Sicher gibt es [eine Unfallschwere-Differenzierung], ist dann aber medizinischem Fachpersonal vorbehalten. Für die Verkehrsunfallstatistik halte ich die gegenwärtige Einteilung für ausreichend. [...] Was sollte auch der verkehrspolitische Erkenntnisgewinn sein, wenn man das weiter aufschlüsselt?
Die EU hat schon vor einiger Zeit verordnet, dass die Mitgliedsländer neben der Getöteten-Statistik auch eine fundierte Verletzten-Statistik führen sollen. Gleichzeitig wurden die Staaten verpflichtet diese Zahlen nicht nur zu erheben und nach Brüssel zu berichten, sondern sich auch Ziele zu setzen, bis wann sie welche Maßnahmen ergreifen wollen, um die Zahl der Verletzten zu senken. Im Bewusstsein, dass es ganz erhebliche nationale Unterschiede bei der Erfassung von Verkehrsverletzten gibt, wurde zudem beschlossen, das Augenmerk auf die volkswirtschaftllich teuerste und nicht zuletzt auch am leichtesten einheitlich zu erfassende Gruppe zu richten: die Schwer_st_verletzten. Das Kriterium hierfür ist ein Schweregrad von mindestens 3 auf der von 0 (unverletzt) bis 6 (tot) reichenden 7-teiligen "Abbreviated Injury Scale" (AIS) am maximal-betroffenen Körperbereich (MAIS).
Nur um mal ein Gefühl für die Pyramide der Schwereverteilung zu bekommen, ein paar Zahlen für den Radverkehr aus Deutschland:
ca. 90.000 erfasste verletzte und getötete Radfahrer insgesamt (das ist idR das, was plakativ in die Zeitung kommt, um das autofahrende Publikum mit möglichst dramatischen Zahlen zur Gefährlichkeit des Radfahrens zu gruseln)
ca. 75.000 davon mit ambulant behandelbaren Problemen (Schürfwunden etc.)
ca. 15.000 für mindestens eine Nacht stationär aufgenommen = "Schwerverletzte" nach Unfallstatistik-Gesetz; ein Teil davon wiederum (aber in D unbekannt) ist mit MAIS 2+ betroffen (Schlüsselbein gebrochen zB muss operiert werden -> Krankenhaus, aber "nur" MAIS1. Dito leichte Gehirnerschütterung, gerade bei Kindern, zur Überwachung stationäre Aufnahme, auch nur MAIS1. Warum der Unterschied zwischen "stationär" und "MAIS2+" wichtig ist? In NL gilt erst als "schwerverletzt/ernstig gewond", wer mit MAIS2+ geschädigt wurde...)
ca. 3.000 radfahrende Trauma-Patienten mit MAIS3+ (ab hier wird es im Hinblick auf Kosten und Progonose erst richtig spannend...)
ca. 400 Tote (MAIS6)
Der verkehrspolitische Erkenntnisgewinn besteht in der Möglichkeit der Kopplung von sicherheitstechnischen Maßnahmen an den konkreten Bedarf sowie der Möglichkeit der kontinuierlichen Überprüfung von deren Wirksamkeit. Allerdings gehören die Zahlen gerade beim Radverkehr *nicht* in die Öffentlichkeit, weil jede Diskussion um die Gefährlichkeit des Radfahrens die Gefühlte Sicherheit unterminiert und damit verhindert, dass zögernde Umsteiger sich aufs Fahrrad schwingen werden. Diese Lektion haben die Niederländer sehr gut gelernt: der Mythos der Niederlande als ultimativer Hort guter Radverkehrssicherheit resultiert allein aus dem ausgesprochen diskreten Umgang mit den Radunfallzahlen und -risiken in der Öffentlichkeit.