Darf ich fragen warum? Sorge um deine eigene Gesundheit, oder irgendein anderer Grund?
Das ist eigentlich eine sehr interessante Frage.
Angst um meine Gesundheit habe ich eigentlich nicht. Ich bin ja nun wahrlich kein Querdenker oder Coronaleugner, aber tief in mir drin, in meiner Seele, in meinem Herzen (mein Gott, was für ein Geschwafel), da hatte ich bislang nie Angst davor, mich zu infizieren, zu erkranken, womöglich mit einem schweren Verlauf im Krankenhaus zu liegen. Das war für mich eher eine abstrakte Gefahr, denn ich ging davon aus, dass wir die Pandemie mit wissenschaftlicher Herangehensweise und entsprechenden Maßnahmen zur Eindämmung schon wieder in den Griff bekämen.
Das änderte sich dann am Donnerstag vor Pfingstmontag, als plötzlich die Rede davon war, die Maskenpflicht im Einzelhandel quasi sofort aufzuheben. Da lag ich tatsächlich die halbe Nacht wach vor Angst, dass für mich jetzt eine Infektion unausweichlich wäre. Von Außengastronomie und anderen Menschenansammlungen kann man sich in der Regel fernhalten, aber Einkaufen muss man nunmal, da kommt man nicht drumherum. Damals war die Inzidenz mit 32 auch noch so hoch, dass ich es einfach nicht für den richtigen Zeitpunkt für eine solche Lockerung hielt. Nun sind wir in Lüneburg bei 12, Tendenz stark fallend, nun kann man das meinetwegen mal wieder ins Gespräch bringen, wenn es denn unbedingt sein muss. Aber in dieser einen Nacht hatte ich den Eindruck, dass wir diesen wissenschaftlichen Ansatz zur Pandemiebekämpfung eben überhaupt gar nicht mehr verfolgen, sondern alles nur noch Wahlkampfgetue und Taktiererei wird.
Mein viel größeres Problem ist aber, dass ich einfach in einer absolut seltsamen Situation stecke. In meinem privaten und beruflichen Umfeld sind alle Menschen, mit denen ich regelmäßiger etwas zu tun habe, nach meiner Kenntnis jetzt geimpft. Donnerstag hatten die letzten beiden Ungeimpften ihre Termine, Stand Freitag bin ich also der letzte, der noch keine Impfung hat, der noch keinen Termin hat, der noch nicht einmal die Aussicht auf einen Termin hat.
Ich glaube, ich hatte es in den vorigen Beiträgen bereits erwähnt, sehr viele dieser Menschen sind mit Priorität 2 oder 3 an ihre Impfung bekommen, aber ein nicht unerheblicher Teil sitzt gesund ohne Vorerkrankungen in Gruppe 4 und war dennoch in der Lage, sich einen Termin zu organisieren.
Ich hingegen habe mit Mühe einen Hausarzt gefunden, der mich dann auf seine Warteliste gesetzt hat. Reale Chancen auf eine Impfung habe ich bei ihm aber nicht, denn er hat noch nicht einmal genügend Impfstoff bekommen, um seine eigenen Patienten aus Gruppe 2 zu versorgen. Er hat mir ja das Impfzentrum nahegelegt, da käme ich früher dran.
Im Impfzentrum brauche ich es gar nicht mehr versuchen, denn nachdem die Pläne zur zeitnahen Schließung momentan wohl wieder vom Tisch sind, werden in Niedersachsen und auch in anderen Bundesländern nach meiner Kenntnis erst einmal ausschließlich Zweitimpfungen durchgeführt. Ab morgen darf ich mich dann mit allen anderen Angehörigen der Gruppe 4 um einen Termin prügeln, der dann nach Auskunft der Impfhotline wohl eher im Spätsommer liegen wird (und natürlich mit der Auskunft, es beim Hausarzt zu versuchen, da käme ich früher dran).
Dann war da noch die Sache mit dem Betriebsarzt, die eigentlich morgen losgehen sollte, aber trotz aller Bemühungen wird es auch dort wohl eher August oder später — erst einmal sind nämlich (verständlicherweise) Betriebsärzte dran, die Angehörige des Energiesektors oder anderer systemrelevanter Bereiche aus Gruppe 3 versorgen sollen.
Und es ist halt so absurd, dass alle anderen in der Lage waren, sich eine Impfung zu organisieren — nur ich mal wieder keinen Millimeter weiterkomme. Das ist es, was mir so sehr zu schaffen macht.
Wenn ich bei einem anderen Haus- oder Facharzt anrufe, bekomme ich verständlicher- und verdienterweise die schlechte Laune der Arzthelfer*innen ab, die um 10 Uhr morgens schon zum 30. Mal erklären mussten, dass keine Impfstoffe übrig sind. Und dann wird’s lustig: Meine Kolleg*innen wohnen und arbeiten in Hamburg und bekommen dort auch noch kurzfristige Termine bei Fach- und Hausärzten. Ich bekomme keine, denn entweder wäre ich als Niedersachse dort nicht impfberechtigt oder man wolle keinen Impftourismus oder man habe andere Vorbehalte.
Bei einem Arzt in Mecklenburg-Vorpommern, quasi in mit dem Fahrrad erreichbarer Nähe von meiner Wohnung, könnte ich wohl Termine bekommen, dürfte aber angeblich nicht nach Mecklenburg-Vorpommern einreisen. Und in meiner Heimat in Schleswig-Holstein gäbe es noch AstraZeneca und Termine bei Hausärzten, die den Kram nicht an ältere Patienten losschlagen können, aber da ist man sich wieder nicht sicher, ob sie mich impfen dürfen, wenn ich aus einem anderen Bundesland komme.
Ich glaube, das ist eher das Problem: Dieser gesellschaftliche Druck, sich irgendwie an der Priorisierung vorbei, mitunter auch auf Kosten der Gemeinschaft eine Impfung zu sichern — und ich scheitere an so vielen Stellen auf so vielen Ebenen damit, während andere Menschen in meinem Umfeld einfach in Hamburg bei ihrem Orthopäden anrufen und — Zack! — eine halbe Stunde später geimpft sind. Mir wird im Zuge dieser Impfkampagne jeden Tag vor Augen geführt, dass ich wieder und wieder an etwas scheitere, das alle anderen aus meinem Umfeld offenbar problemlos erreichen.
Und ich muss dann schon froh sein, wenigstens im August vielleicht mal langsam die Chance auf einen Termin zu haben.