Ich habe mir gestern das Gutachten durchgelesen, das der ADFC beauftragt hat. Immer wieder wird darin behauptet, dass die Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs durch das StVG und die StVO über die Verkehrssicherheit gestellt wird.
Dass es in der Praxis von inkompetenten Behörden so umgesetzt wird, steht außer Frage. Aber nicht, weil es so vorgeschrieben ist, sondern weil Beamte vorsätzlich und systematisch gegen geltendes Recht verstoßen.
Es wird angeregt, den Begriff "Verkehr" explizit auf alle Verkehrsarten auszudehnen. Derzeit gibt es aber keine Beschränkung des Begriffs "Verkehr" auf den Autoverkehr.
Dann wird argumentiert, dass §45 (9) ein "Primat des fließenden Verkehrs zum Ausdruck bringt" und daher verkehrssteuernden Maßnahmen im Wege steht. §45 (9) Satz 3 schützt aber nicht den ruhenden Verkehr vor Beschränkungen und darauf zielt das Gutachten im Weiteren ab.
Dann wird wiederholt geschrieben, dass zur Einrichtung von Radfahrstreifen der Nachweis einer besonderen Gefahrenlage erforderlich sei. Dabei sind Radfahrstreifen in §45 (9) 3. explizit von der Voraussetzung aus Satz 3 ausgenommen.
Im Weiteren widerspricht sich das Gutachten: Einerseits wird immer wieder geschrieben, dass das StVG geändert werden müsse, da die StVO nicht über das Gesetz hinausgehen dürfe, auf dessen Grundlage sie erlassen wurde. Die innerörtliche zul. Höchstgeschwindigkeit ist aber bereits jetzt in der StVO geregelt und das StVG steht einer Senkung auf 30km/h nicht im Wege. Höhere zul. Geschwindigkeiten als 50km/h sind auch jetzt schon möglich, das würde auch bei 30 km/h Regelgeschwindigkeit so bleiben, wenn man auf einzelnen Straßen 50 km/h erlauben wollte. Allerdings würde ich die Kriterien anpassen (das kann in der VwV-StVO geschehen).
Das Gutachten fordert eine strukturelle Anpassung der StVO mit dem Ziel von Vereinfachungen, da viele Regeln den Verkehrsteilnehmern gar nicht mehr geläufig sind. Die konkreten Änderungsvorschläge bestehen aber meistens aus zusätzlichem Text.
Das StVG sei zu ändern, weil es Hürden an die Einrichtung von Radverkehrsanlagen aufstelle. Das ist Quatsch, weil das allenfalls in der StVO erfolgt. Die Hürden bestehen auch nicht gegen Radverkehrsanlagen an sich, sondern gegen deren Benutzungspflicht.
Neben der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sollten weitere Ziele in das StVG aufgenommen werden: Umwelt- und Klimaschutz, Gesundheitsschutz, sowie nachhaltige Verkehrs- und Stadtentwicklung. Das Ziel der Verkehrssicherheit sollte als "Vision Zero" definiert werden.
Ich finde im StVG, in der StVO oder in der VwV-StVO allerdings keine Passagen, aus denen hervorgeht, wie viele Tote und Schwerverletzte noch OK sind, um das Ziel der Verkehrssicherheit als erreicht anzusehen. Die Erhöhung der Verkehrssicherheit ist ein andauernder Prozess mit dem Ziel, die Zahl der Schwerverletzten und Getöteten zu senken.
Die Ziele Umwelt- und Klimaschutz, Gesundheitsschutz, sowie nachhaltige Stadtentwicklung sollen erleichtern, Beschränkungen des Kfz-Verkehrs einfacher umzusetzen. Was man konkret beschränken möchte, das auch nicht jetzt schon möglich ist, wird aber nicht genannt. Wenn 30km/h innerorts zur Regelgeschwindigkeit würde, fiele das ja nicht mehr unter die Beschränkungen des §45. Mir fällt auch keine Vorschrift ein, die z.B. Superblocks verhindern würden. Auch Sonderfahrstreifen für den Busverkehr sind jetzt schon möglich.
Gut finde ich den Vorschlag, dass Maßnahmen zur Parkraumbewirtschaftung nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig sein sollen, wobei meines Erachtens auch jetzt schon viel mehr möglich wäre als tatsächlich umgesetzt wird. Lieferzonen können mit Verweis auf die Verkehrssicherheit und Leichtigkeit des fließenden Verkehrs eingerichtet werden, da der ruhende Verkehr keinen besonderen Schutz genießt.
