Beiträge von Uwe

    Man ist durchaus in der ungünstigeren Ausgangsposition, ja, weil man als Fahrzeugführer die Betriebshaftung hat.

    Eine Haftung aus Betriebsgefahr hat man nur als Halter eines Kraftfahrzeugs. Für den Führer eines Kraftfahrzeugs gilt dann eine vermutete Verschuldenshaftung, d.h. im Falle eines Unfalles zwischen Kraftfahrer und Radfahrer muss der Kraftfahrer eine Mit- oder Alleinschuld des Radfahrers beweisen.

    Die Vorschrift, dass man seine Geschwindigkeit dem Fußgängerverkehr anpassen muss, ist aber in der Tat geeignet, bei einer Kollision zwischen Fußgänger und Radfahrer eine Schuld des Radfahrers zu beweisen, insbesondere wenn man als Radfahrer einen in der gleichen Richtung sich fortbewegenden Fußgänger überholt.

    VG Hannover 7 A 3749/11 Urteil vom 03.05.12 ist zwar nicht an der Weinstraße gefällt worden, der Satz:

    Zitat

    Der Kläger rügt auch zu Recht, dass die angebotenen Alternativrouten unverhältnismäßig sind, und zwar schon allein deshalb, weil sie nicht in das Räum- und Streuprogramm der Beklagten aufgenommen sind.

    dürfte aber in Deinem Sinne sein.

    Dass man in Syke durch Benutzung der Richtung Stadtzentrum führenden Straßen einen geräumten und gestreuten Alternativweg von "nur" 2,7 km Länge hätte, war für das VG Hannover anscheinend kein Grund, der Klage nicht stattzugeben, bzw. diesen Umstand bei der angeordneten Bescheidung für beachtlich zu erklären.

    Das Urteil des VG Neustadt/Weinstraße über die Sperrung im Nordwesten von Kaiserslautern steht dem natürlich entgegen. Da die 3. Kammer dieses Gerichts auch für die Südwestpfalz zuständig ist, sieht es mit den Erfolgsaussichten leider eher mau aus. Die Kreisverwaltung und auch der Kreisrechtsausschuss als Widerspruchsbehörde orientieren sich dann doch eher an ihr örtliches Gericht.

    Eine zulassungspflichtige Rechtsbeschwerde durchzubekommen ist immer wie ein Segeln zwischen Skylla und Charybdis: einerseits muss man argumentieren, dass eine Fortbildung des Rechts erforderlich ist, d.h. dass man nicht unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz alles, was die Rechtsprechung für Kraftfahrzeuge an Ampeln entwickelt hat, 1:1 auf Fahrräder übertragen kann, andererseits soll natürlich die Rechtsfortbildung im Sinne der Radfahrer ausfalllen.

    Nur durch ein Berufen auf den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG wird man das nicht schaffen. Letzten Endes ist Artikel 3 GG den Richtern am OLG ja auch vertraut, d.h. darauf müssen sie nicht mit der Nase gestupst werden. Und sie entscheiden dann selber, was als gleich angesehen werden muss und wann eine Ungleichheit vorliegt, die eine differenzierte Betrachtung erfordert. Überspitzt formuliert: man könnte unter Berufung auf Art. 3 GG ja auch fordern, dass Radfahrer auf Autobahnen fahren dürfen, oder dass Kraftfahrzeuge Radwege benutzen (und dann auch dort parken) dürfen.

    Wichtig bei einer Begründung erscheinen mir doch eher die Fakten, die auch ein Jurist nicht bereits aufgrund seiner Berufsroutine im Kopf hat. Das sind meiner Meinung nach z.B. die sehr geringen Anforderungen, die die StVZO an Fahrradbremsen stellt. Damit kann man einerseits begründen, dass man die KfZ-Ampel-Rechtsprechung nicht auf Fahrräder übertragen kann, andererseits führt die Anwendung dieses Arguments zu einer möglichst langen (fiktiven) Gelbphase für Radfahrer, d.h. dass die im Verhältnis zum Kfz-Verkehr niedrigere Geschwindigkeit des Radverkehrs nicht dazu führen sollte, die Dauer einer fiktiven Gelbphase auf 2 Sekunden zu begrenzen.

