27. Februar: Ökonomie und Ökologie

  • 18:30 Uhr

    Ich habe ja eine ganze Weile überlegt, welches Fahrrad ich heute nehme. Darf man Falträder mit in den Landtag nehmen? Ich legte mir schon die richtigen Worte für diesen Beitrag zurecht, wenn Brompti an der Pforte bei der Ausweiskontrolle abgewiesen würde. Dann sah ich jemanden, der sein „richtiges“ Rad mit in den Eingang schleppte und dachte mir, okay, das kann ich auch. Brompti brauchte an der Pforte keinen Ausweis, wurde aber ausführlich und interessiert begutachtet wie ein kleiner Hund, anschließend durfte ich sogar Paternoster fahren. Das haben andere Mitglieder der FDP nicht so gut hinbekommen.

    Es stellte sich dann heraus, dass myBoo mit gleich drei Fahrrädern hier zugange war und anscheinend eine kleine Ausstellung vorbereitet hatte. Aha, dachte ich mir, aber warum denn nicht, besser es werden Fahrräder ausgestellt als SUVs, die ich eher auf einer FDP-Veranstaltung vermutet hätte.

    Für Gäste gab’s eine Visitenkarte und ein Katzenauge. Nette Idee, aber dafür braucht man ja mindestens zwei, nein, vier von den Teilen. In Bromptis 18"-Räder passt das Ding sowieso nicht.

    19:05 Uhr

    Es geht pünktlich los. Carsten Kock moderiert. Es folgen Grußworte und Begrüßungen von Dr. Thilo Rohlfs, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, Kay Richert, MdL verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion.

    Ich lerne, dass Schleswig-Holstein das Energiewende-Land Nummer 1 wäre und man daran experimentiert, wie man mit der ganzen Windkraft beispielsweise Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe erzeugen kann.

    Nach zehn Minuten hat immer noch niemand über das Auto gesprochen, stattdessen geht’s noch immer um den öffentlichen Personennahverkehr, der sich künftig nicht mehr an starren Buslinien orientieren wird, sondern je nach Bedarf autonom seine Fahrgäste von A nach B bringen werde. Man will ein Pilotprojekt auf Sylt starten, die Insel wäre stark vom Verkehr belastet.

    Stichwort Fahrverbote: Niemand kann ernsthaft ein Fahrverbot am Theodor-Heuss-Ring wollen. Damit würde nur die Feinstaub-Problematik (???) gelöst, aber nicht der Umleitungsverkehr und die damit einhergehenden Belastungen anderer Straßen. Man habe eine halbe Million Euro lockergemacht, um ein Fahrverbot in Kiel mit intelligenten Verkehrsleitsystemen zu verhindern.

    Ah, schön, es gibt eine Aufzeichnung des Videos, da muss ich ja nicht so viel mitschreiben: Hier geht’s zur Aufzeichnung der Veranstaltung

    19:15 Uhr

    Der so genannte Impulsvortrag von Julia Wolf, Projektmanagerin Automatisiertes und Vernetztes Fahren Region Nord bei Interlink GmbH, ist leider sehr schnell und wechselt rasch die Themen. Das macht es etwas schwieriger, den Themen neuer Mobilität zu folgen.

  • An der Podiumsdiskussion nehmen teil:

    • Julia Wolf, Interlink GmbH
    • Dorothee Saar, Deutsche Umwelthilfe e.V.
    • Maximilian Schay, myBoo
    • Dr. Michael Niedenthal, Verband der Automobilindustrie e. V. (VDA)
    • Dennys Bornhöft, Umweltpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion

    Bislang werden aber nur die übliche Argumente ausgetauscht.

  • Bei bestimmten Themen merkte man dann aber doch, dass die FDP saß: Am Ende möge bitte der Markt die beste Lösung innerhalb der von der Politik vorgegebenen Rahmenbedingungen finden.

    Die Steuern auf Diesel wären nicht zu niedrig, sondern jene auf Benzinkraftstoffe zu hoch. Puh. Man komme mit Verboten nicht weiter, sondern solle bitte die positiven Verkehrsträger vergünstigen. Hmm. Momentan läuft es aber andersherum: Die Fahrkarten für den öffentlichen Personennahverkehr werden deutlich teurer als Fahrten mit dem eigenen Auto, meistens wird noch nicht einmal Falschparken sanktioniert.

    Zwischendurch wird vorgerechnet, dass mehrere Millionen Pendler mindestens eine halbe Stunde zu ihrem Arbeitsplatz führen. Bestimmt richtig, aber wenn ich an den Straßenverkehr in Hamburg denke, entspricht eine halbe Stunde in der Großstadt ja gerade mal sechs bis neun Kilometern. Ich muss da immer an sieben meiner früheren Nachbarn denken, die ungefähr zeitgleich mit ihren Autos in die Innenstadt gefahren sind. Ich legte diese Strecke in einer Dreiviertelstunde zurück, die Leute mit dem Auto sind im besten Fall genauso schnell, meistens eher langsamer. Auf die Idee, die ebenfalls parallel fahrende S-Bahn zu nutzen, kamen die Leute nicht. Tja.

    Ganz zum Schluss kommt dann endlich noch mal der obligatorische Rentner, der sich über die vielen Radfahrer ärgert. Der fährt in seine wunderschöne Stadt, steigt aus dem Auto raus und muss aufpassen, nicht von einem Radfahrer überfahren zu werden, weil er fast auf dem Radweg geparkt hätte.

    Schlussfrage von Carsten Kock: Welches Fahrzeug fährt man in zehn Jahren?

