Du zweifelst die Eigenverantwortung der (meisten) Menschen an. Und ich lese aus deinen Beiträgen heraus, dass du deshalb die Maßnahme der Quarantäne begrüßt oder zumindest akzeptierst, z. B.:
Ich möchte die Sache mit der Eigenverantwortung noch eine Nummer höher aufhängen: Es gibt eben gesellschaftliche Zwänge, die mir als verantwortungsvoller Arbeitnehmer signalisieren, eine leichte Erkältung wäre kein Grund, eine Woche krank zu Hause zu bleiben. Ich weiß als Arbeitnehmer, dass das eine dumme Idee sein könnte, aber das Bild des fleißigen Deutschen beinhaltet nunmal keine Bettruhe bei leichter Erkältung. Genauso sehe ich das bei Verwandtschaftsbesuchen: Man schleppt sich auch noch krank zu den Großeltern, weil es die Verwandtschaft erwartet. (Ich habe da die unpassende Analogie zur sozialen Benutzungspflicht im Hinterkopf: Ich weiß, dass ein Radweg nicht blau beschildert ist, aber ich komme meiner Eigenverantwortung nicht nach, auf der sichereren Fahrbahn zu rollen, weil ich dort ständig gemaßregelt werde.)
Man muss eben abwägen: Im Winter haben Infektionskrankheiten leichtes Spiel, wenn jeder krank zu Hause bliebe, fiele nicht nur überall das Weihnachtsfest aus, sondern auch die Grundversorgung in den Supermärkten und Apotheken und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Also entscheidet man sich für einen Mittelweg, der dann irgendwo von Husten und leichtem Fieber begleitet wird, aber noch rechtzeitig abbiegt, bevor jemand zu Schaden kommt.
Insofern magst du recht haben: Ich bezweifle die Eigenverantwortung der meisten Menschen, weil sie nur sehr begrenzt entscheiden können, zu Hause zu bleiben. Dem Weihnachtsfest mag man fernbleiben können, beim Arbeitsplatz hat der Arbeitgeber mitzureden. Den Begriff der Teleheimarbeit habe ich 2004 in der Schule gelernt, bis zur flächendeckenden Umsetzung dieses Konzepts dauerte es noch lockere 16 Jahre.
Und tatsächlich akzeptiere ich durchaus die Quarantäne-Anordnung des Landkreises Lüneburg. Ich könnte jetzt auch einfach vor die Tür gehen und irgendwo mit dem Auto hinfahren, niemand würde es bemerken, niemand würde gefährdet, sobald ich die Landesgrenze zu Schleswig-Holstein überquert habe, wäre das keine Ordnungswidrigkeit und ich könnte wunderbare Fotos im Schnee schießen. Mach ich aber nicht. Toll finde ich es auch nicht.
Und da kommt dann wieder die Eigenverantwortung: Ich wäre vernünftig genug, mit röchelndem Husten und positiven Test nicht in die Bahn zu steigen oder in den Supermarkt zu gehen. Ich bin mir aber sicher, andere täten es. So habe ich mir ja mutmaßlich vor acht Tagen das Virus bei einer Veranstaltung mit der dazugehörigen Erkältungs-Geräuschkulisse eingesammelt. Die Leute haben sich eben für 25 Euro Eintrittskarten angeschafft und bleiben dann halt nicht zu Hause, wenn sie vor lauter Husten nicht mal ihre Bestellung am Tresen aufgeben können.
Und ja, ich kann auch verstehen, dass irgendwann der Staat eingreift und sagt, hier gerät etwas ganz gewaltig ins Ungleichgewicht. Das traurige Schicksal des Präventionsparadox ist ja, dass niemand weiß, wie es nun tatsächlich gelaufen wäre, hätte es seit Frühjahr 2020 keine Lockdowns gegeben. Aber offenbar sah sich der Staat gezwungen, zum Schutz der Bevölkerung und damit auch im weiteren Sinne zum Schutz der Wirtschaft tätig zu werden.
Ich tu mich schwer mit der Einordnung, ob ich das nun begrüße oder toll finde oder nicht, es hat sich bei mir eher eine Gleichgültigkeit sondergleichen eingestellt. Tatsächlich wäre ich gestern und heute gerne mit dem Auto nach Schleswig-Holstein gefahren, um die gezuckerte Landschaft zu fotografieren. In den nächsten Tagen regnet’s, wenn ich hier wieder raus bin, ist nichts mehr davon übrig. Das nagt schon ein bisschen an mir.
Vielleicht lassen wir das Thema jetzt auch auch bleiben. Man kann ja auch anerkennen, nicht einer Meinung zu sein.