Es ist richtig, dass auch bei einem sofortigen (und daher absolut unrealistischen) Stopp aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen die globale Temperatur weiter ansteigen würde, weil wir bereits Effekte in Gang gesetzt haben, die die Temperatur weiter ansteigen lassen.
Das Überschreiten einzelner Kipppunkte bedeutet aber nicht zwangsweise, dass eine Kaskade ausgelöst wird, in der alle anderen Kipppunkte auch überschritten werden. Aber das Risiko, weitere Kipppunkte zu überschreiten, steigt mit jedem Zehntel Grad weiterer Erwärmung.
Der größte Hebel bleibt das Herunterfahren der Treibhausgasemissionen. Das muss auch nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen, aber die verbleibende Zeit wird immer knapper. Ich verstehe das "Argument" nicht, dass man es gar nicht tun sollte, weil es nicht von einem Tag auf den anderen geht. Und um noch einmal auf das Beispiel mit der Mauer zurückzukommen: Vom Bremsen ist noch niemand gestorben.
Die Fixierung auf den Kohleausstieg halte ich übrigens für zu kurz gedacht. Es muss darum gehen, Treibhausgasemissionen insgesamt zu reduzieren. Bei der Verbrennung von Erdgas (hauptsächlich Methan) entsteht zwar weniger CO2, aber leider hat Methan, das unverbrannt in die Atmosphäre gelangt, z.B. durch Leckagen beim Transport, eine vielfach höhere Klimawirkung als CO2. Unterm Strich ist daher Erdgas für den Klimaschutz nicht besser als Kohle, außer dass sich Methan in der Atmosphäre schneller abbaut als CO2 (trotzdem zu langsam). Dass nun kurzfristig für einen Ersatz von russischem Erdgas gesorgt werden muss, weil man jahrzehntelang versäumt hat, Alternativen zu schaffen, ist sicherlich nicht ausgerechnet Robert Habeck anzulasten.
Die Leckage-Problematik bleibt auch bestehen, wenn wir irgendwann mal synthetisches Methan haben, das zu100% klimaneutral mit Sonnenenergie und CO2 aus der Atmosphäre erzeugt wurde.
Falls gleich noch die Forderung nach einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, oder gar der Vorschlag, neue AKW zu bauen, folgt: Es ist dafür zu spät und kurzfristig ist die Entscheidung nicht rückgängig zu machen. Jedenfalls nicht so kurzfristig, dass es uns im kommenden Winter helfen würde, komplett auf russisches Öl und Gas zu verzichten. Für den Klimaschutz wäre es aber in der Tat besser gewesen, als erstes die ineffizientesten Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen und dafür die AKW länger laufen zu lassen.
Der Bau neuer AKW wäre hingegen ökonomischer Unfug, weil man für das selbe Geld ein Vielfaches an erneuerbarer Energie bekäme. Abgesehen davon würde es viel zu lange dauern und die Endlagerproblematik ist ebenfalls bis heute ungelöst.