Guten Abend
Eigentlich wollte ich mich hier ja ganz raushalten, aber am derzeit entstandenen Nebenthema bin ich einfach zu lebensnah dran, um zu schweigen.
Ich wohne am Rande einer kleinen Kreisstadt im Münsterland, vor dem Wald kommt man nur noch an zwei Nachbarhäusern (eins links, eins rechts der Straße) vorbei, zur Stadtmitte sind es auch einige Kilometer (ich glaube sogar, dass die Nachbarstadt näher ist, mehr dazu weiter unten*). Lässt man mal die relativ kurzen Wohnzeiten in den Großstädten (5 Monate in Deutschland, 2 Monate in Spanien) außer Acht, wohnte und lebte ich zuvor in einer netten kleinen ländlichen Gemeinde im Münsterland.
Somit glaube ich, mich mit dem Thema "ländliche Gegend" einigermaßen auszukennen.
Überlandstrecken werden häufig als "lang", Stadtstrecken hingegen als "kurz" empfunden. Dieser Eindruck ist sehr subjektiv.
Daher möchte ich meinen Lieblingsvergleich bringen (zum persönlichen Schutz wähle ich nicht exakt die Strecken, die ich tatsächlich so fahre):
Die Strecke zwischen Gievenbeck (dort gibt es 4 Studentenwohnheime) und der Innenstadt von Münster (dort die meisten Gebäude der Universität) wird häufig mit dem Fahrrad gefahren (Alltagsverkehr). Sie ist in etwa so lang wie die Strecke zwischen Warendorf und den Ortsteilen Einen und Müssingen, diese wird von Fahrradfahrern jedoch fast nur bei Sonnenschein befahren (Freizeitverkehr).
Der Kfz-Verkehr zwischen Warendorf und Einen/Müssingen sowie zwischen den beiden Ortsteilen ist hoch, für Vieles (vgl. Vorposter) müssen die dort wohnenden Leute in die Stadt (Warendorf oder Münster). Dafür wird nur selten das Fahrrad gewählt, obwohl es vermutlich häufig sehr sinnvoll wäre.
Zunächst einmal betrachte man die Strecken an sich:
Münster-Gievenbeck > Domplatz: ca. 5 km, überwiegend innerorts
Warendorf > Einen/Müssingen: ca. 8 km, überwiegend außerorts
Sicherlich stellen wir zunächst einen Unterschied von 3 km fest, je nach tatsächlichem Start- und Zielort ergeben sich aber eh Differenzen.
Werfen wir nun einen Blick auf alle Angebote und Möglichkeiten, diese Wege jeweils zurückzulegen:
1. Münster:
a) mit dem Fahrrad: 16-17 Minuten
b) mit dem Pkw: 14-18 Minuten
c) mit dem Bus: 30-34 Minuten (inklusive Fußwege), 10-Minuten-Takt
d) zu Fuß: 58-59 Minuten
2. Warendorf:
a) mit dem Fahrrad: 23-26 Minuten
b) mit dem Pkw: 10-15 Minuten
c) mit dem Bus: 15 Minuten (inklusive Fußweg), Stunden-Takt
d) mit der Bahn: 19-20 Minuten (inklusive Fahrradmitnahme und -fahrt, über Raestrup-Everswinkel), Stunden-Takt
e) zu Fuß: 88-89 Minuten
Zu Fuß sind natürlich beide Wege völlig unattraktiv.
Mit dem Fahrrad sind die Fahrzeiten vergleichbar (beide ca. 20 Minuten), hier müsste man den Überland-Verkehr attraktiver auch für Alltagsradler machen (z. B. stärker bewerben, Bewusstsein in der Bevölkerung schärfen, es als selbstverständlicher betrachten bzw. irgendwie dafür sorgen, dass (auch) andere das tun.
Die Stadtbusse in Münster werden trotz der gegenüber dem Fahrrad doppelten Fahrzeit häufig genutzt, die Taktung ist ausreichend. Hier ist alles in Ordnung und es besteht kein Verbesserungsbedarf.
Bus und Bahn zwischen Warendorf und den Ortsteilen haben eine zu geringe Taktung, um für die Kurzstrecke im Alltag attraktiv zu sein. Dafür müssten sie häufiger fahren. Die Fahrzeiten selbst sind in Ordnung, die Strecke geht über die bzw. entlang der B64 und ist somit ohne Umweg.
Der Zeitvorteil des Pkw gegenüber der Bahn (10 Minuten) verschwindet fast vollständig aufgrund von hohem Verkehrsaufkommen auf der B64 und Nachteilen in der Planungssicherheit.
Somit sind die Fahrzeiten von Pkw und Bus vergleichbar.
Eigentlich müsste sich nun der Bus als beste Möglichkeit für den Weg zwischen Warendorf und Einen/Müssingen herausstellen. Da er aber nur einmal stündlich fährt, wird häufig der Pkw genommen.
