Das mit der Schrittgeschwindigkeit war doch eigentlich schon geklärt, oder?
Jein.
Ich will es mal mit einem Beispiel aus dem Steuerrecht veranschaulichen. Da hatte 2002 das höchste Fachgericht, der Bundesfinanzhof, entschieden, dass Ausbildungskosten, die dem Broterwerb dienen (im Unterschied zum Jodeldiplom), als berufliche Kosten in unbegrenzter Höhe absetzbar sind und zu steuerlichen Verlusten führen können, die mit Gewinnen anderer Jahre verrechnet werden können. Begründung: das "Lebenskampf"-Urteil des faschistischen Reichsfinanzhofs gehört auf den Müllhaufen der Geschichte, und heutzutage ist lebenslanges Lernen Usus.
Der Bundestagsmehrheit und dem Finanzminister war das zu teuer, also wurde beschlossen, die auf 1938 basierende Rechtslage für Erstausbildungen wieder einzuführen und nur Zweitausbildungen zu modernisieren.
So begann ein bisher 17 Jahre dauernder Kampf zwischen BFH und Gesetzgeber/Minister, in dessen Verlauf es zu folgender Situation kam, hier salopp geschildert:
Der Gesetzgeber beschließt, dass Ausbildungskosten Sonderausgaben sind, wenn sie keine Werbungskosten sind. (Und denkt, damit hat er das Thema Werbungskosten erledigt.)
BFH sagt: "Ihr habt hier 'wenn' geschrieben und nicht 'weil'. Wir wissen aus Eurer Gesetzesbegründung und aus den Debatten genau, was Eure Absicht war. Aber da das Wort 'wenn' einen absolut eindeutigen und nicht interpretationsfähigen Sinn ergibt, ist der Rest irrelevant. Laut Text ist vorrangig zu prüfen, ob Ausbildungskosten Werbungskosten sind. Nur in dem Fall, dass diese Prüfung negativ endet, greift der Auffangtatbestand 'Sonderausgaben'."
Das saß. Und führte dazu, dass innerhalb weniger Wochen das Gesetz geändert wurde und Schäuble dachte, er habe gewonnen.
Der BFH ging daraufhin zum Bundesverfassungsgericht. Dort schmort der Fall seit fünf (!) Jahren.