Ich habe das Gefühl, dass grundsätzlich seit einiger Zeit das Trump-Prinzip auch hierzulande Einzug gehalten hat.
Ich erinnere mich noch an meine Zeit an der Fachhochschule Wedel, als ich mich mit meinem Kommilitonen hin und wieder über Umweltthemen unterhalten hatte. Wir waren uns zwar nicht immer ganz einig, wie groß der anthropogene Anteil am Klimawandel sein mag und wie groß die Auswirkungen unseres Lebensstils sein mögen, aber wir waren uns grundsätzlich einig: Das Klima ändert sich und es ist eine gute Investition in unsere Zukunft, den menschlichen Einfluss auf das Klima möglichst gering zu halten.
Ich habe dieses Ideal für mich so gut es geht umgesetzt: Ich esse nur noch einmal pro Woche Fleisch, ich habe vor zwei Jahren meinen Polo abgeschafft, ich verzichte auf Flugreisen und verbrauche unterdurchschnittlich viel Energie für einen Single-Haushalt. Ich habe da natürlich bessere Voraussetzungen, Fernbeziehung, keine Kinder, einer vierköpfigen Familie wird das vielleicht schon etwas schwerer fallen.
Einige meiner Kommilitonen teilen mittlerweile andauernd die üblichen PI-News-Beiträge über Klimahysterie, Umvolkung und Reichsbürger-Ansichten mit Grenzen von 1937. Weihnachten traf ich einen früheren Mitschüler wieder, der mittlerweile einen Doktortitel (?) in Chemie (???) hat, der sich angesichts meiner Fahrradaktivitäten auch erstmal über die ökologische Klimadiktatur der Grünen auslassen musste, denn schließlich könnte man ja leicht bei Google nachsehen, dass es keinen Klimawandel gibt.
Und da denke ich mir: Das stimmt nicht. Man kann einfach nicht abstreiten, dass sich das Klima wandelt. Das Klima hat sich schon immer geändert, das Klima wird sich auch weiter immer geändert, die strittige Frage ist doch eigentlich, wie die Konsequenzen aussehen, wenn eine Temperatursteigerung von fünf Grad Celsius, die früher vielleicht in einem Zeitraum von mehreren Jahrtausenden stattfand, plötzlich auf 150 Jahre beschleunigt wird — und ob wir uns nicht darauf vorbereiten sollten.
Stattdessen wird immer hartnäckiger geleugnet, dass es überhaupt eine Temperaturänderung gibt. Insektensterben? Eine Erfindung der Grünen, um uns ein schlechtes Gewissen zu machen. Grundwasserbelastung durch Überdüngung? Panikmache, um uns die Lust am Fleischkonsum zu vergrämen. NO2-Belastungen? Reine Panikmache, um uns das Auto wegzunehmen. Mülltrennung? Ein Verbrechen am deutschen Volk, das wieder im eigenen Müll wühlen muss. Kein Witz: Das sind allesamt Argumentationen, die in echten Gesprächen da draußen in der wirklichen Welt gefallen sind.
Ich weiß nicht, woher diese Argumentationen plötzlich kommen, die haben sich nach meiner Beobachtung erst ein den letzten 18 Monaten entwickelt. Man interessiert sich nicht mehr für wissenschaftliche Zusammenhänge, unbequeme Wahrheiten erfahren eine regelrechte Umdeutung dahingehend, dass es nur darum ginge, das „deutsche Volk“ wieder und wieder zu drangsalieren. „Die da oben“ wollten uns fertig machen — und das jetzt plötzlich wieder die Phrase „deutsches Volk“ anstatt „Deutschland“ oder „Deutsche“ Anwendung findet, halte ich mindestens für bedenklich.
Langsam etwas schauderhaft finde ich die Kommentare unter den Artikeln bei WeLT Online. Zum Thema Diesel-Fahrverbote aufgrund der Stickoxidbelastungdiskutieren Leser, die noch nicht einmal Feinstaub von Stickoxiden unterscheiden können und auf die Fehlinformation mit dem Grenzwert von 950 µg pro Kubikmeter bei Bureauarbeitsplätzen reingefallen sind. Beim Klimawandel ist im Kommentarbereich ebenfalls nicht mit sinnvollen Beiträgen zu rechnen, dort geht’s hauptsächlich um die Leugnung jeglicher Klimaänderungen. Und das bedenkliche daran ist: Solche Meinungen strahlen seit einiger Zeit deutlich vom rechten Rand in die bürgerliche Mitte aus.
Mindestens einmal pro Woche erscheint auf den einschlägigen Nachrichtenportalen die Nachricht, dass Umweltthema x jetzt wieder ganz brisant ist und dringender Handlungsbedarf bestünde. Aber die Menschen sind diese ständigen Alarmmeldungen überdrüssig: Wir leben schließlich immer noch. Vor dem Insektensterben wurde im letzten Herbst Dutzende Male gewarnt, aber: Wir leben noch. Mikroplastik im Meer und im Essen: Wir leben noch. Dieses Gefühl der permanenten Alarmsituation führt dazu, dass insbesondere Umweltthemen mittlerweile an jeder Ecke im Netz lächerlich gemacht werden. Ich sehe dahinter durchaus ein System: Je häufiger der Konsument liest, der Klimawandel wäre nur eine Erfindung der Grünen, je häufiger solche Meldungen in abstruse Kontexte eingebettet werden, desto lächerlicher wird das Thema angenommen. Das nimmt dann so abstruse Züge an, dass sogar bei der Grundwasserbelastung durch Gülle die üblichen Klimaleugner zugange sind.
Mit dabei ist immer wieder die Forderung nach einem Dexit, also einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Und wenn man sich mal den Kontext reinzieht, in dem diese Forderungen laut werden, puh, dann bekommen wir langsam wirklich ein Problem:

Das ist ein Thema, das sich nicht durch Totschweigen löst. Diese Probleme werden auch nicht mit Ausgrenzung der AfD aus dem parlamentarischen Alltagsgeschäft bewältigt. Wenn die SPD sich in ein paar Tagen einer Regierungsbeteiligung verweigert, dürften ja höchstwahrscheinlich Neuwahlen folgen, bei denen plötzlich 20 oder 25 Prozent für die AfD aufgerufen werden. Und dann wird’s ungemütlich, was Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit angeht.
Und vor allem stehen uns dann bundesweite Volksentscheide ins Haus. Ich kann mich in der momentanen gesellschaftlichen Situation nicht mit solchen Volksentscheiden anfreunden, dann wären wir nicht nur aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ratzfatz ausgetreten, sondern auch aus der Europäischen Union. Die direkte Demokratie würde schnell zum Spielball der Lobbyisten: Ich bräuchte nur eine Webseite und ein paar Stunden Zeit pro Woche, um eine Dexit-Kampagne zu organisieren. Einfach aufschreiben, was uns die Europäische Union kostet, dass wir deshalb so viele Flüchtlinge im Land haben und die Gurkenverordnung und zack, schon läuft die Sache.
Dass mir auf diesen Einwand vor ein paar Wochen entgegnet wurde, bundesweite Volksentscheide würden schon nicht so schlimm, die Schweiz wäre ja auch noch nicht aus der Europäischen Union ausgetreten, passt wieder zu diesem Trump-Prinzip: Fakten interessieren einfach niemanden mehr.