Der Zeitnachteil des Fahrrads gegenüber der Bahn (4-7 Minuten) und dem Pkw (8-11 Minuten) ist auf dieser Strecke gering und daher fast vernachlässigbar. Er hält sich in dem Rahmen, indem er durch andere Vorteile (kein Einstellen der Spiegel, keine Abhängigkeit von Fahrplänen, über Radwege mögliche Umgehungen von Staus und Verkehrslärm - die Route über den Alten Münsterweg ist sogar 200 Meter kürzer als über die B64) ausgeglichen werden kann.
Somit ist gerade für die Zurücklegung dieser Strecke das Fahrrad eine sehr sinnvolle und gute Möglichkeit, auch für den Alltagsverkehr.
Dennoch wird es dafür nur selten genutzt, und hier sollte man sich fragen, warum.
Mögliche Gründe dafür könnten sein:
- mit dem Fahrrad an der B64 entlangzufahren, ist sehr unattraktiv
- die Route über den Alten Münsterweg ist gefühlt länger (viele Schlenker)
- die Route über den Alten Münsterweg führt teilweise durch Waldstücke, bei Dunkelheit ist dann die Sicht sehr schlecht (und es erscheint etwas unheimlich)
- das Fahrrad als Alltags-Verkehrsmittel für den Überlandverkehr zu sehen, ist für einen Großteil der Bevölkerung (noch) nicht selbstverständlich
Zum "Bürgertaxi":
Es gibt da unterschiedliche Ansätze, zum Einen den Bürger-Bus und zum Anderen den Anruf-Linien-Dienst (Taxi-Bus).
Beide fahren nach Fahrplan, der Bürger-Bus fährt immer (also wie ein normaler Bus), der Taxi-Bus (ALD) nur auf Anforderung.
Den Taxi-Bus anzufordern, stellt eine kleine Hürde und Hemmschwelle zur Nutzung dar, weil es einige Schritte mehr sind als sich wie gewohnt einfach an eine Haltestelle zu stellen. Das hat den Nachteil, dass auf solchen Strecken die Pkw-Nutzung hoch bleibt, aber auch den Vorteil, dass selten ein großer leerer Linienbus fährt.
Eine Fahrt mit einem Bürger-Bus kostet zwischen 50 Cent und 1,50€, eine Fahrt mit dem Taxi-Bus gehört zum Verbund-Tarif (kostet also so viel wie mit einem normalen Bus). Semestertickets sind im Taxi-Bus gültig, nicht jedoch im Bürger-Bus.
Ein 10-Minuten-Takt bei diesen Bussen ist tatsächlich Utopie, da hat @fuechschen schon Recht.
Beispiele für den Bürger-Bus:
1. Warendorf-Nord, die einzige Stadt-Linie in der Kreisstadt Warendorf: existiert seit ca. 1 Jahr (vorher gab es einen ALD mit katastrophalen Fahrzeiten und kaum genutzt), fährt Mo-Fr stündlich von 8:30 Uhr bis 19:30 Uhr, samstags keine Fahrt
2. Hoetmar - Sendenhorst: fährt von Hoetmar aus viermal täglich und von Sendenhorst aus dreimal täglich Mo-Fr von 9 bis 18 Uhr, samstags in beide Richtungen jeweils zweimal am Tag zwischen 14 und 18 Uhr
3. Hoetmar - Everswinkel: fährt von Hoetmar aus Mo-Fr ab 6:29 Uhr (außer in den Sommer- und Weihnachtsferien) und stündlich von 7 bis 18 Uhr, von Everswinkel aus ab 6:45 Uhr (außer in den Sommer- und Weihnachtsferien) und stündlich von 7:30 Uhr bis 18:30 Uhr, samstags in beide Richtungen jeweils fünfmal am Tag zwischen 9 und 19 Uhr.
Beispiele für den Taxi-Bus / ALD:
1. Everswinkel - Drensteinfurt, über Sendenhorst: fährt Mo-Fr zweimal täglich morgens von Sendenhorst nach Drensteinfurt und die vollständige Strecke ab Everswinkel stündlich von 7:50 Uhr bis 18:50 Uhr, zweimal täglich morgens von Sendenhorst nach Everswinkel und die vollständige Strecke ab Drensteinfurt stündlich von 7:30 Uhr bis 18:30 Uhr, samstags keine Fahrt
2. Everswinkel - Telgte, über Alverskirchen: fährt Mo-Fr viermal täglich zwischen 9 und 17 Uhr von Everswinkel nach Telgte und fünfmal täglich zwischen 8 und 17 Uhr von Telgte nach Everswinkel, samstags keine Fahrt
Die Taxi-Busse fahren nur nach telefonischer Voranmeldung oder Online-Buchung.
*) Ich messe mal per G*maps nach: Entfernung zum Marktplatz 2,5km; Entfernung zur nächstgelegenen Stadt (Ortsrand) 5km - okay, da habe ich mich verschätzt, ist doppelt so weit
Ein schönes Rest-Wochenende und einen gute Rückkehr in den Alltag,
der Münsterland-Radler