    Letzen Endes muss man jetzt sowieso weitersehen, wieviel Zeit sich der Rechtspfleger für das Protokoll nimmt und was da alles reinkommt.

    Rechtsausführungen darf der Betroffene auch danach noch machen, z.B. als Replik auf eine Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft.

    Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Bürgeranfrage, wonach die Geschwindigkeit bei einer fehlenden Gelbphase zu verlangsamen sei:

    http://www.verkehrsportal.de/board/index.ph…st&p=1057643435

    Und eine Übersicht über ähnliche Fälle, die bereits vor den Amtsgerichten höchst unterschiedlich ausgegangen sind:

    1) Betroffener, der selber Richer am Landgericht Bielefeld ist, zieht seinen Einspruch in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Bielefeld zurück:

    https://www.westfalen-blatt.de/OWL/Bielefeld/…0-Euro-Bussgeld

    2) Betroffener wird vom Amtsgericht Münster verurteilt, allerdings wegen schlechter Erkennbarkeit der Lichtzeichenanlage zu einer niedrigen Geldbuße, die ihm eine Eintragung in das Verkehrszentralregister und damit Probezeitmaßnahmen erspart:

    http://www.verkehrsportal.de/board/index.ph…ndpost&p=487935

    3) Einstellung des Verfahrens durch das Amtsgericht in drei Fällen:

    http://www.verkehrsportal.de/board/index.ph…opic=82649&st=0


    https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.urteil-…567d34db44.html

    Das in einem Kommentar zum Beitrag "Richter gegen Richter" (Westfalenblatt vom 28.04.18) erwähnte Verfahren AZ 191 OWi-302 Js 3174/13-407/13 vor dem Amtsgericht Bielefeld.

    4) Verzicht auf Einlegung eines Einspruchs:

    http://www.verkehrsportal.de/board/index.ph…pic=104087&st=0

    es wird durch den VT nicht gegen die BKatV verstoßen, sondern gegen die StVO.

    Genau. Wobei allerdings die Formulierungen in der BKatV es nahelegen, jedes Überfahren einer roten Ampel als Ordnungswidrigkeit einzustufen:

    Zitat
    132a Als Radfahrer in anderen als den Fällen des Rechtsabbiegens mit Grünpfeil rotes Wechsellichtzeichen oder rotes Dauerlichtzeichen nicht befolgt§ 37 Absatz 2 Nummer 1 Satz 7, 11, Nummer 2, Absatz 3 Satz 1, 2
    § 49 Absatz 3 Nummer 2
    60 €
    ...
    132a.3 bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens§ 37 Absatz 2 Nummer 1 Satz 7, 11, Nummer 2
    § 49 Absatz 3 Nummer 2
    100 €
    ...

    Wenn man ab einer Sekunde Rot schon den erhöhten Satz bekommt, dann liegt es ja nahe, im Bereich von 0,0 bis 0,99 Sekunden die 60 Euro zu verhängen. Das ist anscheinend ein Rechtsirrtum, dem viele staatliche Entscheidungsträger (Polizisten, Bußgeldsachbearbeiter, Richter am Amtsgericht) aufsitzen.

