Was ist denn der ordentliche, verständige Mensch?
Waren zum Zeitpunkt des Unfalls (Helmtragequote 11%) etwa 89% der Radfahrer nicht ordentlich und verständig?
Das steht in der Pressemitteilung:
ZitatDies wäre hier zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre.
Gibt es diesen ordentlichen, verständigen Menschen überhaupt? Ist ordentlich und verständig das, was die Mehrheit tut oder bemisst sich das an objektiven Kriterien?
So wie ich die Pressemitteilung verstehe, bemisst sich das nur daran, was die Bevölkerungsmehrheit tut.
Die Gerichte haben wohl im Logik-Grundkurs gepennt. Ich reduziere das mal auf vier Fälle:
Objektiv sinnvoll | Objektiv unnötig | |
hohe tatsächliche Nutzung | Teilhaftung | ?? |
geringe tatsächliche Nutzung | Keine Teilhaftung | Keine Teilhaftung |
Wenn Helme objektiv sinnvoll sind und (fast) jeder einen trägt, dann kann man dem Helmverweigerer das anlasten, er hätte es besser wissen müssen. Andere Beispiele sind Anschnallgurte im Auto und Schuhe beim Radfahren.
Wenn Helme zwar sinnvoll sind, sie aber fast keiner trägt, dann sollte man es vom Einzelnen auch nicht erwarten (z. B. auch Verschlüsseln vom Internetkommunikation).
Wenn etwas unnötig ist und keiner es macht, kann man es natürlich auch von niemanden erwarten.
Soweit so gut, den drei Feldern steht das Urteil nicht entgegen.
Problematisch ist der Fall, wenn viele Leute eine objektiv unsinnige Maßnahme ergreifen. Das Urteil legt hier nahe, dass es dann trotzdem jeder tun sollte.
Wenn ich z. B. gelbe Augen habe und die Bevölkerungsmehrheit von der Sinnhaftigkeit der Homöopathie überzeugt ist, ich mich aber weigere, stark verdünntes Düngemittel (Kaliumsulfat) einzunehmen, dann müsste ich wohl einen Teil der Behandlungskosten / Folgekosten einer Lebererkrankung selber tragen.