Die Forderung nach einer nachhaltigen Verkehrswende halte ich nicht für übertrieben, allerdings habe ich mich von der Träumerei verabschiedet, dass sich die mit einer großen Maßnahme von jetzt auf gleich erreichen lässt.
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Für Überlandfahrten abseits schneller Bahnverbindungen wird das Auto meines Erachtens immer (s)eine Rolle spielen, egal ob in Form eines eigenen oder eines "geshareten".
Ich habe nicht gesagt, dass meine Vorschläge Tempo 60 auf Landstraßen und Tempo 80 max. auf Autobahnen von heute auf morgen im Hauruckverfahren durchgeführt werden sollen.
Es ist eine mögliche Zielsetzung, an der sich bestehende Planungen orientieren sollten. Zum Beispiel wird der Ausbau von Landstraßen (inkl. Bundesstraßen) derzeit sehr stark so vorangetrieben, dass sie Tempo 100 ermöglichen , teilweise sogar Tempo 120.
Und das ist ganz einfach eine falsche Zielsetzung, mit denen die Chancen für eine echte Verkehrswende massiv verschlechtert werden.
Deine Aussage, "Für Überlandfahrten abseits schneller Bahnverbindungen wird das Auto meines Erachtens immer (s)eine Rolle spielen, ...", ist ja eine Aussage, die aufgrund der faktisch bestehenden sehr dürftigen Bahnverbindungen zutreffen mag. Aber wenn ich mir dann anschaue, in welch hohem Maß der Ausbau der MIV-Infrastruktur stattgefunden hat in den letzten Jahrzehnten, während gleichzeitig kaum neue Bahnstrecken dazu kamen und andererseits viele stillgelegt wurden, dann muss man sich nicht wundern, dass "abseits schneller Bahnverbindungen" häufiger der Fall ist, als es einer Verkehrswende gut tut. Dazu kommt, dass die Siedlungstätigkeit vielfach so stattgefunden hat, dass eine ÖPNV-Verbindung von vornherein nicht eingeplant war. Weder mit dem Bus noch mit der Bahn.
Und diese Fehlentwicklungen dauern immer noch an.
Die Politik der kleinen Schritte, die du propagierst, ist richtig und wichtig. Aber es gehört auch eine Vision dazu, die Antworten darauf gibt, wie eine nachhaltige Mobilität für alle möglich sein kann. Dein Beispiel Jena, in dem der Nahverkehrsverbund den Radverkehr bekämpft, zeigt doch wie wichtig grundsätzliche Überlegungen sind. In Hannover war es zum Beispiel einmal so, dass man keine Fahrräder in den Stadtbahnen und Bussen mitnehmen konnte. Zähes verhandeln führte schließlich zu dem Ergebnis, dass eine kostenfreie Mitnahme außerhalb der Sperrzeiten erlaubt ist. Das Mitnahmeverbot gilt an Werktagen zwischen 6:30 und 8:30, sowie zwischen 15:00 und 19:00 Uhr. An Samstagen, Sonntagen und Feiertagen ist die kostenfreie Fahrrad-Mitnahme erlaubt. https://www.uestra.de/kundenservice/…0bef%C3%B6rdert.
Ich finde das gut und verteidige die Regel auch gegen Fahrradfahrer*innen, denen das zu kleinkariert erscheint. Ein funktionierender ÖPNV, der auch unter Kostenaspekten effizient arbeiten sollte, ist darauf angewiesen, dass in den Verkehrsspitzen ausreichend Stehplatzfläche zur Verfügung steht, und dass das Ein- und Aussteigen nicht durch die Mitnahme von Fahrrädern verzögert wird.
Andererseits kann ich den Ärger mancher Radfahrer gut verstehen. Als Radfahrer siehst du doch jeden Tag, wie sehr der MIV strukturell bevorzugt wird gegenüber dem Radverkehr, und auch finanziell sehr viel stärker gefördert wird. Wer zum Beispiel mit seinem Auto im Schienenbereich der Straßenbahn hält und damit bis zu 500 Personen (so viel Fahrgäste können in Hannover in einem Dreiwagenzug der Stadtbahn mitfahren) an der Weiterfahrt behindert, der riskiert ein Bußgeld von 20 Euro.
https://www.bussgeldkatalog.org/halten-parken/
Wer sein Fahrrad in den oben beschriebenen Sperrzeiten mitnimmt und damit nur wenige Fahrgäste behindert, der riskiert ein "erhöhtes Beförderungsentgelt" von 60 Euro.
Ich will das gar nicht bagatellisieren und für Fälle in denen unerlaubt Fahrräder mitgenommen werden, ein niedrigeres Bußgeld fordern. Aber es muss ganz klar ein deutlich höheres Bußgeld fällig werden, wenn Autofahrer den ÖPNV behindern und damit für viele, viele Fahrgäste die Weiterfahrt blockieren.
Hier ein anderes Beispiel für die Behinderung des ÖPNV durch Autofahrer im Haltestellenbereich:
PKW blockiert Haltestelle

Als dann der Bus kommt, kann er nicht am Haltestellenbord halten und die Fahrgäste sind gezwungen, von der Straße aus zuzusteigen, was besonders für Fahrgäste mit Gehbehinderungen sehr beschwerlich ist.
Eine Alternative wäre, den Bushaltestellenbord zur Straßenmitte hin zu verlegen. Autos, die hinter dem Bus sind, müssen dann so lange warten, bis der Bus weiterfährt:

Wenn aber dieser Vorschlag (3. Bild) ernsthaft zur Abstimmung steht, dann erheben die Fürsprecher des Automobilismus ihre Stimme und weisen darauf hin, dass, "dass das Auto immer eine wichtige Rolle spielen wird" und man deshalb nicht einfach so "grundlos" den Autoverkehr behindern dürfe.
Dann wird mit Krokodilstränen in den Augen bedauert, dass keine bessere Überwachung von Falschparkern an Bushaltestellen stattfände. Dann wird bedauert, dass es ja auch unklar sei, ob dafür das Ordnungsamt oder die Polizei zuständig sei. Dann wird bedauert, dass die Bußgelder zu niedrig seien usw. usw.
Und klammheimlich wird darüber gelacht, dass der Andi mit Benzin im Blut das doch mal wieder hervorragend hingekriegt hat, die beschlossenen schärferen Bußgelder für Autofahrer-Fehlverhalten so richtig schön zu sabotieren, quasi von innen heraus. Wundert es jemand, dass Pannen-Andi noch immer Bundesverkehrsminister ist, trotz der vielen Pannen? Mich nicht, denn er ist ja nicht trotz der vielen Pannen im Amt, sondern wegen der vielen Pannen.