Hauptnutzen ist ein gutes Stichwort. Kapieren (was zugegeben nicht immer einfach ist) auch.
In Deutschland ist das niederländische Prinzip der Separation ganz weitgehend völlig unverstanden.
Siehe z.B. Groningen,
aber siehe besser noch die Klassifizierung, der jede Straße unterworfen ist.
In den Niederlanden wird, ganz grundsätzlich, der MIV vom übrigen Verkehr separiert.
Das ist der Kern der niederländischen Verkehrspolitik und der „Separierung“.
Dies geschieht, indem man die Straßen klassifiziert: Nach Verbindungs-, Erschließungs- und Anwohnerstraßen (woonerfs).
Aufgrund der gefilterten Durchlässigkeit (Sackgassen, Durchfahrtssperren, abschnittsweise gegenläufige Einbahnstraßen)
kann eine Erschließungsstrasse nicht für den Verbindungs(Durchfahrts-) verkehr genutzt werden. Aufgrund von Abbiegeverboten und baulichen Einmündungssperren kann eine Verbindungsstrasse nicht als Erschließungsstrasse in Wohngebiete hinein genutzt werden.
Dies führt zu einer starken Separierung des MIV sowohl weg von den Wohngebieten als auch zu einer Differenzierung innerhalb des MIV.
Die Folge: Einerseits ist es umständlicher, mit dem Kfz von A nach B zu kommen. Andererseits ergibt sich durch die Entmischung ein flüssigerer MIV und weniger Stau.
Diesem Vorteil des MIV (flüssiger und stressfreier) steht jedoch ein ungleich größerer Vorteil des Radverkehrs gegenüber:
Die meisten Wohn- und innerstädtischen Quartiere sind vom Durchgangs- und Erschließungs-MIV entlastet. Schon niedrigschwellige bauliche Maßnahmen (z.B. Ausführung der Fahrbahndecke mit rotgefärbtem Asphalt) in Wohnquartieren reichen jetzt aus, um den Vorrang des Radverkehrs zu kennzeichnen. Das Verbannen des Durchfahrts- und Erschließungsverkehrs führt in vielen Wohnquartieren zu einer Überzahl des Radverkehrs und damit zu einer automatischen Implementierung einer radverkehrlichen Mehrheitskultur, in die sich Autofahrer selbstverständlich integrieren müssen (der kulturelle Aspekt des Prinzips Safety in Numbers).
Die Integration der Kfz-Führer wird durch entsprechende Verkehrs(straf)gesetze beschleunigt und abgesichert (juristischer Aspekt des Safetry in Numbers).
Dieses Prinzip, nämlich Vorteile für den Einen (hier: MIV flüssiger und stressfreier) bei gleichzeitig viel größeren Vorteilen für den Anderen (hier: Radverkehr von 8-80) ist in der Spieltheorie als „Asymmetrische Mobilisierung“ bekannt.
Es erlaubt der niederländischen Verkehrspolitik, den fahrradfreundlichen Umbau der Städte und die Implementierung einer regelrechten Radverkehrskultur unter dem Banner der "Staubekämpfung" und der Betonung der Vorteile für die Kfz-Verkehr zu betreiben. Dadurch werden die Widerstände gegen eine nachhaltige Verkehrspolitik minimiert und das Verhältnis Radfahrer- Autofahrer wird entspannt - wiederum zugunsten der radfahrer, denn sie sind die Schwächeren.
Sozial und kommunikativ intelligente Politik nennt nan das wohl.
Demgenüber haben wir es in Deutschland mit dem Einsatz einer um 180° gewendeten Radverkehrsstrategie zu tun:
Mit der „asymmetrischen Demobilisierung“.
Diese Stategie geht davon aus, dass ein Schaden, der mich selbst trifft, genau dann kein Schaden sondern ein Vorteil sein kann, wenn er gleichzeitig dem Gegner mehr Schaden zufügt als mir selbst.
Die asymmetrische Demobiliserung als politisches Konzept funktioniert z.B. so:
Merkels CDU vermeidet im Wahlkampf (2006) bewusst Auseinandersetzungen und setzt auf eine entsprechend geringe Wahlbeteiligung, bei der von der SPD noch mehr Wähler zu Hause bleiben als von der eigenen Partei. Obwohl man dann in absoluten Zahlen von weniger Leuten gewählt wird als vorher, hat man prozentual dazugewonnen, da die Langeweile dem Gegener noch mehr zugesetzt hat und von ihm mehr Wähler zu Hause geblieben sind als bei einem selbst.
(Nachteil: Diese Demobilisierungsstrategie öffnet die politischen Ränder für neue Parteien …)
Aber nun zur verkehrspolitischen Seite der ‚Asymmetrischen Demobilisierung‘, deren Nachteile nun endlich anscheinend auch vom ADFC erkannt werden.
Ja, Radverkehr auf der Fahrbahn (wie von der StVO vorgeschrieben und durch §45 Abs 9 abgesichert) behindert den Kfz-Verkehr. Er macht ihn weniger flüssig und stressiger.
Gleichzeitig jedoch schließt er viele vom Radverkehr aus bzw schreckt Mischverkehr viele ab. Die Modal Split-Vergleiche mit Ländern und Städten, in den der MIV separiert wird, sprechen eine sehr deutliche Sprache.
Das Mischverkehr/Streifenprinzip folgt damit dem Prinzip der asymmetrischen Demobilisierung. Der Schaden, der dem Radverkehr zugefügt wird, ist ungleich größer als der, der dem MIV zugefügt wird.
Man muss davon ausgehen, dass diese Strategie von der Kfz-Lobby durch Wissmann (politisch-strategisch versierter oberster deutscher Autolobbyist) mit Bedacht in die StVO aufgenommen wurde.
Höchste Zeit, dass der ADFC hier nicht mehr mitspielt.
Allerdings wird die unrühmliche Rolle, die der ADFC beim Radentscheid Berlin gespielt hat, das ihre dazu beigetragen haben.
Will der ADFC auch in Zukunft noch als Vertreter der Radfahrer wahrgenommen werden, dann ist es allerhöchste Zeit endlich für eine weitgehende Separierung des MIV auch in Deutschlands Städtern einzutreten.
Aus umweltpolitischer Sicht ist anzumerken:
Die durch die Separierung des MIV erfolgte Mobilisierung des Radverkehrs führt zu einer aktiv bejahenden Haltung der Bevölkerung zur Verbannung von fossiler Energie.
Offensichtlich führt die Erfahrung, dass fossilenergiefreie Mobilität nicht nur möglich ist, sondern viel besser ist, weil sie gesünder, schneller, günstiger und mit mehr Spaß verbunden ist, dazu, dass die Bevölkerung Druck auf weitergehenden Ausstieg aus der Fossilenergie auch in der Industriepolitik macht.
Ganz nach dem Motto: “Was wir können, das verlangen wir auch von euch.”
Kopenhagen: CO2 neutral bis 2025
Niederlande: Bann von Verbrennungsmotoren ab 2025. Letzte Woche: Parlament stimmt für Austieg aus Kohlekraftwerken. Auch die drei neu angeschafften sollen stillgelegt werden: “Die Stilllegung auch neuer Kohlekraftwerke ist die bestverzinsliche Investition in die Zukunft, die wir machen können.”
Radfahrern mobilisiert.
(Auszug aus einem Kommentar auf Radspannerei Blog:
vorstadt-strizzi schreibt: Sonntag, 02.10.2016 um 15:34
http://www.rad-spannerei.de/blog/2016/09/22/fahrradklimatest-nummer-sieben/#comment-76635