Nun habe ich mir die Mühe gemacht, was zu schreiben:
Sehr geehrte Damen und Herren,
da die Pressemitteilungen der Polizei über Verkehrsunfälle unter anderem auch verkehrserzieherische Wirkung haben sollen, beachte ich sie soweit es mir möglich ist. Auch im Hinblick darauf, meine eigene Gefahrenwahrnehmung und –bewertung als Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Diesbezüglich haben mich in den letzten Monaten einige Meldungen irritiert, worüber ich Ihnen hiermit berichten möchte.
Die Meldung vom 10.11.21
mit der Überschrift "Radfahrer übersehen" hat mich stutzig gemacht. Sie schreiben:
An der Kreuzung Camsdorfer Ufer startete die Frau den Abbiegevorgang nach links, übersah jedoch den entgegenkommenden und vorfahrtsberechtigten 72-jährigen Radfahrer.
Dazu die Zeitangabe Dienstagmittag. Da schien die Sonne, von rechts. Der Radfahrer hat sich Ihrer Unfallbeschreibung nach auf der Fahrbahn, ideal im Sichtfeld der Unfallverursacherin befunden. Man kann dort etwa 100 m weit in die Friedrich-Engels-Str. hineinsehen. Wenn sich ein Radfahrer nicht gerade hinter einem Bus befindet, muss man geradezu die Augen schließen, um ihn nicht zu sehen:
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Darum verwundert mich die Überschrift "Radfahrer übersehen", die irgendwie suggeriert, dass der Radfahrer sich zuvor z.B. im Seitenraum außerhalb der Wahrnehmung des Kfz-Verkehrs bewegte. Wenn hier nicht irgendein die Wahrnehmung erheblich erschwerender Umstand vorlag, dann müsste die Überschrift doch lauten "Vorfahrt missachtet" oder sogar "Vorfahrt grob fahrlässig missachtet", zumal währenddessen ein gelber Pfeil an der Ecke Friedrich-Engels-Str. / Camsdorfer Ufer geblinkt hat. Um zu verdeutlichen, dass die Gegenrichtung ebenfalls Grün hat.
Die Meldung vom 18.11.
mit der Überschrift „Verletzte Radfahrerin“ behauptet: Eine 36-jährige E-Bikefahrerin war am Mittwochvormittag auf dem Radweg der Tatzendpromenade in Richtung Zentrum unterwegs. Das war mitnichten der Fall. Dort gibt es keinen Radweg. Es gibt dort einen Gehweg, der rechtsseitig für Radverkehr (in Schrittgeschwindigkeit) freigegeben ist. Linksseitig ist er nicht freigegeben. Die Radfahrerin fuhr somit auf dem Gehweg. Linksseitig! Warum nimmt die Pressestelle der Polizei hier keinen angemessenen verkehrserzieherischen Einfluss, zumal das von der Bundesanstalt für Straßenwesen nahegelegt wird?
In der Studie: „Nutzung von Radwegen in Gegenrichtung – Sicherheitsverbesserungen“
BASt - Berichte der BASt - Nutzung von Radwegen in Gegenrichtung - Sicherheitsverbesserungen
Dort heißt es u.a.: Für die Verkehrssicherheitsarbeit kommt der Information und Aufklärung des Radverkehrs über die Gefahren des Linksfahrens besondere Bedeutung zu. [..]Bei Einrichtungsradwegen sollte das regelwidrige Linksfahren insbesondere bei Unfallauffälligkeiten überwacht und geahndet werden.
Andere Städte gehen hierin wesentlich weiter:
Die Meldung vom 1.12.21
mit der Überschrift „Unfallzeugen gesucht“ beschreibt ein grob fahrlässiges Verhalten einer Radfahrerin. Auf dem linksseitigen! Gehweg fährt eine junge Frau mit dem Rad und wundert sich, dass sie übersehen wird? Wenn da von links ein Auto aus dem Philosophenweg kommt, wie soll dessen Fahrer damit rechnen, dass hinter der Mauer jemand regelwidrig mit dem Rad angefahren kommt und einfach so vors Auto fährt?
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Hier wäre ein Hinweis auf die grobe Fahrlässigkeit der Radfahrerin sehr angebracht.
In der Meldung, vom 20.1.22
mit der Überschrift „Radfahrer übersehen“ wird behauptet: Hierbei übersah sie den jungen Mann, der die Westbahnhofstraße in Richtung Ernst-Haeckel-Straße auf dem Radweg befuhr. Auch das ist eine falsche Aussage: Es gibt keinen Radweg in der Westbahnhofstraße. Es gibt bergauf einen rechtsseitig für den Radverkehr (in Schrittgeschwindigkeit) freigegebenen Gehweg. Der junge Mann fuhr somit zweifelsfrei auf dem Gehweg. Regelwidrig. Linksseitig! Das hätten auch Sie in der Pressestelle feststellen können, ich meine sogar: müssen. Warum wird das nicht getan? Und warum findet dieses regelwidrige Risikoverhalten keine weitere Erwähnung in der Pressemitteilung?
Allerdings ist es auch so, dass verkehrswidriges Risikoverhalten von KfZ-Führern in den Pressemeldungen „galant übergangen“ wird. Wie z.B. in dieser Meldung vom 13.1.22:
mit der Überschrift: „Erst Tritt, dann Streit“. Der dortige Formulierung: Der 42-jährige Mercedesfahrer überholte in der Krautgasse einen 34-Jährigen, welcher mit seinem Drahtesel unterwegs war. Dies missfiel dem Radler derart, dass er gegen den überholenden Mercedes trat und ihn damit leicht beschädigte. ist für jeden Radfahrer, der täglich im Straßenverkehr unterwegs ist, ein Schlag ins Gesicht. Wenn man die Bedrängnis selbst mehrfach erlebt hat, in die man als Radfahrer durch leichtsinnige Überholmanöver gerät, ist man einfach nur schockiert über solche Polizeiberichte. Vielleicht hilft Ihnen dieses Video (aus Irland, Linksverkehr), um sich besser in die Lage von Radfahren in solchen Situationen hineinzuversetzen:
Dann würden auch Sie zuerst die Nichtbeachtung des Sicherheitsabstands thematisieren, denn ohne dass sie sich in akuter Bedrängnis befinden, schlagen Radfahrer nicht aus. Und auf eine Schrittlänge von mindestens 1,50 m kommen nur Giraffen, aber keine Menschen.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen ausgewählten Meldungen folgende Anregungen mitzugeben:
Prüfung der verkehrsrechtlichen Anordnung und Sichtverhältnisse an Unfallstellen.
Auf Ihre Kollegen ist da leider kein Verlass, wie auch einer meiner Bekannten im letzten Jahr erfahren musste, als er, das Unfallopfer, von Ihnen in der Pressemitteilung in der Überschrift als „leichtsinniger Radfahrer“ verunglimpft wurde:
Daraufhin sprach ich seine Frau an, er ging am nächsten Tag zur Polizeidienststelle, und Sie haben anschließend folgende Korrektur zur Meldung herausgegeben:
Klare Benennung des Risikoverhaltens der Unfallbeteiligten:
Das ist natürlich oft nicht leicht, dieses zweifelsfrei festzustellen. Aber ein paar häufige Risikofaktoren gibt es schon: Z.B. sind Geisterradeln, Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands, Geschwindigkeitsüberschreitung, Unachtsamkeit durchaus wert, öfter in den Presseberichten als solche benannt zu werden.
Mit freundlichen Grüßen,