In unserer Fahrradblase mag kaum jemand Lkw- und Lieferwagenfahrer leiden: Sie gelten als rücksichtslos, unfreundlich, beim Rechtsabbiegen als gemeingefährlich und ihre Fahrzeuge stellen sie zugunsten des „echten Verkehrs“ auf der Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger ab.
Und dennoch haben diese Menschen in Zeiten der Coronakrise ihre Systemrelevanz unter Beweis gestellt. Diese Menschen fahren unsere Lieferungen aus, die wir im Internet bestellen, weil die Läden geschlossen sind, diese Menschen fahren neue Lieferungen für den Supermarkt durch die Gegend oder von einem Lager ins nächste, schlafen ohne Dusche und Waschbecken auf verdreckten Autobahnparkplätzen, die in Zeiten der Coronakrise niemand mehr reinigt, und nehmen ihre Mahlzeiten auf dem Bock zu sich, weil die Raststätten gesperrt sind, damit wir uns am Ende nur über fehlendes Toilettenpapier, aber nicht über fehlende Lebensmittel beklagen können.
Diese Menschen werden für uns grundsätzlich nur sichtbar, wenn wir uns über sie ärgern, will sagen: Wenn sie auf Geh- und Radwegen parken.
Und das schafft eben Probleme. Supermärkte müssen beliefert werden, haben aber in Innenstadtlagen häufig keine eigene Laderampe, sondern teilweise nur einen kleinen Hintereingang mit einem kleinen Zwischenlager. Ein Supermarkt hier in der Nähe wird beispielsweise beliefert, indem Sattelzüge rückwärts von einem einzelnen Fahrer auf den benutzungspflichtigen Geh- und Radweg manövriert werden. Das läuft hier mehrmals pro Woche so, denn der Supermarkt muss ja schließlich beliefert werden. Für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer wird das übliche „man kann ja auch mal absteigen“, „man kann ja auch mal Rücksicht nehmen“ und „irgendwo muss er ja parken“ empfohlen, während in Wirklichkeit der Radverkehr durch die hohle Gasse saust und den Fahrer bepöbelt. Es gab dort nach meiner Kenntnis auch mindestens einen Unfall, als ein Radfahrer auf dem Gehweg mit der Ladung kollidierte, die sich auf der Rampe selbstständig machte und aus dem Lager rollte.
In der Kieler Innenstadt hat am Asmus-Bremer-Platz kürzlich ein neuer Supermarkt eröffnet, der sich über die Andreas-Gayk-Straße beliefern lässt. Das Gebäude hat zwar einen Innenhof, in den allerdings kein Last- oder Lieferwagen reinpasst, so dass im Regelfall der Fuß- und Radweg blockiert wird. Offenbar gab es hier schon Probleme mit dem Ordnungsamt, denn der benachbarte Bussonderfahrstreifen müsse freigehalten werden. Fußgänger und Radfahrer sind hier nicht so wichtig, wobei einer der Fahrer sogar mal die Mülltonnen auf den Radweg bugsiert hat, um anzuzeigen, dass Vorbeifahren gerade eine schlechte Idee wäre.
Und so läuft das hier eigentlich bei jedem innerstädtischen Supermarkt, der von diesen standardisierten Bauplänen mit großem Parkplatz und eigener Laderampe abweicht. Selbst wenn nicht direkt auf dem Radweg geparkt wird, werden wenigstens Sichtbeziehungen zwischen abbiegenden Verkehrsteilnehmern und nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern unterbrochen, beziehungsweise rote Ampeln verdeckt. Auch hier lautet die Antwort bekanntlich man könne ja auch mal absteigen, warten, Rücksicht nehmen.
Nun wäre das eigentlich alles ganz normal, alles wie immer, wenn nicht seit Dienstag der neue Bußgeldkatalog in Kraft getreten wäre. Und der sieht für das Halten und Parken auf Radverkehrs- oder Fußgängerinfrastruktur nicht nur deutlich höhere Bußgelder vor, sondern belohnt besonders hartnäckiges Falschparken mit Behinderung oder ab einer Stunde sogar mit einem Treuepunkt. Das heißt, wenn alle oben abgebildeten Verstöße zur Anzeige gebracht würden, wären die Fahrer binnen einer Woche ihren Führerschein für eine Weile los.
Es ist naheliegend, dass das nicht Sinn der Sache sein kann. Und genauso wenig kann es Sinn der Sache sein, die Belieferung von innerstädtischen Supermärkten ohne eigene Laderampe einfach einzustellen. Aber wie wäre es mit einer ganz abwegigen Lösung: Wir erkennen endlich einmal die Systemrelevanz derer an, die uns für einen undankbaren Lohn die Warenversorgung sichern und schaffen Ladezonen für Lastkraftwagen, Paketdienste, Lieferanten?
In Kiel kam just diese Diskussion auch pünktlich mit dem neuen Bußgeldkatalog auf: Neue Regeln auf den Straßen von Kiel
Die angepassten Bußgelder träfen nicht nur Lieferanten der Geschäfte, sondern auch deren Kunden, die hier in der Holtenauer Straße gerne „nur ganz kurz“ in zweiter Reihe parken. Der Einzelhandel beklagt hier regelmäßig das Fehlen von Parkplätzen, was bekanntlich zu einer Totalblockade jeglicher Verbesserungen für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer führte, da sowohl eine bessere Radverkehrsinfrastruktur als auch mehr Platz für Fußgänger oder gar eine Straßenbahn auf diese Weise verhindert werden. Das Motto lautet nach wie vor: Nur ein leerer Kofferraum kauft ein. Wenn der leere Kofferraum aber ab einer Viertelstunde in der zweiten Reihe mit einem Punkt nach Hause fährt, steuert er beim nächsten Mal vielleicht nicht den inhabergeführten Einzelhandel in der Holtenauer Straße an, sondern eines der Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Dort sind Autos willkommen, da gibt’s keine Parkplatzsorgen und Punkte nur für echte Treue beim Einkaufen.
