Als Betreiber unterschiedlicher impressumspflichtiger Webseiten bekomme ich ja regelmäßig einen ganzen Haufen ungebetener E-Mails. Vor ein paar Wochen schrieb mir ein Bürgermeister einer kleinen schleswig-holsteinischen Gemeinde eine E-Mail in einem Tonfall, der sogar für den Straßenverkehr unangemessen ist, weil er nach „tollen Radwegen in Schleswig-Holstein“ gesucht und dann diesen Thread auf Platz 1 seiner Suchergebnisseite finden musste.
Ich wurde angehalten, doch auch mal etwas schönes zu schreiben! Zum Beispiel hätte seine Gemeinde ganz schön viel für den Radverkehr getan, es gäbe sogar einen neuen Fahrradständer an der Bushaltestelle und ganz viele neue Radwege.
Ihr werdet es erraten: Ich kenne die Gemeinde durchaus. Vielleicht hat sich in den letzten zwei, drei Monaten dort viel getan, ich muss da wohl noch mal hinfahren. Denn ansonsten kann ich nur feststellen: Der Fahrradständer an der Bushaltestelle ist der übliche Felgenbrecher, bei den vielen tollen Radwegen handelt es sich um blau beschilderte, aber untermaßige Gehwege, wie sie in jedem schleswig-holsteinischen Dorf zu finden sind.
Und dann muss ich lesen, dass Schleswig-Holstein unter die Top-Ten der „Radfahr-Paradiese“ Deutschlands möchte. Das finde ich erstmal lustig, denn wenn ich von den 16 Bundesländern schon mal die fünf neuen Bundesländer mit ihrer nicht ganz so geilen Radverkehrsinfrastruktur abziehe, sind noch elf übrig. Berlin und Hamburg sind auch nicht so ganz geil, Bums, bleiben neun Bundesländer übrig, insofern könnte es mit den Top-Ten von neun Bundesländern ganz gut funktionieren.
Nun gut, vielleicht bemisst man die Fahrrad-Paradiese auch nicht in Bundesländern.
Grundsätzlich bietet Schleswig-Holstein ja allerbeste Voraussetzungen: Es ist relativ flach, weil die letzte Eiszeit bis auf den 167 Meter hohen Bungsberg alles glattgeschrubbt hat, man kann im Westen und Osten am Meer entlangradeln oder den Nord-Ostsee-Kanal, das ist bestimmt schön. Mit der Fahrradmitnahme in der Bahn klappt’s kapazitätsmäßig nicht ganz so gut, insofern bleibt es in der Regel bei Rundtouren um das Auto mit Fahrradträger oder die Ferienwohnung, aber immerhin.
Trotzdem bin ich aber verwundert, wenn hier offenbar aus einer Umfrage folgendes zitiert wird: „Die Radfahrmöglichkeiten waren für mich ein triftiger Grund, im echten Norden Urlaub zu machen.“
Nun sind wir hier im Radverkehrsforum bestimmt überaus empfindlich, was kaputte Radwege oder Radwegbenutzungspflichten angeht und außerhalb unserer Filterblase ist das Leid wohl auch nicht ganz so groß, wenn irgendwo ein Signalgeber nicht mit Fahrradpiktogrammen ausgerüstet wurde. Trotzdem wundert es mich, dass die Leute so begeistert sind, denn von den stolz zusammenaddierten 5.200 Kilometern Radweg sind nach meiner Erfahrung ein nicht unerheblicher Teil mit
und „Radwegschäden“ ausgewiesen.
Vor ein paar Jahren hätte ich ja noch gedacht, dass das normale Touristen nicht stört, die ihr für ein paar Ausflüge ihr Fahrrad mitbringen, insgesamt aber nicht mehr als 500 Kilometer im Jahr abreißen, ohnehin keine Reisegeschwindigkeit erreichen, ab der diese ganzen Wurzelaufbrüche lästig werden. Aber seitdem das E-Bike quasi zum Ausweis eines Touristen mit Fahrrad geworden ist, werden plötzlich locker Reisegeschwindigkeiten von 20 bis 25 Kilometern pro Stunde erreicht. Da bricht man sich auf den meisten außerörtlichen Radwegen ja glatt die Federgabel durch.
Insofern… ich weiß nicht. Ich kann mit solchen Ankündigungen echt nicht viel anfangen. Nach meinem Dafürhalten müsste erstmal ein Großteil der vorhandenen Radverkehrsinfrastruktur außerorts wie innerorts erneuert werden, und zwar auf eine Art und Weise, dass nicht nach fünf Jahren die ersten Wurzelaufbrüche auftreten.
Oder aber man hebt die Radwegbenutzungspflichten quasi landesweit auf. Aber auch explizit nicht für den Radverkehr vorgesehene und ausnahmslos schlechte Sonderwege neben Überlandstraßen werden nach meiner Beobachtung noch begeistert von touristischen Radfahrern genutzt.