Stattdessen glauben sie, dass es auf der Fahrbahn noch viel schlimmer wäre.
So ist es ja auch. Weil auf der Fahrbahn jederzeit jemand anderes (!) einen tödlichen Fehler verursachen kann – ja, das Risiko ist gering, aber es ist eben da und ich kann daran auch nichts ändern, außer eben auf dem Radweg zu fahren. Auf dem Radweg muss ich an Einmündungen und vielleicht noch bei Gegenverkehr aufpassen und hab bis zur nächsten meine Ruhe. Genau so funktioniert nämlich das menschliche Gehirn: Kurz konzentrieren, danach "entspannt vor sich hin fahren". Gerade außerorts sind oft etliche Kilometer zwischen den Punkten, wo man aufpassen muss – dazwischen kann ich entspannen und nicht wie ein Adrenalin-Junkie ständig auf Alarm sein.
Und ja, ich rede von Radwegen, nicht von "benutzungspflichtigen Gehwegen", wie es sie in den Dörfern dazwischen leider immer wieder gibt – Fahrbahnradeln wäre dort aber immer noch nicht die bessere Option, weil die ganze Ortsdurchfahrt nach dem Motto "wir opfern uns gerne dem schnellen Autoverkehr" gestaltet wurde.
Zu den gängigen Fehleinschätzungen gehört ja auch, dass "Beinaheunfälle" als Fehler angesehen werden. Tatsächlich sind sie aber ein Feature: Denn sie bedeuten, dass dieser Konfliktpunkt so gestaltet wurde, dass ein Fehler eines Verkehrsteilnehmers durch die Aufmerksamkeit eines anderen kompensiert werden kann.
Um Radverkehr auf der Fahrbahn nicht zu übersehen, muss niemand aktiv mit muskelbetriebenen Zweirädern dort rechnen. Pflichtgemäße Aufmerksamkeit dem Verkehrsgeschehen zu widmen reicht dann aus.
Diese "Pflichtgemäße Aufmerksamkeit" existiert nicht. Sie ist eine Wunschvorstellung von Verkehrsplanern, die ständig von allen (!) Verkehrsteilnehmern missachtet wird. Meist passiert nichts, weil die Annahme "da wird schon keiner kommen" richtig war; in anderen Fällen kann die eigene Unaufmerksamkeit durch das Verhalten anderer (inklusive ALLER Verkehrsregeln) kompensiert werden. Und in (mindestens) 2 Millionen Fällen jährlich geht's schief.
Das macht einen Unterschied. Es muss darum gehen, die Menschen auf's Rad zu bringen, unabhängig von Kilometerleistungen.
Richtig. Und dafür müssen wir von dieser "Radfahren ist gefährlich" oder gar "…wird immer gefährlicher" Rhetorik weg.
Dazu kommt noch, dass Gefahrenstellen nicht da sind, wo es die Angst-Lobby gerne behauptet (das gilt übrigens für beide Richtungen): Unfälle außerorts werden von zwei Szenarien dominiert: "Radfahrer quert Hauptstraße und wird von rechts abgeräumt, weil er die Lücke falsch eingeschätzt hat" und "Autofahrer rammt Radfahrer auf Nebenstraße, weil er dachte, er wäre alleine unterwegs". Die Lösung für ersteres wären entweder beidseitige Radwege oder jede Menge Querungshilfen – und wo das fehlt, eben mehr Vorsicht bei den Radfahrern. Die Lösung für das zweite ist von der Annahme, dass geringer Verkehr eine Straße sicher macht (oft ist relativ zur Verkehrsmenge das Gegenteil der Fall!).
Innerorts ist die Sache noch deutlicher: Erstmal gibt es einen massiven Rückgang tödlicher Kfz-Kollisionen insgesamt dort; und zwar vor allem sprunghaft von 2020 (144) auf 2021 (98), als einige Verkehrsregeln (Abbiegen mit Schrittgeschwindigkeit, Überholabstand) geändert wurden. Und an "fehlenden Radwegen" liegen die wenigsten davon – wenn an Hauptstraßen Radwege fehlen, werden sie von Radfahrern idr. gemieden (ob das gut ist, kommt auf den Einzelfall an, aber wo keine Radfahrer sind, gibt es eben auch keine Unfälle). Und Radwege auf Nebenstraßen bringen genau gar nichts. Zu hinterfragen wäre allerdings, ob nicht in vielen Fälle eine Zwischenlösung (Vorfahrtsstraße ohne Radweg bei Tempo 30) die bessere Option wäre. Also die Fahrradstraße nicht für "besonders wenig Autos", sondern für "mehr Autos als die klassische 30-Zone, aber eben langsam".