und die Ferse wird dankbar sein.
Falls bei anderen Fahrrad-Fahrgästen auf diese Weise aber ein mehrtägiger Ausflug in die Hose geht, beziehungsweise womöglich die bereits gebuchten Hotels oder Folgeverbindungen nicht mehr storniert werden können, wären die Leute bestimmt nicht mehr so ganz entspannt.