Die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet: Warum eigentlich hat ein Auto, in dem nur ein einziges Manschgerl sitzt, mehr Platzanspruch als ein Fahrrad?
In dem von Yeti dankenswerterweise verlinkten Spiegelartikel heißt es: "»Unser Verkehrsrecht ist von gestern – das Auto steht an erster Stelle, alle anderen Verkehrsarten sind marginalisiert«, sagte ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider. »Diese Unwucht passt nicht mehr in unsere Zeit.« Deutschland hinke im internationalen Vergleich hinterher."
Aber was genau ist denn nun die Position des ADFC? Und welche Punkte in der Verkehrsrechtssprechung anderer Länder sind es, die in Deutschland von gestern sind?
Dazu ein Beispiel ebenfalls von dieser Woche aus Hannover, aus der HAZ vom 10.1.2022:
"ADFC verärgert: Zwischen Hannover und Hemmingen fehlen 50 Zentimeter für Radweg
Monatelang ist die Wülfeler Straße zwischen Hannover und Hemmingen saniert worden – einen separaten Radweg gibt es nun aber immer noch nicht, weil der Weg neben der Straße zu schmal ist. Der Fahrradclub ADFC ist entsetzt – die Landesstraßenbehörde spricht hingegen von einer guten Lösung."
Leider ist der gesamte Artikel hinter einer Bezahlschranke, deshalb diese Kurzzusammenfassung:
Dem ADFC ist der Radweg zu schmal. Es ist ein Zwei-Richtungsradweg auf der von Hannover aus gesehenen rechten Seite der Fahrbahn.
googlestreetview:
googlesatellit:
Dieselbe Stelle auf GoogleSatellit zeigt bereits den renovierten Zustand des Fußweges mit Radverkehrsfreigabe:
"Nach Einschätzung von Annette Teuber vom ADFC hat dieses Vorgehen System. Der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr fehle es beim Radwegebau an Geld und Personal. Deshalb würden solche Lösungen wie bei Wilkenburg bevorzugt. „Bei einem ganz neuen Radweg dürften sie das so nicht umsetzen. Aber wenn sie in der bisherigen Breite der Straße bleiben, können sie das so machen. Da gibt es eine Klausel.“" (aus demselben Artikel)
Die Straßenbaubehörde, hier Frau Fundheller, dagegen argumentiert damit, dass ein breiterer Radweg das ganze Bauvorhaben um Jahre verlängert hätte, weil Landschaftsschutzgebiet, private Grundstücke etc. dem im Wege gestanden hätte.
„Vor dem Hintergrund des Straßenzustandes und der Risiken, die ein solches Planrechtsverfahren birgt, wurde hier zugunsten einer schnellen planerischen und baulichen Realisierung auf eine solche Planung verzichtet“, berichtet Fundheller. Im Ergebnis stehe „eine gut für Fußgänger und Radfahrende nutzbare Nebenanlage zur Verfügung“. Das Land verweist auch darauf, dass diese für Radfahrer „nicht benutzungspflichtig“ sei. Diese dürften also auch auf der Straße fahren.
Interessant sind ja immer die Dinge, die nicht angesprochen werden in einer solchen Berichterstattung:
In diesem Fall zum Beispiel:
Warum, keine Komplettsperrung für privaten KFZ-Verkehr, Freigabe nur für ÖPNV und Versorgungsfahrzeuge sowie betriebliche Zwecke wie Handwerker oder Lieferverkehr mit Sondererlaubnis sowie Fahrradverkehr? Dabei Tempobegrenzung auf eine niedrige Höchstgeschwindigkeit, so dass Fußverkehr und Radverkehr auf der Fahrbahn stattfinden kann. Dann hätte man den Nebenweg ganz der Natur zurückgeben können.
Oder: Tempobegrenzung, weil mit Fahrradverkehr auf der Fahrbahn im hohen Maße zu rechnen ist, weil die Fahrradfahrer*innen den Fußverkehr nicht stören wollen.
Oder: Wie hätte der vom ADFC gewünschte breitere Zweirichtungsradweg denn ausgeschildert werden sollen? Die geltende Rechtsprechung hätte den Autolobby-Verband ADAC garantiert dazu veranlasst zu fordern, dass eine Benutzungspflicht anzuordnen sei. Und dass auf der Fahrbahn kein niedrigeres Tempolimit angeordnet wird, als die ohnehin auf Landstraßen generell geltenden Tempo 100.
Oder: Hätte der ADFC Chancen gehabt im Falle dass ein breiterer Rad- und Fußweg gebaut worden wäre, dass dieser aufgetrennt worden wäre in einen Teil für Radfahrer, der aber nicht benutzungspflichtig ist und in einen Teil für Fußgänger?
Auf den streetview-Aufnahmen von 2008 der Strecke kann man übrigens sehen, dass der Nebenweg früher als gemeinsamer Fuß- und Radweg ausgeschildert war:
Es gibt auf den streetview-Aufnahmen auch ein Tempo 70-Schild:
Das steht allerdings vor eine kurvigen Brückenüberfahrt und gilt vermutlich nur für diesen Brückenbereich.
Wie die Strecke hinsichtlich Tempobegrenzung heute ausgeschildert ist, steht leider nicht in dem Artikel. Und ich hatte noch keine Gelegenheit, mir das vor Ort anzusehen. Ich vermute, wenn dort Tempo 100 erlaubt ist, dann ist es ziemlich schnuppe, dass dort Radverkehr auf der Fahrbahn stattfinden darf, weil nur wenige Fahrradfahrer*innen davon Gebrauch machen werden, dass sie außer auf dem Fußweg mit Radverkehrsfreigabe auch ganz ordnungsgerecht auf der Fahrbahn fahren dürfen.
Würde allerdings die Fahrbahn mit Tempo 60 max. ausgeschildert werden. Und würde durch Zusatzschilder darauf hingewiesen, dass Fahrradverkehr auch auf der Fahrbahn stattfindet, dann gäbe es mehr Fahrradfahrer*innen, die die Fahrbahn nutzen würden. Außerdem könnte die Mittelstreifenmarkierung auf den Fahrbahn entfernt werden.