Schutzstreifen und §45 Abs. 9 StVO

  • In Rostock ist es einer Radfahrerin gelungen, unter Klageandrohung die Stadt dazu zu bringen, die Markierungen zu entfernen. Dies ist besonders wichtig, da Schutzstreifen im Rahmen der StVO-Novelle von den Einschränkungen des Absatzes 9 von §45 ausgenommen wurden:


    in den beiden oben verlinkten Artikeln ist zwar abwechselnd von Radweg und radsreifen die Rede, allerdings hat offenbar die Klägerin in einem Kommentar einen Link auf Dropbox gesetzt, in denen anscheinend Bilder des Vorher Zustandes der Karl-Marx-Straße zu sehen sind. Aus diesen Fotos geht hervor, dass es sich um Schutzstreifen gehandelt haben muß:

  • Mich würde ja der genaue Wortlaut der gerichtlichen Hinweise interessieren. Das das alles großer Mist war, ist m.E. ziemlich offensichtlich, aber gerade angesichts § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ist die gerichtliche Beseitigung solcher schlechter Schutzstreifen interessant. Ausweislich der Photos dürfte an einigen Stellen die Spurbreite insgesamt einfach ungünstig sein, hier erschiene mir die Verbreiterung des Hochbordes, evtl. Fahrrad "frei" und eine schmalere Fahrstreifenbreite von bis zu 3 m für Radfahrer gegen Nahüberholer geeigneter. An anderen Stellen ergeben sich sämtliche Probleme allein aus den parkenden Fahrzeugen, ohne diese wäre ein ausreichender Gehweg sowie ein konflikloser Mischverkehr genauso wie auch ein akzeptabler Radstreifen möglich.

  • Kann mir das mal jemand genauer erklären?

    Zitat

    Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.

    Zitat

    Abgesehen von der Anordnung von Schutzstreifen für den Radverkehr (Zeichen 340) oder von Fahrradstraßen (Zeichen 244.1) oder von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder ZonenGeschwindigkeitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.


    Erstmal bin ich ja beim Schutzstreifen durch das Parkverbot beschwert. Bevor der angeordnet wurde, durfte ich dort parken, jetzt nicht mehr. Durch das Wort "insbesondere" gilt der Satz aber auch wohl indirekt für den ruhenden Verkehr, oder?

    Relevant dürfte von den vorstehenden Absätzen ja nur der erste sein: "Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten"

    Eine Benutzungspflicht darf also nur angeordnet werden, wenn "eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung" erheblich übersteigt, ein Schutzstreifen schon wo es auf Grund der besonderen Umstände geboten ist? Oder bringe ich da etwas durcheinander?

  • Sehe ich so ähnlich.
    Mit der Neuregelung des §45 StVO gelten für die Anordnung von Schutzstreifen nicht mehr die besonders hohen Anforderungen von §45(9), sondern nur noch der normale Ermessensspielraum der StVB. Es dürfte damit erheblich schwieriger geworden sein, gegen die Einrichtung solcher Anlagen vorzugehen.

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • Mich würde ja der genaue Wortlaut der gerichtlichen Hinweise interessieren.

    Zitat aus dem Artikel: "Die Radlerin, die dagegen vorging, hat erreicht, dass ein Richter der Stadtverwaltung nahelegte, etwas zu unternehmen, wenn sie einen Prozess vermeiden wolle."
    Das war es leider schon...

    Ja, die hohen Hürden des § 45(9) wurden für Schutzstreifen leider beseitigt. Hier muß man nun den Hebel der Straßenverkehrssicherungspflicht ansetzten, sprich die Erkenntnisse der Studien über Schutzstreifen auswerten und darlegen, warum Schutzstreifen die Verkehrssicherheit negativ beeinträchtigen. Was mir an Punkten, an denen man ansetzen könnte spontan einfällt:

    1. Die Studien haben festgestellt, dass sich Autofahrer nach der Anlage von Schutzstreifen primär an der Schutzstreifenmarkeirung orientieren und nicht mehr an den nötigen Sicherheitsabständen
    2. Die Studie behauptet zwar, die Überholabstände hätten sich nach der Markeirung von Schtuzstreifen etwas vergrößert, verschweigt aber, dass es in vielen Fällen daran liegt, dass Radfahrer unter Aufgabe von Sicherheitsabständen zum Fahrbahnrand und zum ruhenden Verkehr noch weiter rechts fahren.
    3. Die anordnenden Behörden verkennen, dass bei Fahrbahnführung nicht Unfälle im Längsverkehr die Hauptunfallursache darstellen, sondern Unfälle mit dem ruhenden Verkehr, dem Abbigenden Verkehr und dem einbiegenden/kreuzenden Verkehr. Schutzstreifen sollen also angeblich gegen eine Unfallursache helfen, die eine eher nachrangige Rolle spielt und verstärken dahingegen Unfälle, die eine Hauptrolle spielen.

