Beiträge von Th(oma)s

    Winnie Hermann surft den Trend. In 2022 gab es einen negativen Ausreißer, und nach den bis November vorliegenden Zahlen ging die Opferzahl in Baden-Württemberg in 2023 wieder deutlich zurück. Also geniales Timing, um beliebige Maßnahmen zu propagieren und sich dafür im nächsten Jahr als Hüter der Verkehrssicherheit feiern lassen zu können.

    Rein von der Logik her ist jedoch völlig ausgeschlossen, dass die angeregten Maßnahmen die vollmundig angekündigte Reduktion um 60% bewirken könnte. Dafür gibt es bei Weitem zu wenig Todesfälle mit Hergängen, die von den Maßnahmen profitieren könnten. Insbesondere wird natürlich der Bereich "Überholrisiko" einmal mehr hemmungslos geframt (Radwegebau; T80 außerorts, das aber offenbar nur auf schmalen Landstraßen ohne Radweg). Das nur, falls wieder jemand kommt und behauptet, die Angst vor dem Bösen Golf von hinten wäre angeboren. Seufz.


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    Also mit § 2 Abs. 1 S. 1 StVO ist ja alles gesagt oder?

    Abgesehen von § 2 Abs. 4 Satz 2 stehen in den vielen §§ der StVO noch unzählige andere Vorschriften. Keine davon erlaubt die Gefährdung von Fahrbahnradlern, weswegen die derzeit gerade auch von lautstarken Vertretern der Verkehrswende-Blase gepflegte Ansicht "ohne infrastruktur haben Radfahrer auf der Straße nichts verloren" logisch und verkehrsrechtlich schonmal kompletter Unsinn ist.

    Wer mag, kann gerne politisch durchsetzen, dass Fahrspuren reduziert werden, dass man auf geplante Erweiterungen des Straßennetzes verzichtet, dass man Straßen zurückbaut oder per Schild oder Poller Zufahrtsverbote anordnet. Dafür braucht man aber keine Fahrräder als Vorwand, denn das alles hat so rein überhaupt nichts mit dem suggerierten Dualismus "was nicht dem Auto gehört, gehört dem Fahrrad" (bzw. umgekehrt) zu tun.

    Es ist absehbar, dass damit die Forderung nach "Geschützten Radfahrstreifen" befeuert wird. Aber das kann es doch letztlich nicht sein, dass man geschützte Zonen einrichtet, in denen sich der Fahrrad- und Fußverkehr tummeln soll, während der Autoverkehr sich ungebremst und unkontrolliert auf den übrigen Verkehrsflächen austobt.

    Die Unfallsituation entsprach -aus der Perspektive des Fußverkehrs- auch jetzt schon bereits dem beschriebenen Konzept.

    Heute ignorieren manche Fahrradfahrer*innen die Benutzungspflicht, z. B. wenn der Fahrradweg zu schmal ist, aber die Verkehrsbehörden trotzdem an der Benutzungspflicht festhalten, weil sie so tun, als sei der schmale Fahrradweg trotzdem sicherer als auf der Fahrbahn zu fahren. Manche Autofahrer*innen sagen dann: "Typisch Fahrradfahrer, jeder von denen fährt, wie er meint."

    Radwege vorsätzlich ignorieren (also auf der Fahrbahn; linke Gehwege oder Radwege in nicht vorgesehener Richtung benutzen oder bei Bedarf "nur mal eben" über den Gehweg ausweichen ist ausdrücklich nicht gemeint) macht hier[TM] außer mir keiner. Das gilt ausdrücklich auch für Radwege ohne Benutzungspflicht.

    Na schön, aber wie beschildert man die Gegenrichtung für Fußgänger, die aus dem Bus aussteigen und entgegen der Fahrtrichtung weiterlaufen? Ein linksseitiges [Zeichen 240] wäre ja falsch, da der Radweg von Radfahrern linksseitig nicht befahren werden darf. Es handelt sich schließlich nicht um einen Zweirichtungsradweg. Und wenn ab dieser Stelle doch, wo sollen diese Radfahrer dann plötzlich herkommen? Aus dem Bus etwa?

