Da müsste ja erstmal geklärt werden, was das heißt, die Maßnahmen weiter zu "verschärfen".
Zum Beispiel gibt es bislang keine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Zudem ist umstritten ob der hilft oder schadet.
Ist es eine Verschärfung, wenn man, wie in Jena geschehen, den Mund-Nasen-Schutz verbindlich vorschreibt für den Besuch im Supermarkt oder die Fahrt mit Bus und Bahn?
Viele werden den Mund-Nasen-Schutz als Einladung sehen, wieder näher zusammenzurücken.
Anderes Beispiel: Obdachlose kann man nicht zu hause einsperren. Ist es eine Verschärfung der Maßnahmen, wenn man jetzt Quartiere für Obdachlose anbietet, damit sie nicht weiter auf der Straße leben müssen? Ich würde sagen, da bemüht man sich verschärft darum, dass der Corona-Virus sich nicht unkontrolliert ausbreitet.
In Hannover zum Beispiel wurde die Jugendherberge, die ja zur Zeit sowieso geschlossen ist, zur Obdachlosenunterkunft umgenutzt.
Siehe NDRinfo vom 15.4.2020: Hannover: Obdachlose können Jugendherberge nutzen https://www.ndr.de/nachrichten/ni…nnover5262.html
Es macht meines Erachtens auch wenig Sinn, die Spielplätze weiterhin einfach nur strikt abzusperren. Es wäre eine Verschärfung der Maßnahmen, wenn man Aufsichtspersonal dafür bereit stellt, einen Spielbetrieb auf den Spielplätzen sicher zu stellen, der gewährleistet, dass Abstandsregeln eingehalten werden. Ich vermute, dass viele Menschen bereit wären entsprechende Nutzungsregeln zu unterstützen.
Um noch mal auf den Mund-Nasen-Schutz zurück zu kommen: Für Jena wurde ja angekündigt, dass in den Supermärkten ein kostenloser Mund-Nasen-Schutz ausgegeben werden soll. Ob das bereits gelungen ist, weiß ich nicht.
Trotzdem es keine Pflicht ist und bisher auch immer wieder auf die problematischen Aspekte hingewiesen wurde, tragen einige Menschen bereits einen Mund-Nasen-Schutz. Die Bundeskanzlerin weist in diesem Zusammenhang darauf hin: "Wir müssen ja das, was wir fordern von den Bürgerinnen und Bürgern, auch wirklich umsetzen können." Eine Verschärfung in dieser Frage ist also zuerst eine Verschärfung der Bemühungen, ausreichend Mund-Nasen-Schutze zur Verfügung zu stellen.
Aber wofür sollen die dann verwendet werden? Damit wir wieder mehr in möglichst vielen Geschäften einkaufen gehen? (Stichwort: Öffnung der Geschäfte bis 800 Quadratmeter Größe. In Österreich sind es übrigens 400 Quadratmeter.) Also eine Verschärfung in der einen Frage, um eine Lockerung in einer anderen Frage durchzusetzen? Genau davor warnt Drosten: "Eins ist jedoch ganz wichtig, wie auch der Virologe Christian Drosten auf Twitter betont: Die Maßnahmen zu Distanzierung und Kontaktminimierung ließen sich „auf keinen Fall durch das allgemeine Tragen von Masken ersetzen“, so Drosten." https://www.fr.de/wissen/coronav…n-13505359.html
Dazu kommt: Wer sich jetzt verschärft dafür ausspricht, einen Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit zu tragen, der darf sich nicht darüber wundern, wenn viele Menschen sich sagen: Ich will nicht die Billiglösung, sondern das Original. Und sind die Mund-Nasen-Schutze schon knapp, so sind es die Atemmasken mit FP2 oder FP3 Standard oder die noch höherwertigen N95 Atemmasken erst recht. Dann wird der Mund-Nasen-Schutz mit N95 Aufdruck zum Statussymbol wie einst die Rollex-Uhr. Und vermutlich kommen dann genau so viele Fälschungen in Umlauf. Und darüber wird das, was wirklich hilft, nämlich Abstand halten, nicht mehr gebührend beachtet.
Es reicht bei weitem nicht aus, einfach nur nach Verschärfungen oder Einschränkungen zu rufen, um wirklich das zu erreichen, was nach Angaben des Helmholtz-Zentrums vielleicht möglich ist, nämlich ein Eindämmen der Corona-Verbreitung, ohne dass dafür irgendwann rund 70 Prozent der Bevölkerung damit infiziert sein werden. Wichtiger ist herauszustellen, was trotz notwendiger Einschränkungen alles möglich ist und möglichst viel von dem, was möglich ist, auch zu machen.