Der zweite Angriff. 2017 wurden ja bereits in der StVO alle außerörtlichen Straßen unabhängig vom konkreten Einzelfall von der Nachweispflicht der besonderen Gefahrenlage befreit (§ 45 Absatz 9 Satz 4 StVO), was die ursprüngliche Intention der StVO-Reform 1998 und auch die darauffolgenden Urteile komplett ins Gegenteil verkehrt hat. Dass sich die späteren Klagen und Widersprüche natürlich auf die innerörtlichen Lagen konzentrieren, bei denen durch die geringere V_max dann auch regelmäßig keine besondere Gefahr begründbar ist, ist auch logisch. Dass es ihnen aber nur darum geht, die Radfahrer von der Fahrbahn zu vertreiben, wird überdeutlich an folgenden Stellen:
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Ein grundsätzlicher Mangel des § 45 Abs. 9 StVO sehen wir weiterhin darin, dass die Erleichterung der Anordnung von Maßnahmen zu Beschränkungen und Verboten des fließenden Verkehrs (nicht nur Tempo 30) zum Schutz vor Lärm und Abgasen fehlt. Ergänzt werden sollte ausdrücklich auch die Korrelation von § 45 StVO mit der Lärmaktions- und Luftreinhalteplanung.
§ 45 Absatz 1 Satz 2 Punkt 3 StVO, § 45 Absatz 1b Satz 1 Punkt 5 StVO und § 45 Absatz 9 Satz 6 StVO geben ausreichend Möglichkeiten, die Einwände sind nur vorgeschoben. Insbesondere ist die Luftreinhaltung nicht mit den Gefahrsituationen verbunden, das zu vermischen ist Augenwischerei. Auch ohne § 45 Abs. 9 StVO könnte nicht beliebig angeordnet werden, sondern nur begründet, es würde sich also bzgl. Luft und Lärm wenig bis gar nichts ändern.
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Auch deshalb sollte angestrebt werden, den Abs. 9 des § 45 StVO zu streichen, da dessen Sinn mit den Ausnahmen nicht mehr ausgefüllt werden kann und die Prüfung der besonderen Gefahrenlage regelmäßig zu Anwendungs- und Abwägungsschwierigkeiten führt.
Die Schwierigkeiten bestehen nicht in der Abwägung, sondern eher in jeglichem Fehlen derselben, bzw. dass die Abwägung dann von Richtern teuer nachgeholt werden muss, weil sie vorher absichtlich oder versehentlich unterbleibt. Anwendungsschwierigkeiten könnte man mit verpflichtender Lektüre der ERA begegnen, das reicht eigentlich schon.
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Auch bezüglich der Erhöhung der Sicherheit und Ordnung des Radverkehrs würde dies zu Vorteilen führen. Der § 39 Abs. 1 zusammen mit § 45 Abs. 9 bietet ausreichende Grundlagen für die Straßenverkehrsbehörden über die Erforderlichkeit der Radwegbenutzungspflicht zu entscheiden.
Vorteile nur für die Behörde, denn die muss dann die Gefahrenlage nicht mehr suchen, sondern kann ihren Blankostempel draufhauen, und solange der Radweg die minimalen Anforderungen von 1990 aus der VwV-STVO (1,5 Meter Radweg ohne Trennung zur Fahrbahn, zu parkenden Fahrzeugen oder zu Fußgängern? Absolut super!) einhält, darf er angeordnet werden. Radfahrer können dagegen nur noch vorgehen, wenn nachweislich der Radweg mehr Schaden als die Fahrbahn anrichtet, also weitaus seltener. Im Endeffekt wäre dadurch bereits fast überall die allgemeine Radwegbenutzungspflicht von vor 1998 vollkommen wiederhergestellt, solange einfach genug Schilder aufgestellt werden.
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Weitere Verbesserungen für die Sicherheit des Radverkehrs könnten mit der "Verschärfung" der VwV zu § 2 vorgenommen werden und dort gegebenenfalls Aussagen zu Belangen des ÖPNV und des MIV getroffen werden, die eine Radwegbenutzungspflicht erfordern.
"Verschärfung" ist dann aus der Formulierung wohl so zu verstehen, dass die Radfahrer zu ihrer eigenen Sicherheit nicht nur bei Gefahr zur Seite gedrängt werden dürfen, sondern auch wenn Busse und PKW (!) nicht schnell genug fahren können. Wie das mit einer gewünschten Beschränkung auf 30 innerorts und der zunehmenden Verbreitung von Pedelecs (25) zusammengehen soll, bleibt im Dunkeln.
