Vereinbarkeit von Bundesrecht und RadG

  • Mal unabhängig von der Rechtmäßigkeit tendiere nach der Lektüre der §§ zu einer Ablehnung des Entscheids. In den Details sind sie einfach zu weit gegangen.
    Beispiele:

    Zitat von §4 Abs. 4

    Fahrradstraßen sollen gegenüber kreuzenden und einmündenden Nebenstraßen bevorrechtigtsein. Der Vorrang soll mindestens optisch kenntlich gemacht werden.

    Verlangen die im zweiten Satz wirklich, dass optisch eine Vorfahrtstraße markiert wird, obwohl tatsächlich rechts vor links gilt?

    Zitat von §6 Abs. 2

    Radschnellwege sind kraftfahrzeugfrei und sollen mit planfreien Knotenpunkten gestaltetwerden

    Der Standardfall soll also eine Über- oder Unterführung für querende Straßen sein. Wahrscheinlich noch inklusive Auf- und Abfahrten. Was für ein Quatsch!
    Das retten auch die folgenden Soll-Vorschriften nicht mehr.

    Zitat von §8 Abs. 5

    Nach jedem Unfall mit schwerem Personenschaden oder Getöteten ist innerhalb von 4Wochen zu prüfen und im Internet zu veröffentlichen, ob und inwiefern die Gestaltung derVerkehrsanlage oder Verkehrsführung dafür mitursächlich war. Ist die Mitursächlichkeit derGestaltung der Verkehrsanlage oder der Verkehrsführung für den Unfall gegeben oder kannsie nicht ausgeschlossen werden, sind innerhalb von sechs Monaten entsprechende baulicheoder sonstige geeignete Maßnahmen nach Absatz 3 zur Vermeidung künftigerPersonenschäden zu ergreifen.

    Wenn sich der Unfallablauf also überhaupt nicht rekonstruieren lässt, muss die Kreuzung trotzdem umgebaut werden?

    Leider kann man nur über das Gesamtpaket abstimmen.


  • Verlangen die im zweiten Satz wirklich, dass optisch eine Vorfahrtstraße markiert wird, obwohl tatsächlich rechts vor links gilt?


    Es soll ja nicht nur optisch eine Vorfahrtstraße markiert werden, die Fahrradstraße soll ja auch eine Vorfahrtstraße sein.

    Der Standardfall soll also eine Über- oder Unterführung für querende Straßen sein. Wahrscheinlich noch inklusive Auf- und Abfahrten. Was für ein Quatsch!


    Ich halte das nicht pauschal für Quatsch. Je nachdem, wo die Trasse entlangführt, verliert ein Radschnellweg mit ständigen Kreuzungen und Wartezeiten seine namensgebende Eigenschaft. Wenn ein Radschnellweg nicht wesentlich schnellere Verbindungen ermöglicht, kann man ja auch gleich die „normalen“ Routen wählen.

  • Es soll ja nicht nur optisch eine Vorfahrtstraße markiert werden, die Fahrradstraße soll ja auch eine Vorfahrtstraße sein.

    Da steht nicht "auch optisch", sondern "mindestens optisch". Also im Sinne von: Wenn schon faktisch nicht geht, dann zumindest optisch.
    Die haben wohl selber bemerkt, dass Fahrradstraßen nur selten (nie?) als Vorfahrtsstraße geführt werden können.

    Ich halte das nicht pauschal für Quatsch. Je nachdem, wo die Trasse entlangführt, verliert ein Radschnellweg mit ständigen Kreuzungen und Wartezeiten seine namensgebende Eigenschaft. Wenn ein Radschnellweg nicht wesentlich schnellere Verbindungen ermöglicht, kann man ja auch gleich die „normalen“ Routen wählen.

