Vielen Dank an Mueck und Autogenix für die ausführlichen Antworten, die ganz gut das Problem aufzeigen. Was mich stört in der Diskussion ist: Dass es Menschen mit Behinderungen gibt, die das Auto als Verkehrsmittel benutzen, wird oft so dargestellt, als sei es deshalb unvermeidlich und dringend notwendig am vorhandenen Umfang des Autoverkehrs festzuhalten.
Das geht mitunter so weit, das argumentiert wird, wenn Parkplätze reduziert werden, dann komme es angeblich häufiger vor, dass Behindertenparkplätze blockiert würden.
Menschen mit Behinderung werden dann instrumentalisiert für die Blockade einer dringend notwendigen Verkehrswende. Und die Diskussion wird dann so gedreht, dass Befürworter einer Verkehrswende hingestellt werden, als seien sie behindertenfeindlich. Zum Glück gelingt das nicht immer. Und es ist meines Erachtens grundfalsch anzunehmen, dass eine Welt ohne Autos Menschen mit Behinderung unnötig einschränkt und benachteiligt. Im Gegenteil: Von den vielen Vorzügen einer Welt ohne Autos würden gerade auch Menschen mit einer Behinderung, ältere Menschen und Kinder profitieren. Es ist schließlich auch kein Zufall, dass gerade die autofreien Nordsee-Inseln als Urlaubsorte bei Familien besonders beliebt sind.
Da hängt lokal viel von der ÖV-Historie ab. Im Schienenverkehr halten die Fahrzeuge sehr lange. Ein paar Jahre zu früh neue Bahnen bestellt und schon hat man nicht barrierefreie Bahnen 30-40 Jahre an der Backe auch in Zeiten, wo das dann schon üblich hätte sein können, Inkompatibilitäten verzögern dann Streckenumbauten.
In Hannover scheiden in den nächsten Jahren die letzten TW6000-Stadtbahnfahrzeuge (Straßenbahnen) aus den 70er und 80er Jahren aus. Die haben noch Klapptrittstufen, das heißt in den Untergrund-Stationen und an den oberirdischen Hochbahnsteigen ist ein ebenerdiges Aussteigen möglich. An den alten Haltestellen ohne Hochbahnsteig ist das nicht möglich. Die TW-6000-Fahrzeuge haben allerdings auch an Hochbahnsteigen immer noch eine Höhendifferenz von 10 cm. Die Nachfolgemodelle, zum Teil auch noch mit Klapptrittstufen, nicht mehr.
Immerhin sind inzwischen mehr als 80% der Haltestellen mit Hochbahnsteigen ausgestattet und barrierefrei. In Stuttgart allerdings, wo ebenfalls lange Zeit Stadtbahnen (Straßenbahnen) mit Klapptrittstufen fuhren, sind es 100%.
Dafür gibt es da andere Probleme, insbesondere mangelnde Aufstellfläche in den Bahnen. Und da stimme ich dir zu Mueck, das Thema ist sehr weitläufig und verzweigt. Aber mein Eindruck ist, die große Gruppe von Menschen mit Behinderungen, die besonders dringend auf einen barrierefreien ÖPNV angewiesen ist, wird noch stärker in der Diskussion "überfahren" als die deutlich kleinere Gruppe von Menschen mit Behinderung, die selbstständig ein Auto fahren.
Und dass in vielen Fällen Verwandte zu Fahrdiensten herangezogen werden, ist doch erst Recht ein Grund, die ÖPNV-Situation zu verbessern. Die Haltung entweder du hast ein eigenes Auto oder du hast jemanden, der dich fährt, bremst den ÖPNV-Ausbau. Eigentlich müsste das Motto sein: Es darf keine Notwendigkeit geben, ein eigenes Auto zu fahren und ich muss nicht darauf angewiesen sein, dass andere mich in ihrem Auto mitnehmen.