Trotzdem ist es so, dass ich das ordnungswidrige Verhalten der Fahrradfahrerin auf dem roten Fahrrad auf dem street-view-Foto nicht in aller Schärfe verurteile. Zumindest ist es wichtig, dazu die näheren Umstände zu kennen. Zum Beispiel, mit welchem Tempo sie unterwegs war, ob sie an der fraglichen Ecke vorsichtig, langsam und bremsbereit gefahren ist usw.. Findest du nicht, dass das eine wichtige Rolle spielt zur Beurteilung des Fehlverhaltens?
Sicherlich kenne ich Situationen, in denen man sich ganz bewusst über geltende Regeln hinwegsetzt und hierbei sogar auch versucht, dies möglichst lautlos und unter der allergrößten Vorsicht zu tun. Und das ganze auch mit dem Bewusstsein, dass man als "Regelbrecher" dann auch in keinster Weise irgendeinen Anspruch zu stellen hat. Das habe ich sogar selber bereits getan. Dennoch sind die täglich zu beobachtenden Situationen, in denen Verkehrsteilnehmer Regeln brechen, nicht dazu geeignet, bei denen eine gewisse Rücksichtnahme oder demütige Zurückhaltung zu erkennen. Im Gegenteil. Es wird zuerst die Regel gebrochen. Und anschließend wird gepöbelt und teils sogar Gewalt angedroht, wenn man mit den neu geschriebenen Regeln nicht ans gewünschte Ziel gelangt. Das will ich der abgebildeten Radfahrerin bei StreetView jedoch nicht unterstellen. Jedoch glaube ich auch nicht, dass sie dort zum ersten Mal in falscher Richtung auf dem Gehweg entlangfährt. Obwohl ich es natürlich nicht gänzlich ausschließen kann.
Wenn sich die Gelegenheit ergäbe, in so einem Fall die Fahrradfahrerin direkt anzusprechen, dann würde ich versuchen, das Gespräch dahin zu lenken, wie die Situation für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen so verbessert werden könnte, dass Gefährdungssituationen minimiert werden.
Ich glaube, dann würde ich am selben Tag meine Fahrziele nicht mehr erreichen. Oder man nimmt sich vor, pro Fahrt jeweils nur einen "Regelbrecher" vorsichtig anzusprechen. Dann kann man für sich persönlich sogar ein allgemeines Stimmungsbild erstellen und so erfahren, was in den Köpfen der "Regelbrecher" so vor sich geht und ob sich das Gegenüber bis hierhin eigentlich überhaut bewusst solche Gedanken gemacht hat, die mit der Vermeidung von Gefährdungssituationen zu tun haben oder ob das falsche Verhalten nicht doch eher ein automatischer Reflex aus Selbsterhaltungsgründen ist.
Dazu könnte man zum Beispiel versuchen herauszufinden, was die Fahrradfahrerin dazu bewegt hat an der Stelle den Fußweg zu befahren.
Das klingt jetzt vielleicht unglaublich, aber genau DAS habe ich bereits mehrfach getan. Wenn die Situation es erlaubt, versuche ich, das Gespräch dann zunächst mit einem "harmlosen" Thema zu beginnen, z. B. mit gespieltem Interesse an dem tollen Fahrrad des "Regelbrechers" oder meinetwegen auch mit dem Wetter. Im weiteren Verlauf lenke ich dann eher zufällig an den soeben begangenen Regelverstoß und frage, ob die-/derjenige weiß, dass er soeben z. B. 60 Euro (Rotlichtverstoß) gespart hat? Natürlich kommt dann ein "nein, warum?". Da ist mein Moment gekommen und ich plaudere meine Beobachtungen aus, jedoch nicht mit Vorwürfen verbunden. Vielmehr versuche ich herauszubekommen, WARUM derjenige die Regel gebrochen hat und gebe auch schon die möglichen Antworten vor. Derjenige gibt dann oftmals ganz unverblümt zu, dass die Regeln zwar bekannt sind, aber dass es der/demjenigen einfach nur herzlich egal ist, diese zu befolgen. Damit ist meine Fragestunde auch schon beendet und ich wünsche noch eine schöne Weiterfahrt. So fühlt sich der Regelbrecher nicht kritisiert, ertappt oder gar ermahnt. Und ich bin meiner Meinung über einen Großteil der Radfahrer wieder einen Schritt näher.
Es gäbe außerdem die Möglichkeit darauf hinzuweisen, dass man als Fahrradfahrer*in in der Regel auch die Möglichkeit hat, abzusteigen und zu Fuß zu gehen.
Ich glaube, ein solcher Hinweis wäre eher kontraproduktiv, weil er zu viel Kritik zwischen den wenigen Zeilen enthält, auch wenn es lediglich als Vorschlag gemeint ist. Derjenige fühlt sich damit leicht angegriffen, wenn ich darauf verweise, wie ein korrektes Verhalten aussehen kann.
Auf jeden Fall würde ich sie nicht einfach anbrüllen oder so was wie runter vom Fußweg zurufen.
Auch das ist situationsabhängig. Wenn mein 13-jähriger Sohn um die Ecke kommt und massiv gefährdet oder gar körperlich beeinträchtigt wird, wäre eine solche Reaktion meinerseits nicht ganz auszuschließen. Aber ansonsten bleibe ich bei Regelverstößen, die ich tagtäglich beobachte, auch eher passiv. Jemanden anzubrüllen lehne ich in den Situationen des alltäglichen Straßenverkehr grundsätzlich ab. Stellt sich beispielsweise Querverkehr auf meinen Fahrweg, obwohl ich Vorrang habe, "parke" ich geduldig vor dem Hindernis und warte, bis mein Fahrweg wieder frei ist. Dabei gestikuliere und brülle ich nicht. Nicht selten bedankt man sich bei mir, dass ich Verständnis gezeigt habe. Auf Gehwege weiche ich hierbei ganz bewusst nicht aus. Eher auf die Fahrbahn, wenn es der Radweg war, der blockiert wurde.
Jedoch ergeben sich regelmäßig Situationen, in denen man nur wenige Sekunden Zeit hat, überhaupt auf irgendeine Art und Weise zu reagieren, um den "Regelbrecher" auf sein gefährliches Tun aufmerksam zu machen. Und das mündet auch bei mir nicht selten in dem lauten Ausruf "FALSCHE RICHTUNG!", "AUF DIE FAHRBAAAHN!", "ÜBER ROHOOOT!" oder "LIIICHHHT!" In vielen dieser kurzen aber denkwürdigen Situationen wird nicht selben hinterhergepöbelt und versucht, das Brechen der Regeln zu rechtfertigen. Aber eher wird meine Kritik lediglich mit allgemeinen Beleidigungen und Beschimpfungen gewürdigt. Das zeigt einerseits, dass die Regeln durchaus bekannt sind und absichtlich gebrochen werden und andererseits dass überhaupt kein Unrechtsbewusstsein vorherrscht und vom Rest der Verkehrsteilnehmer ganz selbstverständlich verlangt wird, sich den Regelverstößen des "Regelbrechers" und deren Folgen klag- und fraglos unterzuordnen und ein solches Verhalten hinzunehmen.