    Die BKatV gilt zwar nur für den Regelfall. Aber ist eine kombinierte Streuscheibe für Fußgänger und Radfahrer als Ausnahme vom Regelfall anzusehen, wenn es davon z.B. alleine in Hamburg 10.000 bis 15.000 an ca. 1000 Ampeln geben soll? (Siehe Bundesratsdrucksache 428/12 Seite 137 zur Begründung der Übergangsfrist bis zum 31.12.2016)

    Insofern würde ich diese weit verbreiteten (im Gegensatz zu reinen Radfahrerampeln) Kombi-Streuscheiben als Argument anführen, dass man auch die BKatV diesbezüglich ergänzend auslegen muss, so dass sich die Notwendigkeit einer Fortbildung des Rechts ergibt. D.h. dann müsste man die Nr. 132.a um eine virtuelle Gelbphase modifizieren und das OLG müsste diese virtuelle Gelbphase dann genauer bestimmen hinsichtlich Zeitdauer und Voraussetzungen.

    Ich wollte mal die Tabellenfunktion der Forensoftware ausprobieren, um das unterschiedliche Räumungsverhalten von Fußgängern, Radfahrern und Kraftfahrern nach den RiLSA (Richtlinien für Lichtsignalanlagen) zu dokumentieren.

    Ausgangszeitpunkt ist dabei das Ende der Grünphase. Die RiLSA machen keinen Unterschied, ob danach eine Gelb- oder direkt eine Rotphase folgt bzw. wie lange die Gelbphase dauert.

    Nach Ende der Grünphase rechnet man noch für die Überfahrzeit mit der Einfahrt von Fahrzeugen. In der Tabelle (ab Zeile 5) findet man dann die Zeit ab Ende der Grünphase, die das Heck des einfahrenden Fahrzeugs braucht, um eine bestimmte Strecke (3 bis 27 Meter) zurückzulegen.

    Man sieht sofort, dass der RiLSA-Radfahrer immer schneller ist als der Fußgänger. Erst ab einer Entfernung von 18 Metern ist er langsamer als ein Kraftfahrer.

    Das liegt daran, dass der RiLSA-Radfahrer nur eine Überfahrzeit von 1 Sekunde haben soll. Das erscheint mir bei 4 m/s doch arg wenig.

    Außerdem wird seine Längenausdehnung nicht berücksichtigt.

    In der letzten Spalte findet sich dann ein Radfahrer, der am Ende einer 3 Sekunden dauernden Gelbphase einfährt und dessen Längenausdehnung mit 2 Metern berücksichtigt wird. Dieser ist immer langsamer als der Kraftfahrer, aber ab 6 Metern (2 Fahrspuren) schneller als der Fußgänger.


    StreckeFußgängerRadfahrerKraftfahrer
    Geschwindigkeit
    in m/s
    1,24104
    Überfahrzeit 01 s3 s3 s
    Fahrzeuglänge006 m2 m
    3 m2,51,753,94,25
    6 m52,54,25
    9 m7,53,254,55,75
    12 m1044,86,5
    15 m12,54,755,27,25
    18 m155,55,58
    21 m17,56,255,88,75
    24 m2076,19,5
    27 m22,57,756,410,25

    Fazit: um die Zwischenzeiten für die Fahrbahnampeln kurz zu halten, rechnet die RiLSA mit zu kurzen Überfahrzeiten und Fahrzeuglängen bei Radfahrern. Radfahrer, die gegen Ende einer 3 Sekunden dauernden Gelbphase der Fahrbahnampel einfahren, erreichen mit ihrem Heck den Konfliktpunkt 2,5 Sekunden später als nach RiLSA berücksichtigt. Das kann natürlich für Behinderungen bzw. Gefährdungen sorgen, wird aber - wenn überhaupt - nur mit einem Verwarngeld sanktioniert.

    Bei einer kombinierten Fußgänger/Radfahrerampel dagegen werden die Zwischenzeiten (Zeit zwischen Grünende der einen und Beginn der Grünphase der anderen Richtung) von den Fußgängern bestimmt. Diese reichen aber ab 6 Metern Furtbreite (2 Fahrspuren) auch für einen mit 3 Sekunden Verspätung einfahrenden Radfahrer komplett aus. Lediglich bei einer Furt über eine einzelne Spur kann ein Radfahrer, der nach 3 Sekunden Rot noch einfährt, zu leichten Behinderungen führen.