    Es sollen innerhalb von 8 Jahren 100km Schnellwege angelegt werden. Das ist mehr als die Länge der Stadtautobahn. Und das möglichst planfrei. Das geht nur, wenn entsprechende Rampen oder Unterführungen für den Querverkehr gebaut werden. Denn als Radfahrer möchte man ja möglichst ohne starkes Gefälle fahren. Das sieht dann am Ende aus wie ein kleines Autobahnkreuz. Sonderlich schön finde ich diese Vorstellung nicht.
    Schnellwege mit Vorfahrt halte ich für eine gute Idee. Planfreiheit für totalen Quatsch.

  • Das sieht dann am Ende aus wie ein kleines Autobahnkreuz. Sonderlich schön finde ich diese Vorstellung nicht.

    In den Kopenhagener Außenbezirken hat man diese Lösung gewählt und ich find’s jetzt nicht unbedingt wie ein Autobahnkreuz Supercykelstier Albertslundruten C99

    In der Innenstadt wird sich das sicherlich nicht implementieren lassen.

  • Da steht nicht "auch optisch", sondern "mindestens optisch". Also im Sinne von: Wenn schon faktisch nicht geht, dann zumindest optisch.Die haben wohl selber bemerkt, dass Fahrradstraßen nur selten (nie?) als Vorfahrtsstraße geführt werden können.

    Ich lese es so: Optimalerweise wird die Vorfahrt auch "baulich" (abgesenkter Bordstein [1][2]) umgesetzt, ansonsten zumindest "optisch" (z.B. durch weiße Linien).
    Beispiel 1 ist eine Fahrradstraße in HH die als Vorfahrtstraße geführt wird.

  • In den Kopenhagener Außenbezirken hat man diese Lösung gewählt und ich find’s jetzt nicht unbedingt wie ein Autobahnkreuz Supercykelstier Albertslundruten C99

    Vermutlich meinst Du sowas, oder?
    Vielleicht muss ich da jetzt erstmal eine Nacht drüber schlafen. Vom ersten Eindruck her fehlt mir da ein vernünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis. Ich bin mir nichtmal sicher, ob sowas in einem normalen Berliner Außenbezirk überhaupt sinnvoll ist. Selbst in einer reichen Stadt, in der sonst alle wichtigen Dinge erledigt sind. Und in Berlin sind sicherlich nicht alle wichtigen Dinge gemacht :)

  • Ich lese es so: Optimalerweise wird die Vorfahrt auch "baulich" (abgesenkter Bordstein [1][2]) umgesetzt, ansonsten zumindest "optisch" (z.B. durch weiße Linien).

    Genauso lese ich das auch. Und ich sage nichts gegen den ersten Teil. Wohl aber gegen den zweiten. Man kann doch nicht baulich eine andere Vorfahrtssituation vorspiegeln als tatsächlich vorhanden ist. Das provoziert Unfälle doch geradezu.

  • Ich habe es jetzt erstmal grob überflogen. Von wenigen kleinen Schnitzern abgesehen scheint mir die Stellungnahme alles in allem plausibel:

    1. Es stehen dem Landesgesetzgeber nur rudimentäre Gestaltungsspielräume zu.
    2. Das geplante Radverkehrsgesetz des Radentscheides verstößt ganz überwiegend gegen geltendes Bundesrecht.

    Das werde ich nochmal in Ruhe lesen.

    Bisher war meine Tendenz, gegen das Gesetz stimmen zu wollen. Die ist unverändert.

    Beruhigend finde ich, daß es ohnehin spätestens in Karlsruhe großteils kassiert würde.

    Einzig bei den Radschnellwegen, sofern sie neu gebaut werden (ehemalige Bahntrassen z.B.) und nicht wesentlich durch Umwidmung bisheriger Straßen entstehen, gibt es einige Möglichkeiten. Und das ist genau der Teil, den ich an diesem Gesetz noch am besten finde.

