Ich war ja anfangs auch eher für eine Impfpflicht, aber meine Meinung ändert sich gerade.
1. Gegen die aktuelle Omikron-Welle kommt eine Impfpflicht zu spät
2. Gegen die aktuelle Omikron-Welle wäre auch eine frühere Impfpflicht ungeeignet gewesen
Gerade der zweite Punkt ist der Entscheidende: Die Omikron-Variante breitet sich vor allem auch deswegen so schnell aus, weil sie den Impfschutz umgeht. Die aktuell verfügbaren Impfstoffe sind noch gegen den Urtyp des Virus entwickelt worden, aber wir hatten seitdem die Alpha-, Delta- und jetzt die Omikron-Variante als dominierenden Virustyp. Die Impfung dient damit primär dem Selbstschutz (das tut sie augenscheinlich ganz gut), aber weniger der Eindämmung der Pandemie. Es gibt aber keine Verpflichtung, sich selbst zu schützen, sonst müssten wir auch das Rauchen, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel oder gefährliche Sportarten verbieten.
Dass ich inzwischen gute Gründe gegen eine allgemeine Impfpflicht sehe, heißt aber nicht, dass ich sie ganz ablehne und erst recht nicht, dass ich gegen das Impfen wäre. Ganz im Gegenteil. Natürlich wäre es für alle (!) das Beste, wenn möglichst viele Menschen geimpft wären. Das Risiko schwerer Krankheitsverläufe würde sich dadurch reduzieren und es müsste weniger Beschränkungen für alle geben. Da aber immer noch zu viele über 60-Jährige ungeimpft sind, können wir dem Virus nicht einfach freien Lauf lassen, ohne eine Überlastung des Gesundheitssystems zu befürchten. Insofern stimmt die Aussage oben bei 2. nur bedingt, denn wenn jetzt mehr Menschen geimpft wären, könnten wir die Omikron-Welle vielleicht etwas entspannter sehen.
Die nächste Frage ist, welche Virusmutation die nächste Welle auslöst und ob die Impfungen und durchgemachten Erkrankungen dagegen einen wirksamen Schutz bieten. Eine erneute Auffrischungsimpfung mit einem modifizierten Impfstoff gegen die Omikron-Variante dürfte auch zu spät kommen, weil die Welle durch ist, bevor der Impfstoff da ist. Ein recht großer Teil der Bevölkerung wird sich dann infiziert haben, ob geimpft oder ungeimpft. Die spannende Frage bleibt, ob das Gesundheitssystem diese Last tragen kann und ob die Gefahr besteht, dass aufgrund zu vieler gleichzeitiger Krankheits- oder Quarantänefälle sicherheitskritische Bereiche (Feuerwehr, Polizei, Energieversorgung, ...) in Gefahr sind.
Der große Fehler in der Debatte um die Impfpflicht war, dass man sie anfangs kategorisch ausgeschlossen hat. Natürlich ist es besser, wenn sich freiwillig genügend Menschen impfen lassen, aber ich verstehe nicht, wie man eine Impfpflicht generell ausschließen konnte. Das hat viel Vertrauen zerstört und gibt den Anti-Impf-Schwurblern nur zusätzlichen Rückenwind.