    Probleme, die man nur hat, wenn man annimmt, dass das Verhalten auf Sonderwegen sich nach der Beschilderung richten würde. Defacto gibt es zwei klar abgegrenzte Straßenteile: "drinnen" (=Fahrbahn) und "draußen" (=der ganze Rest jenseits der "großen" Bordsteinkante). Das Verhalten auf den außerhalb der Fahrbahn liegenden Straßenteilen richtet sich dann allein nach der Baugestaltung bzw. einer ggf. vorhandenen deutlichen Markierung. Die Illusion, dass die Beschilderung die Nutzung vorgebe, resultiert lediglich aus dem Umstand, dass in den meisten Fällen eine Kongruenz zwischen Beschilderung und Gestaltung existiert. Sobald aber die Beschilderung von der Gestaltung abweicht, gewinnt die Gestaltung. Immer.

    Hätte wahrscheinlich heißen müssen "nach Angaben des Pkw fuhr die Radfahrerin von rechts aus einem Feldweg auf die Hauptstraße. Ob dies zutrifft, müssen Sachverständige klären, da die Radfahrerin verstarb und sich nicht mehr zum Unfallhergang äußern kann. Zeugen werden gesucht"

    Die Frage „wer kam von wo“ ist anhand des Schadbildes an den Fahrzeugen und der sonstigen Spurenlage sehr leicht zu klären. Das Beiziehen eines Sachverständigen gehört bei Todesfällen zur Vorschrift und ist kein Anzeichen dafür, dass die Beamten der Unfallaufnahme den offensichtlichen Hergang anzweifeln. Ich habe auch noch nie erlebt, dass der Gutachter hinterher gesagt hätte „achnee, vertan, der Radfahrer kam ja doch gar nicht aus dem Feldweg sondern wurde durch Verletzung des vorgeschriebenen Mindestabstandes beim Überholen von hinten angefahren“.

    GMaps zeigt eine gestrichelte Fahrradroute entlang der K31, die am Ortsausgang Helmstadt auch mit Wegweisern weggeleitet wird. Sie trifft hier wieder auf die Kreisstraße.

    PS „nach Angaben des PKW“, ernsthaft? Und sich dann über die Diktion von Pressemeldungen aufregen. Tsts.😈

    Aber er war eben bekannt, über ihn wurde in der Öffentlichkeit gesprochen. Und mit solchen Aktionen ist man dann eben schnell so beliebt wie Knöllchen-Horst.

    Der Bekanntheitsgrad dürfte auch damit zusammenhängen, dass N. offenbar ständig auf der selben Strecke unterwegs war. Man findet nichts dazu, ob er einer geregelten Arbeit nachgegangen ist, aber er hatte jedenfalls seeehr viel Zeit fürs Radeln, zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten. Laut Blog 9.0000km Jahresfahrleistung mit eher geringem Schnitt, auf praktisch der immer gleichen Strecke - der Mann muss sich täglich insgesamt ~2h auf dieser L574 aufgehalten haben. Jetzt stell dir noch dazu vor, dass er da nicht einfach nur in Alltagskleidung rauf und runter fuhr, sondern Warnweste und meist kurze Hosen trug, immer mit 2 prall gefüllten Packtschen und oft mit Anhänger fuhr, ständig am Straßenrand stand zB um Fotos zu machen oder Müll aufzusammeln, mit Poolnudel und anderen Abstandhaltern fuhr, plakativ Schlenker machte wenn er im Rückspiegel jemanden wahrnahm, gestikulierte. Das Dorf, in dem er mit 43 Jahren noch bei seiner Mutter wohnte, und die Ortschaften im Umland haben nicht viele Einwohner und mit Durchgangsverkehr ist in der Ecke nicht zu rechnen, so dass die meisten der Menschen, denen er auf der Straße begegnete, ihn auch unabhängig davon persönlich gekannt haben dürften.