  • Die Studien haben festgestellt

    Die Artikel hatte ich gelesen, mangels dort vorhandenen Zitaten der richterlichen Hinweise hatte ich mein Interesse formuliert. Die inhaltliche Argumentation gegen schlechte Schutzstreifen ist mir dabei schon klar, allerdings bin ich mir der juristischen Grundlage nicht so sicher. Die Belastung durch falsches Überholen als mittelbare Folge einer konkreten Markierung ist schwer zu beweisen, m.E. müsste im Streitfalle aber die konkrete Markierung die Hauptrolle spielen. Welche Studien hast Du dabei eigentlich genau im Blick, ich kenne bisher eher sehr vage Erkenntnisse?

  • Als juristischer Laie sehe ich folgende Gegebenheiten:

    • Schutzstreifen sind nicht-benutzungspflichtige, durch Zeichen 340 von der übrigen Fahrbahn abgetrennte und in regelmäßigen Abständen mit Fahrrad-Bodenmarkierung versehene Straßenbestandteile.
    • Schutzstreifen können von der StVB überall dort eingerichtet werden, wo diese in ihrem eigenen Ermessen eine Notwendigkeit sieht. Sie unterliegen nicht den besonderen Anforderungen des §45 StVO, wonach eine besondere Gefährdung vorliegen müsse.
    • An die Ausgestaltung und Dimensionierung von Schutzstreifen für Radfahrer stellt die VwV-StVO nur sehr allgemeine Anforderungen. Abgesehen von der Art der Markierung (siehe oben) wird nur gefordert, der Schutzstreifen müsse "so breit sein, dass er einschließlich des Sicherheitsraumes einen hinreichenden Bewegungsraum für den Radfahrer bietet." Über das konkrete Maß wird zu diskutieren sein. Ich sehe eigentlich keine Grundlage für Abmessungen, die die in der VwV-StVO für Radwege vorgegebenen Mindestmaße unterschreiten.
    • Radfahrer fühlen sich durch das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer bei Vorhandensein eines Schutzstreifens mehr oder weniger genötigt, auf dem Schutzstreifen zu fahren, auch wenn sie dies nicht möchten.
    • Ob "Schutzstreifen" tatsächlich Schutz bieten oder sogar eine Gefährdung darstellen wird subjektiv äußerst verschieden beurteilt und ist sicher von Einzelfall zu Einzelfall zu klären.

    Abgesehen von der sehr grundsätzlichen (politischen) Frage, ob nun Schutzstreifen das neue Allheilmittel in der Straßenverkehrsplanung darstellen, wird es m.E. nur wenige konkrete Fälle geben, wo um die Einrichtung eines Schutzstreifens (juristisch) gestritten werden kann. Einziger Hebel, um diese als Betroffener wegzuklagen, wäre in obiger Auflistung die geforderte Mindestbreite, also verwaltungsrechtlich ein Verstoß gegen die VwV-StVO. Korrigiert mich bitte, wenn ich da irre, aber: wenn keine Benutzungspflicht besteht, wird es schwierig, überhaupt eine Beschwertheit durch den strittigen Verwaltungsakt darzustellen. Das würde ein Verwaltungsgerichtsverfahren von vornherein abwürgen. Und den einfachen Widerspruch gibt es z.B. in Bayern seit einigen Jahren nicht mehr.
    Vielleicht kann @Rad-Recht das präziser darstellen?!