    Insofern spricht nichts gegen eine 3 Sekunden dauernde fiktive Gelbphase bei einer Kombiampel Fußgänger/Radfahrer.

    In der Tat gehört die Feststellung der Fahrlässigkeit bereits zur Anwendung des Rechts und unterliegt damit der Überprüfung durch das OLG.

    In §37 StVO steht im übrigen nicht geschrieben, dass man bei Rot nicht in Kreuzungen einfahren darf, sondern welche Bedeutung die Lichtsignale haben:

    Zitat

    Gelb ordnet an: „Vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten“.

    Rot ordnet an: „Halt vor der Kreuzung“.

    D.h. die Lichtsignale ordnen etwas an. Es liegt aber auf der Hand, dass man gegen eine solche Anordnung nur verstoßen kann, wenn es objektiv möglich ist, die Anordnung auch zu befolgen. Aus diesem Grund darf man bei Gelb auch noch durchfahren, wenn man nicht mehr in der Lage ist, das Fahrzeug vor der Kreuzung gefahrlos anzuhalten. Wer zu Beginn der Rotphase durchfährt, handelt nur deshalb ordnungswidrig, weil er das Anhaltegebot des gelben Signals nicht beachtet hat, wobei aber eine ausreichend lange Gelbphase vorauszusetzen ist (3 Sekunden innerorts). Das wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auch durchgehend so formuliert (siehe Thread im Verkehrsportal). Man kann auch die These vertreten, dass Gelb und Rot dasselbe anordnen, denn auch beim Halt vor einer roten Ampel wartet man ja auf das nächste Zeichen, und wenn man vor der Kreuzung wartet, dann hält man doch vor der Kreuzung.

    Insofern kann man "rot" an einer normalen Ampel als "gelb" ansehen, welches schon mindestens 3 Sekunden andauert.

    Verstöße gegen das gelbe Licht (langsames Einfahren in die Kreuzung am Ende der Gelbphase) sind ebenfalls Ordnungswidrigkeiten im Sinne von § 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG.

    Man könnte im übrigen auch mit dem Verwaltungsverfahrensrecht argumentieren: Verkehrszeichen sind ja Verwaltungsakte in der Form einer Allgemeinverfügung.

    Nun ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn ihn aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann (§ 44 (2) Nr. 5 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz). Direkt (d.h. innerhalb von 0,0 Sekunden) kann kein Radfahrer sein Fahrrad zum Stehen bringen, wenn er beim Umschalten von Grün auf Rot direkt vor der Kreuzung ist und eine normale Radfahrergeschwindigkeit drauf hat.

    Deshalb würde es zu einem nichtigen (=unbeachtlichen) Verwaltungsakt führen, wenn man das Rotlicht so interpretiert, dass unmittelbar nach dem Aufleuchten des Rotlichts jedes Einfahren in die Kreuzung strikt verboten ist.

    Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann aber in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt umgedeutet werden ( § 47 VwVfG Hamburg). Deshalb sind Rotlichter nicht unbeachtlich, sondern sind Anordnungen, die man befolgen muss, wenn man sie biologisch (Reaktionszeit) und physikalisch befolgen kann.

    Die Bußgeldkatalogverordnung kann nicht zur Begründung fahrlässigen Verhaltens herangezogen werden. § 24 StVG erklärt ja Verstöße nur gegen Verordnungen für ordnungswidrig, die wie die StVO aufgrund von § 6 StVG erlassen wurden. Die BKatV ist aber aufgrund von § 26a StVG erlassen worden, so dass sie keine neuen Bußgeldtatbestände einführen kann, sondern nur die Bußgeldhöhe bei Taten regelt, die bereits nach anderen Vorschriften als ordnungswidrig einzustufen sind.

    Ordnungswidrig kann man das Verhalten von Malte also nur einstufen, wenn man bereits das Grünlicht der Kombiampel als Gebot interpretiert, sich der Ampel nur mit Schrittgeschwindigkeit zu nähern.