    Nach der mit größter Pietät geäußerten Formulierung in einem im Netz verfügbaren Nachruf zu urteilen, muss er durch seine bedingungslose Beharrlichkeit (nach dort zitierter eigener Aussage „im Autismusspektrum“) manchmal auch für seine Freunde aus der Fahrradszene sehr anstrengend gewesen sein.

    Soweit ich das gestern bei den Redebeiträgen und im Gespräch mit Radfahrern aus der Region verstanden habe, ist das gar kein Radweg; ich habe auch über weite Strecken keine blauen Schilder gesehen.

    Die fehlende Benutzungspflicht ist irrelevant für die Frage, ob im Nachhinein gehetzt wird. Dafür reicht (genau wie für die Übergriffe durch den autofahrenden Mob live auf der Strecke) die Existenz (bzw. der bloße Anschein) von begleitender "Infrastruktur" aus.

    Soweit ich das aus Natenoms Blogbeiträgen sehen kann, erstreckt sich die fundamentale Kritik an der Radführung entlang der L574 hauptsächlich um den Abschnitt zwischen dem Ortsausgang Pforzheim und dem Dorf Huchenfeld. Hier wurde ein steiler und über Teile unbefestigter Forstweg, der quasi direkt auf der Falllinie der 170 Höhenmeter verläuft, mit kleinen grünweißen Wegweisern zur Radstrecke erklärt, während sich die Fahrbahn (ohne konkret begleitende Radinfrastruktur...) mit gemäßigterer Steigung- über mehrere Serpentinen nach oben windet. Von Huchenfeld über Schellbronn nach Neuhausen scheint die Steigung nicht mehr ganz so heftig zu sein, und es gibt einen begleitenden recht ordentlich scheinenden asphaltierten Weg (den Natenom selbst in seinem Blog wiederholt als "Radweg" bezeichnet hat) entlang der Fahrbahn. In genau diesem Abschnitt ereignete sich der Unfall.

    Ich hab hier drüben ein paar Fotos hochgeladen und die (für eine Fahrraddemonstration meines Erachtens beinahe schon üblichen) Erlebnisse geschildert:

    Die Verkehrswende-Agitation ist im Fall Natenom in der Zwickmühle. Man prangert nicht ungestraft den Tod eines radwegignorierenden Fahrbahnradlers an, nachdem man jahrzehntelang "Radweg tut Not!" als alleinseligmachende Lösung für die Radverkehrssicherheit gepriesen hat. Daran ändert auch das jetzt ebenfalls halbherzig gerügte Fehlen von Tempolimits und Abstandskontrollen nichts, denn das bedeutet zwischen den Zeilen doch eigentlich auch nichts anderes als "Radweg her, verdammt nochmal, dann sind wir auch still, versprochen".

    Wie ist eigentlich dein persönlicher Eindruck vom Zustand des Radwegs neben der L547?

    Flächenverbrauch ist doch nur eins der Probleme. Bezüglich des Klimaschutzes muss man die CO2-Äquivalente eines Radwegbaus vergleichen mit der Einsparung durch aufs Fahrrad verlagerte Fahrten. Je weniger es davon gibt, desto später oder nie amortisiert sich ein Radwegbau bezüglich des Klimaschutzes.