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Der Nachweis der besonderen Gefahrenlage ist aus Sicht unserer Mitgliedstädte häufig nicht möglich. Das Problem führt im Bestand dazu, dass auch gut ausgebaute und sicher geführte Radwege nicht mehr als solche gekennzeichnet werden können. Der Aufwand für die Städte ist in diesem Zusammenhang groß, z.B. an LSA.
Eine schlichte Lüge. Linksseitig können sie schon ewig mit "Radverkehr frei" gekennzeichnet werden. Rechtsseitig können sie seit spätestens 2017 mit der Markierung auf dem Boden gekennzeichnet werden, geduldet war das aber wohl schon früher. Auch die Anbringung des Zusatzzeichen rechts war nicht direkt verboten, mir wäre auch kein Fall bekannt, in dem jemand dagegen vorgegangen wäre oder eine Behörde durch die Aufstellung Nachteile erlitten hätte. Schließlich sind - wie öfters außerorts zu sehen - auch Verbote für Kraftverkehr möglich, die bei entsprechender Beschilderung und Qualität auch gern angenommen werden. Aber all diese Optionen zwingen ja niemanden, und das geht ja nicht. Es ist Deutschland hier!
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Mit Entfall des Abs. 9 des § 45 StVO wäre eine Anordnung von Tempo 30 zur Erhöhung der Sicherheit des Radverkehrs leichter umsetzbar.
Schon wieder blank gelogen, schon heute sind Fahrradstraßen ohne Nachweise anlegbar, in denen für alle T30 gilt. Die fördern den Radverkehr sogar noch besser als der reine T30-Vorschlag... aber verbieten natürlich gleichzeitig benutzungspflichtige Radwege, außerdem kann man die nervigen Radfahrer da ja noch schlechter überholen!
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Vorzugsweise wäre allerdings in der StVO als Regelgeschwindigkeit innerorts
30km/h einzuführen und 50km/h und ggf. höhere Geschwindigkeiten
nur auf verkehrlich bedeutsamen Straßen im Einzelfall zuzulassen.
Das ist auch wieder ein netter Trick. Welche Straßen verkehrlich bedeutsam sind, liegt natürlich im Ermessen der Behörde nach Absatz 1, und kann nicht mehr nach Absatz 9 angefochten werden. Ich prophezeie, dass das bei einer solchen Änderung dann so ziemlich alle Vorfahrtsstraßen und sämtliche Straßen mit Radwegen sein werden, ausgenommen nur Wohngebiete (die heute T30-Zonen sind) und völlig unbedeutende Nebenstraßen. Auch dann wäre der Zustand von vor 1998 wiederhergestellt, und die Radfahrer könnten endlich wieder ins Abseits geschoben werden.
Es ist zwar nur ein Vorschlag und hat auch eigentlich nichts drin zu suchen (da StVO und nicht VwV-StVO), aber die Stoßrichtung dieses Lobbyverbands ist klar. Würde das so durchgehen oder überhaupt in diese Richtung Änderungen geplant/durchgeführt werden, dann könnte man es eigentlich gleich lassen, denn dann ist man als Radfahrer wieder nahezu rechtlos und nur noch störendes Objekt im "Verkehrsfluss".
Dazu auch noch ein Zuckerl aus dem folgenden Abschnitt F:
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Bezüglich des Sicherheitsraumes ist klar zu stellen, ob die 1,5 m Überholabstand auch zu regelkonformen Radstreifen gelten. Dies würde viele bestehende, offensichtlich verkehrssichere Lösungen in Frage stellen. Ein „Überholverbot“ neben Radfahrstreifen nach ERA ist weltfremd und vom Unfallgeschehen offensichtlich nicht gedeckt.
Dieses "weltfremde" Überholverbot ist faktisch seit fast 70 Jahren gängige Rechtsprechung und gilt - auch wenn es nicht Überholen, sondern Vorbeifahren heißt - auch bei Gehwegen (bei Kindern z. B. 2 Meter und Bremsbereitschaft verpflichtend).
Diese Aussage lässt tief blicken - anstatt die eigene Fehlplanung mit viel zu schmalen Streifen zu korrigieren und korrekt so zu markieren, dass der Abstand zwangsweise gehalten werden muss, wird der millionenfache Rechtsbruch als etwas akzeptables, ja gar positives dargestellt. Auch der nächste Absatz zu Schutzstreifen stößt ins selbe Horn - anstatt zu merken, dass diese Streifen gerade mal den Sicherheitsabstand eines Radfahrers (!) zum Gehweg markieren, wird erwartet, dass Radfahrer darin sogar fahren und dann Autofahrer ohne jeden Sicherheitsabstand an ihnen vorbeibrettern... einfach ekelhaft.