Der Einzelhandel und die Stadt Kiel haben sich insofern auch direkt positioniert: Lieferungen wären nur mit Falschparken auf Rad- und Gehwegen möglich, Ladezonen könnten nicht eingerichtet werden, denn die gingen zulasten anderer Verkehrsteilnehmer. Schön, dass in der Stadt im Klimanotstand Fußgänger und Radfahrer offenbar keine Verkehrsteilnehmer sind. Die Begründung offenbart noch einen weiteren Knick in der Argumentation, denn einerseits hätten Radfahrer in Kiel eine zu starke Lobby, die aber andererseits nicht mal stark genug ist, um ein paar Poller zur Abwehr von Falschparkern auf dem Radweg anzuleiern?
Andererseits drohen bereits Konflikte: So ist jetzt schon das Halten auf markierten Radwegen auf der Straße verboten. 55 bis 100 Euro und ein Punkt drohen. Die ersten Kaufleute in Kiel reagieren bereits aufgebracht – an vielen Straßen von Holtenauer Straße über Knooper Weg oder am Exerzierplatz wird so der Lieferverkehr mit großen Fahrzeugen erschwert oder zunichte gemacht. Namentlich wollen sie nicht genannt werden: In Kiel haben die Radfahrer eine (zu) starke Lobby, heißt es. Die Stadt entgegnet: Man könne zwar Ladezonen schaffen – das würde jedoch zulasten anderer Verkehrsteilnehmer gehen.
Was man eigentlich sagen will und was in einer so genannten Stadt im Klimanotstand genau wie in einer ehemaligen Europäischen Umwelthauptstadt und überall anders gilt: Dem Auto soll kein Platz weggenommen werden.
Die zugrunde liegende Argumentation lautet außerdem, dass man sich als Fußgänger oder Radfahrer nicht über Lastkraftwagen oder den von Einparkvorgängen ausgehenden Behinderungen oder Gefährdungen beschweren dürfe, weil man selbst ja auch vom reichhaltigen Angebot der Supermärkte profitiere. Das ist zwar richtig, lässt aber außer acht, dass nach meiner Kenntnis auch Kraftfahrer auf regelmäßig zugeführte Nahrungsmittel angewiesen sind. Insofern müsste ich doch davon ausgehen dürfen, dass Kraftfahrer mit demütiger Begeisterung ihre wertvollen Parkplätze aufgeben, um dort eine Ladezone einzurichten?
Ich find’s tatsächlich lächerlich: Im unmittelbaren Umfeld des ganz oben abgebildeten Supermarktes, deren Lieferanten rückwärts mit dem Sattelschlepper einparken, zähle ich grob geschätzte 64 Parklätze. Aber es ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit, diese 64 Parkplätze auf, naja, 50 Parkplätze zu reduzieren, und die übrigen 14 Parkplätze morgens als Ladezone und den Tag über als Kundenparkplatz zu nutzen? Entlang der Holtenauer Straße und des Knopper Weges stehen kilometerlange Seitenstreifen zum Parken zur Verfügung, aber es gibt keinen Platz für eine Ladezone, wirklich nirgends? Dort parken doch auch keine Kunden des Einzelhandels, dort parken Anwohner, teilweise tagelang, weswegen die Kundschaft des Einzelhandels ja in zweiter Reihe parkt.
Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass bei jeweils zwei Fahrstreifen pro Fahrtrichtung und einem beinahe durchgängigen Seitenstreifen kein Platz zum Parken bleiben soll. Ich vermute mal, der Grund ist eigentlich ganz einfach: Dem Auto soll mal wieder kein Platz weggenommen werden und von Autos haben wir einfach zu viele in der Stadt.
Die Dummen sind dann weiterhin Lkw-Fahrer, die auf Rechnung ihres eigenen Punktekontos arbeiten, und nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer, die mal wieder sehen können, wo sie bleiben. Während man einem rückwärts auf dem Radweg einparkenden Sattelzug noch ausweichen oder aus dem Weg gehen kann, wird es bei unterbundenen Sichtbeziehungen zwischen nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern und abbiegenden Kraftfahrern schon schwieriger, nicht vielleicht doch irgendwann einmal „erwischt“ zu werden.
Aber ich vermute, wenn selbst in einer so genannten Stadt im Klimanotstand nicht mit der Einrichtung von Ladezonen zu rechnen ist, braucht man es in anderen Städten auch gar nicht erst versuchen. In Kiel wurde ja in der Vergangenheit tatsächlich mal um 20 Uhr für Lkw-Fahrer aus dem Fenster geklatscht, aber nachdem wieder alles seinen gewohnten Gang geht und die Supermärkte wieder einigermaßen gefüllt sind, ließ die Begeisterung für diese Berufsgruppe schnell wieder nach.
Außerdem haben Ladezonen auch den Nachteil, dass man Falschparker nicht nur sanktionieren, sondern auch abschleppen müsste. Ganz schwierige Thematik.