    Zur ersten Abschätzung kann man davon ausgehen, dass der von einem Projekt verursachte CO2-Fußabdruck direkt proportional durch die Baukosten abgebildet wird. Der Kilometer neu angelegter Radweg kostet minimum 250.000€, bei Brücken, Tunneln etc ein Mehrfaches (ja, ich weiß, es ist weit weniger als bei einer Autobahn. Das ist aber egal, weil die „Autobahn“ nebenan ja quasi schon vorhanden ist). Lassen wir den zusätzlich zum Fahrbahnunterhalt notwendigen Mehraufwand für Zinsen, Reinigung, Grünschnitt, Winterdienst erstmal beiseite und rechnen optimistisch mit 50 Jahren Haltbarkeit bis zum vollständigen Neubau, dann betragen die jährlichen Kosten 5000€/km. Ein km Verbrennerfahrt verursacht ca. 10ct Spritkosten, so dass sich der Weg ökologisch rentiert, wenn (nur wegen seinem Bau) 50.000 Passagen jährlich aufs Fahrrad verlagert werden. Das entspräche ca. 122 Pendlern, die komplett umsteigen und diesen Weg dann ausnahmslos, also 220-mal im Jahr, auf Hin- und Rückfahrt benutzen müssten. Wenn ich bedenke, dass ich selbst auf meinem Weg vom Wohndorf in die benachbarte Großstadt (trotz brauchbarem Radweg nebendran) quasi der einzige Radfahrer bin, kann ich mir ausmalen, wie gering die Chancen sind, Radwege an Landstraßen ökologisch zu amortisieren, die Relationen deutlich mehr als 10km außerhalb der Städte verbinden.

    Gekürztes Transkript: […]

    Was für ein Haufen bangemachendes, motorisierte Gewalt entgegen aller scheinheilig vorgeschobenen Entrüstung zum Normalzustand erklärendes und sie damit nur legitimierendes Geschwafel. Unerträglich.

    Offensichtlich hat im allgemeinen Empörungs-Sturm jetzt die dpa den Überblick über das Geschehen verloren. Gestern präsentieren praktisch alle großen Newsplattformen eine dpa-Meldung, die Natenom eine Woche nach seinem Tod noch einmal sterben lässt.

    Die Süddeutsche hat den Fehler mittlerweile bemerkt und den Artikel wieder vom Netz genommen.

    Daß Tattergreise mit einem gefahrgeneigten Gegenstand nachts halbblind durch die Gegend rasen, ist kein Naturgesetz.

    Dass man das nicht tolerieren mag, hat aber rein gar nichts mit der Frage zu tun, ob die gefährdeten Subjekte mit Muskelantrieb oder Motor unterwegs sind. Es hat noch nicht einmal was damit zu tun, ob die muskelgetriebenen Fahrzeuge auf oder neben der Fahrbahn (auf der Furt eines sicheten (hüstel) Radwegs) gefährdet werden.

    Was in dem von Malte zitierten taz-Artikel zwischen den Zeilen zu lesen ist, läuft meines Erachtens darauf hinaus, um das mal ziemlich krass auszudrücken, dass Natenom und viele andere Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen keine Unfallopfer geworden wären, wenn die unfallbeteiligten Autofahrer*innen gewusst hätten, bzw. entsprechend nachgeschult worden wären,

    Natenom wäre auch gestorben, wenn vier Meter Seitenabstand Vorschrift gewesen wären, und diese auch durch Nachschulung und Sanktionierung durchgesetzt und beachtet würden. Zu etwas, das man nicht sieht, kann man keinen Abstand vergrößern.

    Überholabstände sind vollkommen untauglich als Prädiktoren fürs Unfallrisiko.

    Was bringt es einen Weg mitten durch den Wald fernab der Straße in Ordnung zu bringen. Wenn es dunkel ist, dann fährt man wegen der sozialen Sicherheit sowieso die Straße lang… Ergo ist das Gerede bzgl. dieses angeblichen Radwegs sinnlos…

    Ja, das Gerede ist sinnlos. Nein, es ist nicht sinnlos, weil der Radweg schlecht ist. Es ist sinnlos, weil der Unfallverursacher so nicht hätte fahren dürfen. Punkt. Ganz egal, ob ein (sehr kleiner) Teil der durch seine Fahrweise Gefährdeten (inclusive seiner Person selbst) Fahrzeuge mit Muskelantrieb benutzt, und deswegen neben der Fahrbahn hätte fahren müssen/können/dürfen.

    Radweg ist immer Diskriminierung, und wenn es nur eine Diskriminierung der Nicht-Radfahrer wäre, weil denen die Sicherheit des Sonderweges neben der Straße versagt bliebe.:evil: