Einen wunderschönen guten Abend an die ganzen Herrschaften, die mich aufgrund dieses Retweets vom @ProSieben-Konto auf twitter gerade mit so freundlichen Kommentaren eindecken!
Was ist nun passiert?
Eine 33-jährige Radfahrerin wurde am Montagmorgen gegen 8 Uhr von einem rechtsabbiegenden Lastkraftwagen-Fahrer überrollt und tödlich verletzt.
Laut Polizeiangaben war der Lastkraftwagen-Fahrer im Eppendorfer Weg Richtung Norden unterwegs und wollte an der Kreuzung mit der Osterstraße nach rechts abbiegen. Dort wollte gleichzeitig die 33-Jährige auf der Fahrradfurt die Osterstraße überqueren. Beide fuhren bei grünem Licht.
Eine Rambo-Radlerin? Eine Kampfradlerin? Eine rücksichtslose Pedalritterin?
So mag man es in den Medien oder durch die Windschutzscheibe hindurch bezeichnen. Es gibt auch noch andere Begriffe für das Unfallopfer. Beispielsweise: Mutter von zwei Kindern. Oder: Mensch. Oder: Ehefrau. Oder: Nachbarin. Oder: Tante. Oder: Kollegin.
Sucht euch einen Begriff aus, der sich möglichst weit ab der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener bewegt.
Die „Radwege auf der Straße“ sind schuld!
Nein, ganz im Gegenteil.
Erstens gab und gibt es im Eppendorfer Weg keine „Radwege auf der Straße“.
Zweitens handelt es sich um den typischen Rechtsabbiegeunfall zwischen Lastkraftwagen und Radfahrern, der sich auch in diesem Fall wieder aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse ereignet hatte. Das Gegenteil der so genannten „Radwege auf der Straße“ sind die alten Hochbordradwege, die sich auf Gehwegniveau befinden. Radfahrer, die dort unterwegs sind, können in der Regel sehr viel schlechter von abbiegenden Kraftfahrern gesehen werden. Diese Rechtsabbiegeunfälle zwischen Lastkraftwagen und Radfahrern ereignen sich beinahe ausschließlich im Umfeld alter, schlecht einsehbarer Hochbord-Radwege.
Bei einem „Radweg auf der Straße“ ist ein solcher Unfall aufgrund der viel besseren Sichtverhältnisse deutlich unwahrscheinlicher.
„Würden Radrambos rote Ampeln und andere Verkehrsregeln beachten, so wie alle anderen auch, gäbe es einige Tote weniger!“
Interessanterweise machen Rotlichtfahrten von Radfahrern in der Unfallstatistik einen eher schmalen Anteil aus. Der klassische Rechtsabbiegeunfall wie heute morgen ist da deutlich präsenter.
„Die Radfahrerin ist selbst schuld, sie hat nicht auf ihre eingebaute Vorfahrt verzichtet!“
Sagen wir mal so: Hätte sie auf ihre Vorfahrt verzichtet, wäre sie eventuell noch am Leben. Andererseits: Niemand erzwingt als Radfahrer seine Vorfahrt gegenüber einem Lastkraftwagen-Fahrer. Sowas macht niemand bewusst.
Was in der Theorie einfach klingt, erweist sich in der Praxis als deutlich komplizierter. Nicht immer lässt sich auf dem Rad rechtzeitig wahrnehmen, dass nebenan auf der Fahrbahn gleich jemand nach rechts abbiegen möchte.
Mir passiert es regelmäßig, dass mich Kraftfahrer überholen, gleich danach rechts abbiegen und binnen Sekunden vergessen haben, dass sie mich gerade überholt haben. Da ich heute hier sitze und diesen Beitrag schreiben kann, ist es mir offenbar bislang gelungen, rechtzeitig an der Bremse zu ziehen, bevor ich in das abbiegende Auto einschlage.
Auch bei Lastkraftwagen ist es nicht immer leicht zu beurteilen, ob da gleich jemand rechts abbiegen wird. Manche Fahrer lenken erst nach links, um großzügig zum Rechtsabbiegen ausholen zu können, sind aber ab diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in der Lage, den rechts verlaufenden Radweg durch Fenster oder Spiegel einzusehen. Wer auf dem Rad zu diesem Zeitpunkt nicht registriert, dass der Lastkraftwagen gar nicht geradeaus oder nach links fahren möchte, begibt sich in Lebensgefahr. Oder: Der Lastkraftwagen fährt an einer Einmündung erst einmal recht weit geradeaus, um dann wiederum rechts abzubiegen. Das bekommt man im Ernstfall ebenfalls eher spät mit.
Im Endeffekt lässt sich aber den Radfahrern kaum vorwerfen, sie setzten regelmäßig gegenüber Lastkraftwagen-Fahrern ihre Vorfahrt durch — sonst hätten wir nicht zwei oder drei überfahrene Radfahrer pro Woche zu beklagen, sondern hunderte pro Tag. Auch wenn es draußen im Straßenverkehr einen gegenteiligen Eindruck machen mag: Die allermeisten Radfahrer, beinahe hundert Prozent, verzichten gegenüber einem abbiegenden Lastkraftwagen-Fahrer rechtzeitig auf ihre Vorfahrt.