"Radverkehrsanlagen jeder Art" sollen nach dem Gutachten auch in Tempo 30 Zonen möglich sein, aber wozu braucht man in einer 30er Zone eine Benutzungspflicht? Nach meinem Verständnis darf es auch in 30er Zonen "Radwege" geben, aber keine blauen Schilder, die einen zwingen, darauf zu fahren. Schutzstreifen halte ich generell für überflüssig und Radfahrstreifen würden in einer 30er Zone vermutlich vor allem dazu führen, dass der Autoverkehr schneller fährt als erlaubt. Wenn in einer 30er Zone so viel Kfz-Verkehr besteht, dass man dort den Radverkehr separieren möchte, sollte man sich wohl eher fragen, ob die Voraussetzungen für eine Tempo 30 Zone überhaupt vorliegen.
Angeblich sei eine Fahrrad-Hauptroute nicht mit der Vorfahrtregel rechts-vor-links vereinbar. Aber es sind doch auch in 30er Zonen Ausnahmen möglich, die Vorfahrt abweichend durch
und
zu regeln. Das sollte meiner Meinung nach bei Fahrradstraßen zum Regelfall werden, weil es da immer wieder Missverständnisse gibt und weil es dem Zweck einer Fahrradstraße widerspricht, wenn man an jeder Kreuzung von rechts kommenden Autos Vorfahrt gewähren muss.
Dann widmet sich das Gutachten ausführlich §45 (9) S.3. Dieser Satz soll abgeschafft werden (Alarmglocke!!!!
). Allerdings soll auch die Radwegebenutzungspflicht generell aufgehoben werden. Die Verkehrszeichen
und
sollen dann nur noch kennzeichnen, dass der Weg mit dem Fahrrad benutzt werden darf, aber nicht mehr benutzt werden muss.
Zunächst fand ich das gut, aber damit würde nicht die "soziale Benutzungspflicht" solcher Wege aufgehoben und es gäbe darüber hinaus auch keine Handhabe mehr gegen unzureichende und gefährliche "Radwege", da man durch deren Existenz ohne Benutzungspflicht nicht mehr in seinen Rechten eingeschränkt ist. Es müsste dann m.M.n. klar geregelt sein, dass auch solche Angebote nur unter den Voraussetzungen angeordnet werden dürfen, unter denen jetzt eine Benutzungspflicht zulässig wäre, insbesondere auch ausreichend Platz für Fußgänger.
Im §37 wird die Streichung der Übergangsfrist vorgeschlagen, die schon vor 5 Jahren abgelaufen ist (Fußgängerampeln). Es bleibt aber ansonsten bei der für Viele unklaren Formulierung, welches Lichtsignal zu beachten ist. Zwar wird gefordert, dass auf separierten Radverkehrsanlagen möglichst auch immer ein eigenes Lichtsignal für den Radverkehr vorhanden sein sollte, aber so bleibt es eher eine Empfehlung.
Unterm Strich hat mich das alles nicht umgehauen. Das Problem besteht aus meiner Sicht weiterhin darin, dass die verantwortlichen Behörden geltendes Recht missachten oder ausschließlich zugunsten des motorisierten Verkehrs auslegen, aber nicht darin, dass das StVG oder die StVO tatsächlich die Flüssigkeit des Autoverkehrs über die Verkehrssicherheit stellen würde.
Die Zielrichtung ist klar: Der ADFC möchte mehr separierte Fahrrad-Infrastruktur. Nach Aufhebung der RWBP würde eine "Soziale Benutzungspflicht" bestehen bleiben und Radfahrer, die die tollen Angebotsradwege dankend ablehnen, weiterhin oder sogar verstärkt den Aggressionen motorisierter Verkehrsteilnehmer ausgesetzt sein.
Wenn man den Radverkehr fördern möchte, muss man aus meiner Sicht keine Gesetze ändern, sondern den Behörden in den Arxxx treten, sich an das bestehende Recht zu halten. Diejenigen, die jetzt schon geltendes Recht mit Füßen treten, werden sich auch nicht an eine geänderte StVO und VwV-StVO halten und solange das ohne persönliche Konsequenzen bleibt, wird sich nichts ändern.