Alles anzeigenDieses Verhalten wird ja auch noch dadurch verstärkt, indem die Bequemlichkeit des Autoverkehrs gefördert wird, indem man Zufußgehen und Radfahren unbequemer macht. Gerade auf dem Land gibt es "Radwege" in den Ortschaften, die kann sich in Hamburg niemand vorstellen. Die schlimmsten "Radwege", die ihr aus Hamburg kennt, sind dort der Normalfall und in der Regel ist das auch alles benutzungspflichtig, weil die Aufgaben der Verkehrsbehörde hinsichtlich des Radverkehrs dort komplett ignoriert werden.
Und es wird immer so getan, als würden auf dem Land alle Leute grundsätzlich nur weite Strecken fahren. Aber auch dort werden kurze Wege völlig unnötig mit dem Auto zurückgelegt. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Autofahren auf dem Land noch normaler und auch weniger stressig ist als in der Großstadt, weil das Auto sowieso zum Einkaufen und den Weg zur Arbeit in Ermangelung eines nutzbaren ÖPNV immer benutzt wird.
Ich habe meine Kindheit und Jugend in den 1970er und 1980er Jahren in einem 800-Einwohner Dorf in Südniedersachsen verbracht. Bis zu meinem 16. Lebensjahr war ich im Alltag nur mit dem Schulbus und mit dem Fahrrad unterwegs. Freizeit nach der Schule war Fahrradfahren oder mit dem Fahrrad zu Freunden zu fahren. Aber dann begann auch bei mir die Motorisierung und ich habe überhaupt nicht mehr darüber nachgedacht, dass vorher auch alles mit dem Bus und mit dem Fahrrad ging. Mit 16 war es das Moped und mit 18 das Auto, das war damals überhaupt nicht infrage gestellt und das Umdenken hat noch lange nicht bei allen begonnen, sondern das ist auch heute für viele immer noch genauso normal wie es für mich vor 35 Jahren war.
Die Busanbindung auf dem Dorf war in der Tat grottig, aber man konnte damit zur Schule fahren und auch wieder nach Hause. Wenn man abends noch mal in die nahe Stadt wollte, fuhr aber überhaupt kein Bus mehr. Die letzte Verbindung aus der Stadt nach Hause ging um 18:15 Uhr. Mit dem Fahrrad waren es 9km in die nächste Stadt, wo ich auch zur Schule gegangen bin. Das war machbar, aber im Winter (gab es damals noch) kam das auch nicht in Frage.
Später hat meine Mutter eine Stelle bei der Stadtverwaltung angenommen und dann hat sie mich morgens immer im Auto mit zur Schule genommen. Immerhin bin ich öfter von ihrem Arbeitsplatz zur Schule gegangen als dass sie mich mit einem Umweg direkt vor der Schule abgesetzt hat. Dass wir auch gemeinsam mit dem Bus fahren konnten, war überhaupt kein Thema.
Damals gab es in dem Dorf auch noch zwei Bäcker (mit eigener Backstube und keine Fertig-Backmischungs-Erhitzer), eine Poststelle (auf einem Bauernhof: da musste man klingeln, wenn man etwas abgeben oder abholen wollte), je eine Filiale der Volksbank und der Sparkasse, einen kleinen Lebensmittelladen und einen Fleischer. Von alledem ist heute nur noch der Fleischer übrig geblieben, der aber auch gerade überlegt, den Laden ganz zu schließen und nur noch die Wochenmärkte zu bedienen und den Partyservice aufrecht zu erhalten (auch gerade schwierig, wenn es keine großen Partys gibt). Wenn der aus Altersgründen dicht macht, wird es garantiert keinen Nachfolger geben, sondern dann ist auch dieser Familienbetrieb, der über mehrere Generationen geführt wurde, Geschichte.
In die Garagen, die man in den 1970er Jahren gebaut hat, passen die heutigen Karren nicht mehr rein und daher steht alles an der Straße. Dort, wo wir früher Fußball gespielt haben, und unsere Tricks auf dem Fahrrad oder Skateboard geübt haben, stehen jetzt Autos.
Und all dies hat nicht »sich entwickelt«, sondern ist die Folge von bewussten Entscheidungen. Von politischen Entscheidungen, motiviert von wirtschaftlichen Interessen.