    Win win win. 8)

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    Peter Viehrig

    "Glaube ist die Überzeugung, dass etwas wahr ist, weil die Belege zeigen, dass es falsch ist."
    (Andreas Müller)

  • Die Schlußfolgerung des Gutachtens anhand eines Fallbeispiels aufgedröselt und dann verständlich (natürlich etwas vereinfachend) erklärt, gibt es für jene, denen das Original selbst zu lang und/oder zu unverständlich ist:

    Leezerize: Berliner Radentscheid: Radgesetz geht baden

    Via @MartinTriker auf Twitter

    Da hat sich jemand Mühe gegeben, das Grundproblem aufzuzeigen. Genau das gehörte eigentlich in die klassischen Medien. Weil es doch unwahrscheinlich ist, daß das passiert, bitte weiterverbreiten.

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    Peter Viehrig

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  • Da hat sich jemand Mühe gegeben, das Grundproblem aufzuzeigen.

    Kurz zusammen gefasst: Der Volksentscheid schränkt den vom Bund offen gelassenen Ermessensspielraum der Verwaltungen ein. Deshalb ist das Gesetz unzulässig.

    Ist das wirklich so? Dürfen Landesparlamente den vom Bund offen gelassenen Ermessenspielraum tatsächlich nicht weiter einschränken?

    Es geht ja nur darum, wer genau den offen gelassenen Ermessensspielraum nutzt:
    - Gewählte Volksvertreter im Landesparlament
    - Irgendein Beamter im Hinterzimmer

    Ist ersteres wirklich unzulässig?

  • Es geht ja nur darum, wer genau den offen gelassenen Ermessensspielraum nutzt:
    - Gewählte Volksvertreter im Landesparlament
    - Irgendein Beamter im Hinterzimmer

    Ist ersteres wirklich unzulässig?

    Ok, da verweise ich dann auf das Gutachten selbst. Kurz zusammengefaßt: Ja, meistens, weil die StVBn nur ausführende Exekutive des gesetzgeberischen Gestaltungswillens des Bundes sind und deshalb in dessen Sinne ihr Ermessen (das der Straßenverkehrsbehörden) konkret auszugestalten haben. Der Bund hat kaum noch Gestaltungsspielräume für die Länder gelassen. Die Ausnahmen sind meist unbedeutend, abgesehen von den Radschnellwegen, da ginge etwas mehr. Das Gutachten selbst erklärt das sehr schön, sofern man mit der betont trockenen, sich in den "Stilmitteln" ständig wiederholenden Ausdrucksweise umgehen kann. Es finden sich ein paar kleine Schnitzer darin, die aber in der Gesamtbetrachtung vernachlässigbar sind.

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    Peter Viehrig

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  • Kurz zusammen gefasst: Der Volksentscheid schränkt den vom Bund offen gelassenen Ermessensspielraum der Verwaltungen ein. Deshalb ist das Gesetz unzulässig.

    Nö. Ich lese das so: der Volksentscheid fordert, dass in (allen) Einbahnstraßen gegenläufiger Radverkehr zugelassen wird. Das Bundesrecht knüpft diese Freigabe für Radverkehr aber an Bedingungen, die vom Berliner Radentscheid überstimmt würden - was nicht zulässig ist.

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • Das Bundesrecht knüpft diese Freigabe für Radverkehr aber an Bedingungen, die vom Berliner Radentscheid überstimmt würden - was nicht zulässig ist.

    Darum steht im Gesetzestext meistens "soll" und nicht "muss" o.ä.
    Die Verwaltung darf also anders handeln, wenn sie anständige Gründe dazu hat. Eine widersprechende Bundesvorschrift wäre natürlich ein guter Grund.

  • Also, wer sich da in die Details stürzen will, dem empfehle ich wirklich dringend das Gutachten selbst zu lesen. Es stimmt sozusagen beides und beides nicht, @Spkr und @Epaminaidos.

    Wenn das vertieft werden soll, klarer Lesebefehl! Es lohnt sich ja auch, ist halt nur trocken und lang, aber interessant, sofern man das "ab kann".

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    Peter Viehrig

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