    Auf dem Podium wird etwas herumgedruckst, vom Car-Sharing bis zum Elektroauto oder immer noch Diesel.

    Ich fahre dann immer noch Fahrzeuge von Siemens, Bombardier, Trenga oder Brompton.

    Das ist dann vielleicht doch der Unterschied zwischen mir und der FDP.

    Vor allem merkt man aber einen großen Unterschied zwischen der schleswig-holsteinischen Landtagsfraktion der Freidemokraten und der Hanseatischen FDP, die mehr gegen Radfarher poltert.

  • Man habe eine halbe Million Euro lockergemacht, um ein Fahrverbot in Kiel mit intelligenten Verkehrsleitsystemen zu verhindern.

    Meinen die damit eigentlich ernsthaft, dass die LKW von den Fähren statt auf direktem Weg über die Stadtautobahn einmal quer durch die Innenstadt fahren?

    Viel intelligentes ist mir noch nicht aufgefallen. Außer, dass dadurch die Messstationen Theodor-Heuss-Ring und Bahnhofsstraße umfahren werden und die Schadstoffwerte in Kiel sinken werden...

  • Die Kieler FDP macht derweil deutlich, für welche Verkehrspolitik und Lebensweise sie tatsächlich steht: Bornhöft ist neuer FDP-Chef in Kiel

    Annkathrin Hübner betont:

    Zitat

    "Ich habe keine Lust mehr, mich mit linksgrünen Verschwörungstheorien zu beschäftigen" und "immer nur über Fahrräder und Parkplätze zu diskutieren", rief Hübner und sprach wörtlich von "Klimahysterie". Sie wolle "endlich auf allen Feldern progressive Politik für die Stadt machen". Die Ratsfrau bekannte sich ausdrücklich zum Kreuzfahrttourismus in Kiel und beschwor die liberalen Kernkompetenzen Wirtschaft, Tourismus, Digitalisierung und Stadtgestaltung. Sie wolle das Profil der FDP schärfen und neue Impulse setzen.

    Natürlich dürfen auch die Parkplätze nicht fehlen:

    Zitat

    Mit großer Mehrheit nahmen die FDP-Mitglieder einen siebenseitigen Antrag des FDP-Arbeitskreises Programmatik zur Verkehrspolitik in Kiel an. Darin setzt die FDP sich deutlich von Rot-Grün in Kiel ab. Er formuliert als erste Priorität: "Die einfache Erreichbarkeit der Innenstadt mit dem Auto ist für uns von besonderer Bedeutung." Sie sei "erheblich wichtiger und dringender als Gedankenspiele über einen komplett kostenlosen ÖPNV".

    Als weitere Prioritäten werden genannt, das Baustellenmanagement in Kiel zu verbessern, die nächtliche Parkplatzsituation in Wohnstadtteilen zu entlasten, die Bustakte zu Spitzenzeiten zu erhöhen und die Schnellbuslinien auszubauen.

    Und das ist dieser lustige Widerspruch der Freidemokraten: Einerseits soll alles irgendwie progressiv und modern und smart sein, andererseits kommt immer diese Autoautoautoautoauto-Nummer hoch. Die nächtliche Parkplatzsituation ist sicherlich extrem angespannt, so genanntes Notparken wird gegebenenfalls auch im Straßenbegleitgrün oder im Vorgarten des Nachbarn betrieben — ob da auch wieder die üblichen smarten Lösungen helfen sollen?

    Und was soll die alberne Verdichtung des Busfahrplanes? Entweder sorgt man für einen ordentlichen öffentlichen Nahverkehr oder man lässt es bleiben. Aber wenn stattdessen das Auto immer an erster Stelle der Verkehrspolitik ruht, gibt es für den Großteil der Kraftfahrer überhaupt keinen Anlass, das Verkehrsmittel zu wechseln, dann rutscht der öffentliche Nahverkehr wieder in diese Ecke, in der er in meiner Jugend steckte: Als Verkehrsmittel für Arbeitslose, Studenten und Schüler. Und ohne eine Reduzierung des Kraftverkehrs bringt auch der dichteteste Busfahrplan nichts, wenn alle gemeinsam im Stau stehen.

    Immerhin weiß man jetzt wieder, wofür die Freidemokraten stehen — von diesem unaufgeregten „kein Verkehrsmittel darf bevorzugt werden“ ist plötzlich gar keine Rede mehr.

  • „kein Verkehrsmittel darf bevorzugt werden“

    Das heißt doch sowieso nichts anderes als "man darf den Autoverkehr nicht einschränken".

    Radfahrer auf die Fahrbahn = Benachteiligung des Autoverkehrs

    Tempolimit = Benachteiligung des Autoverkehrs

    Busspuren, Radfahrstreifen = Benachteiligung des Autoverkehrs

    Mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer = Benachteiligung des Autoverkehrs

    Von der Bevorzugung des Autoverkehrs, um den sich seit Jahrzehnten überall alles dreht, redet man lieber nicht.

  • Geht auch andersrum:

    Keine CO2-Steuer (oder irgendeine andere Kompensation für angerichtete Umweltschäden) für Autofahrer: Benachteiligung des Radverkehrs

    Keine Förderung von ca. 1000 Euro pro Jahr pro Fahrzeug: Benachteiligung des Radverkehrs

    Keine Schnellstrecken mit durchgängiger Vorfahrt von einer Stadt zur anderen (aka Autobahn): Benachteiligung des Radverkehrs

  • Na ja, wir sind uns doch einig, dass es eine Bevorzugung des Autoverkehrs gibt. Nur wird daraus eben sofort eine "Benachteiligung" konstruiert, sobald man anfängt, dem Autoverkehr die Privilegien zu nehmen.