    DasOWiG ist Verfahrensrecht und insofern für die Frage einer Rechtsverletzung unerheblich.

    Verletzt ist aber das materielle Recht, in diesem Fall das Straßenverkehrsgesetz § 24, wonach nur vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln ordnungswidrig ist:

    Zitat von StVG § 24 (1) Satz 1

    (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Vorschrift einer auf Grund des § 6 Absatz 1, des § 6e Absatz 1 oder des § 6g Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung oder einer auf Grund einer solchen Rechtsverordnung ergangenen Anordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.

    Zitat von StVO § 49 Absatz 3

    (3) Ordnungswidrig im Sinne des § 24 des Straßenverkehrsgesetzes handelt ferner, wer vorsätzlich oder fahrlässig

    ...

    2.einer Vorschrift des § 37 über das Verhalten an Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen oder beim Rechtsabbiegen mit Grünpfeil zuwiderhandelt,

    In Bezug auf die Notwendigkeit der "Fortbildung des Rechts" sollte meines Erachtens auch die folgende Petition Erwähnung finden:

    Pet 1-18-12-9213-024335Straßenverkehrs-Ordnung

    Plenarprotokoll 18/179 vom 23.06.16 unter TOP 30 b

    Bundestagsdrucksache 18/8728 (Sammelübersicht 327 zu Petitionen, Petition Nr.5)

    Der Bundestag schließt sich bezüglich der Einführung einer Gelbphase der folgenden Meinung des Verkehrsministeriums an:

    D.h. das Ministerium ist schon der Meinung, dass es sich um "Zuwiderhandlungen", also Ordnungswidrigkeiten handelt.

    Die Einräumung der Toleranzzeiten wäre nach dieser Rechtsansicht also eine Nichtverfolgung von OWi's nach dem Opportunitätsprinzip.

    Zur Fortbildung des Rechts ist aber zu klären, ob sich die Nichtverfolgung nicht bereits aus dem Erfordernis des Nachweises von fahrlässigem Handeln und damit aus dem Legalitätsprinzip ergibt. Ebenso ist zu klären, wie lang diese Toleranzzeiten zu bemessen sind.

    Wenig professionell wirkt die Argumentation auch durch die Bezugnahme auf den deutlich verkürzten Bremsweg. Zum einen wird damit der Reaktionsweg außer Acht gelassen, zum anderen geht es um zu berücksichtigende Zeiten, denn "Gelb" wird ja nur für eine gewisse Zeit und nicht für einen Weg gewährt. Die Reaktionszeit düfte aber für Radfahrer nicht kürzer sein als für Kraftfahrer. Und die Zeit für die Bremsung bzw. für das Durchfahren des Bremsweges sinkt zwar bei niedrigeren Geschwindigkeiten, sie verlängert sich aber, wenn man mit niedrigeren Verzögerungen bremst.

    Die formalen Mindestanforderungen dürften erfüllt sein, wenn die Begründung der Rechtsbeschwerde die Sätze

    "Gerügt wird die Anwendung des materiellen Rechts" sowie

    "Es wird beantragt, den Betroffenen freizusprechen"

    enthält. Bei Geldbußen bis 100€ kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur zur Fortbildung des materiellen Rechts beantragt werden sowie wegen Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs. Bezüglich der Prüfung des materiellen Rechts reicht obige Formel im Prinzip aus, auch wenn man natürlich Rechtsausführungen machen sollte, um den eigenen Standpunkt zu begründen. Anders wäre es wenn man Verfahrensrügen erhebt, dann verlangt die Rechtsprechung sehr detaillierte Begründungen, welche Verfahrensfehler das Gericht gemacht hat und was anders gelaufen wäre, wenn das Gericht anders verfahren hätte z.B. noch zusätzliche Zeugen gehört, ein Sachverständigengutachten eingeholt etc. Bezüglich Verfahrensrügen sind die OLG's also sehr pingelig. Da solche Einwendungen aber im vorliegenden Fall ohnehin unzulässig sind, braucht man sich diesbezüglich keine Sorgen machen.

    Der Antrag, welche Maßnahme das Gericht fällen soll, könnte u.U. auch entfallen, wenn klar ist, was gewollt ist. Aber warum sollte man den Freispruch nicht beantragen?

    Dass die formalen Mindestanforderungen erfüllt werden, müsste aber der Rechtspfleger bzw. der Anwalt ohnehin sicherstellen.

    Sinnvoll ist es meiner Meinung nach in jedem Fall, mal einen Entwurf für die Begründung der Rechtsbeschwerde aufzuschreiben gewissermaßen als Vorlage für den Rechtspfleger oder einen noch einzuschaltenden Anwalt.

    Das könnte thematisch wie folgt gegliedert werden:

    Zunächst die Begründung des Zulassungsantrags:

    1. Kurze Zusammenfassung/Erläuterung des Urteils: Kombiampel ohne Gelbphase, 24 km/h und 4 Meter Entfernung beim Umspringen

    2. Darstellung der Rechtsansicht des AG, warum eine Verurteilung erfolgt ist

    3. Begründung mit Belegen, warum diese Ansicht (Schrittgeschwindigkeit oder sehr niedrige Geschwindigkeit beim Annähern an eine solche Ampel) keine isolierte Einzelmeinung ist, sondern weit verbreitet ist.

    4. Auflisten von Fragen, die bezüglich der Problematik "Radfahrerampel ohne Gelbphase" klärungsbedürftig sind oder sein könnten.

    Selbst wenn man der Ansicht des AG bezüglich einer niedrigen Geschwindigkeit folgt, stellt sich ja die Frage, ob ein entsprechender Rotlichtverstoß noch als Regelfall im Sinne des Bußgeldkatalogs anzusehen ist. Weiterhin wäre grundsätzlich zu klären, ob man grundsätzlich von einer fiktiven Gelbphase von 3 Sekunden ausgehen sollte und welche Feststellungen das Gericht für eine Verurteilung bei einem kürzeren Zeitabstand treffen muss: mit dem benutzten Fahrrad am betreffenden Tag erzielbare Bremsverzögerung? Länge des Überwegs, um die Zwischenzeit zu bestimmen? Reaktionsvermögen des Radfahrers? Existenz von bedingt vereinbaren Verkehrsströmen wie Rechtsabbieger aus derselben Richtung oder entgegenkommende Linksabbieger?

    Dann die Begründung der Rechtsbeschwerde, also des eigenen Standpunkts:

    5. Argumente, warum aus Rechtsgründen keine niedrige Annäherungsgeschwindigkeit gefordert werden kann

    6. Argumente, welche negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit ein Runterbremsen auf Schrittgeschwindigkeit haben kann.

    7. Vergleich der "Gefährlichkeit" des Verstoßes von Malte im Gegensatz zu einem Gelblichtverstoß eines langsam fahrenden Radfahrers auf der Fahrbahn, um darzulegen, dass jedenfalls eine Ahndung nach Bußgeldkatalog grob ungerecht wäre, selbst wenn Malte zu schnell auf den Überweg zugefahren sein sollte.

    Ich denke auch, dass man sich auf die Berichtigung nicht versteifen sollte, auch wenn ein entsprechender Antrag eher nützen als schaden kann.

    Malte: Steht in dem Protokoll denn überhaupt etwas Substanzielles drin, was nicht bereits im Urteil steht? Wenn nicht, kann man aber auf die Einspruchsschrift verweisen mit dem Foto als Anlage. Wenn die fehlende Gelbphase dann noch im Berichtigungsantrag erwähnt wird, sollte das zur Klarstellung reichen, dass diese Frage nicht einfach übersehen wurde (was dann ein Fehler im Einzelfall wäre).

    Was anderes: Hatte die Hamburger Polizei nicht mal ein Statement veröffentlicht, dass sie "Rotlichtverstöße" von Radfahrern bei fehlender Gelbphase nur verfolgt, wenn seit Umschalten auf rot 1 bis 3 Sekunden vergangen sind? Eine entsprechende Meldung sollte m.E. in der Rechtsbeschwerde belegt werden.

    Da Malte mit seinen 0,6 Sekunden darunter liegt (gehen wir mal davon aus, dass sich die 4 Meter nicht nachweislich verlängern lassen), könnte ein solche Verwaltungspraxis dazu führen, dass das Verfahren vom OLG ziemlich formlos eingestellt werden könnte, wenn das OLG diese Verwaltungspraxis als durchgängig angewandt ansieht: Siehe
    OLG Karlsruhe Beschluß vom 29.10.2004, 1 Ss 121/04

    Wenn andererseits eine 1-3 Sekunden-Praxis mit dem Opportunitätsprinzip begründet sein sollte, stellt sich zur Fortbildung des Rechts die Frage, ob sich eine solche Regelung nicht bereits aus dem Erfordernis mindestens fahrlässigen Verschuldens ergibt, d.h. ob diese Praxis nicht von der Rechtslage erzwungen ist.

    ich will ja nun auch nicht plötzlich zwei- bis viertausend Euro ausgeben, um anschließend vom OLG Hamburg zu hören, dass meine Rechtsbeschwerde abgewiesen wurde.

    Selbst wenn Du freigesprochen wirst, werden Dir aus der Staatskasse nur die RA-Kosten ersetzt, die nach dem RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) erstattet werden müssen. Das sind für die Rechtsbeschwerdeinstanz auch in schwierigen Fällen weniger als 1000 Euro (die Auskunft von @rapit im Verkehrsportal bezog sich wohl auf irgendeinen Mittelwert).

    Meiner Meinung nach ist eine Tatbestandsberichtigung nicht zwingend aus den von Epaminaidos genannten Gründen.

    Versuchen sollte man es natürlich trotzdem, damit das Urteil klarer wird.

    Die fehlende Gelbphase muss aber in jedem Fall thematisiert werden, weil sich nur daraus die Notwendigkeit einer Fortbildung des Rechts ergibt.

    Ich würde so formulieren: mit der "Lichtzeichenanlage für Fußgänger und Radfahrer" ist offensichtlich eine Kombiampel gemeint, in der jedes Leuchtfeld sowohl ein Radfahrer als auch ein Fußgängersymbol enthält. Es ist eine allgemein bekannte und damit offenkundige Tatsache, dass solche Ampeln keine Gelbphase haben. Es gibt keine gelb leuchtenden Fußgängersymbole. Das ergibt sich im übrigen auch aus der in § 37 ... StVO enthaltenen Vorschrift, wonach bei Fußgängern die Farbfolge grün-rot-grün ist.

    Dann müsste man möglichst ausführlich erläutern, warum diese fehlende Gelbphase immer wieder ein Problem für die Rechtsprechung der Amtsgerichte ist, um das OLG dazu zu bringen, eine Fortbildung des Rechts für geboten zu halten.

    Die in der mündlichen Verhandlung erwähnte Schrittgeschwindigkeit ist meines Erachtens auch nicht zwingend. Im Grunde hat das AG die Meinung vertreten, dass ein Rotlichtverstoß vorliegt, wenn man zum Zeitpunkt des Umschaltens von Grün auf Rot noch mindestens 4 Meter vom Überweg entfernt ist und trotzdem fährt. Ob man zu schnell für eine Bremsung war (wie bei den 24 km/h) oder ob man das mögliche Bremsmanöver einfach nicht durchgeführt hat, ist dann bei dieser Rechtsauffassung eher sekundär.

    Diese Rechtsauffassung überprüfen zu lassen, wäre dann die Aufgabe des OLG zur Fortbildung des Rechts.