    Twitter: @Nbg_steigt_ab

  • @ Spkr

    Das sehe ich grundsätzlich genauso, zumal aus der VwV-StVO grundsätzlich keine Ansprüche entstehen. Die Belastung ist nur mittelbar, der Nachweis kaum zu führen, dafür der Ermessensspielraum sehr groß. Vielleicht stehe ich nur auf dem Schlauch, aber ein juristisches Heureka! gegen Anordnungen von Schutzstreifen will mir momentan nicht einfallen. Nochmal zur Klarstellung, die faktischen Mängel schlechter Schutzstreifen sind mir bewusst, das reicht aber juristisch nur bedingt.

    Eventuell könnte man mittelbar über Verkehrssicherungspflichten Änderungen erreichen, aber schon das ist auch angesichts der restriktiven Gewährung von Schadenersatz aufgrund von Verkehrssicherungspflichten eher zweifelhaft, zumal erst nach eingetretenem Schaden möglich. Wer das Prozessrisiko nicht scheut und ein Radfahrerfreundliches Gericht anruft, kann es natürlich gerne versuchen, den meisten hier dürfte die faktische Belastung durch zu schmale Schutzstreifen klar sein. Ich habe aber starke Bedenken hinsichtlich der Erfolgsaussichten. Dazu einige Stichpunkte:

    • Bei RWBP ist VA-Qualität klar, aber bei Schutzstreifen wegen ggü. Radfahrern nur mittelbarer Regelung (kein eigenes Gebot, nur Rechtsfahrgebot)?
    • auch Belastung nur mittelbar, da im Rahmen des Rechtsfahrgebots Position frei wählbar, Belastung erst durch Fehlverhalten anderer
    • Zusammenhang Fehlverhalten beim Überholen-Schutzstreifen kaum beweisbar, in den meisten Fällen IMHO Frage des verfügbaren lichten Raumes

    Zum letzten Punkt hatte ich an anderer Stelle schon ausgeführt, ich sehe keine besonders starke Erhöhung von Nahüberholern bei den meisten Schutzstreifen, sofern bei gleicher Position der Leitlinie dieser einfach von der Fahrstreifenbreite abgezogen wird. Nur wenn die Breite zwischen Leitlinie und rechtem Rand bei Anlage von Schutzstreifen geändert wird, ändert sich signifikant etwas. Der größte nachteilige Effekt liegt dabei eher bei Radfahrern, die sich ohne Grund im Dooring-Bereich plötzlich sicherer fühlen oder sich nicht mehr weiter nach links trauen. Der Überholabstand bei beden Fahrvarianten ändert sich kaum, bei solchen Spurbreiten werden Rinnsteinradler auch ohne Schutzstreifen fließend überholt und Radfahrer mit Sicherheitsabstand nach rechts bedrängt und bepöbelt.

    Wenn jemand eine zündende Idee zur rechtlichen Lage hat, freue ich mich über jeden Tip.

  • Komplett?
    Eigentlich ist doch das hier relevant:

    Zitat

    Zwar können besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, die die Markierung von Schutzstreifen für Radfahrer gerechtfertigt erscheinen lassen, auch in einer dort anzutreffenden Verkehrsbelastung, etwa durch einen hohen Anteil Schwerlastverkehr, begründet sein. Aus einer erhöhten Verkehrsbelastung allein ergibt sich aber nicht ohne Weiteres eine auf solchen örtlichen Verhältnissen beruhende, das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigenden Gefahrenlage.


    Besondere örtliche Verhältnisse sind ja immernoch notwendig.

    An dem von @Rad-Recht angesprochenen Punkt bzgl. Belastung hat sich doch nichts geändert:

    Zitat

    Die durch Leitlinien auf der Fahrbahn markierten Schutzstreifen für den Radverkehr stellen eine den fließenden Verkehr beschränkende verkehrsrechtliche Anordnung dar

  • Das von hugo790 genannte Urteil enthält m.E. keine geeigneten Argumentationsansätze zum Vorgehen gegen Schutzstreifen unter Berücksichtigung der derzeitigen Rechtslage. Es ging in dem Urteil m.W. um einen Autofahrer, der durch die Belastung des Schutzstreifens dort nicht mehr parken durfte.

    Sicher könnte man als Autofahrer, der an Stelle eines Schutzstreifens parken will, einen belastenden VA annehmen und dagegen vorgehen. In Besitz eines Führerscheins wird man auch als überzeugter Radfahrer schon irgendwie eine Betroffenheit hinbekommen, es wird sich schon ein Grund finden, dort mit dem (geliehenen) Auto parken zu wollen, spätestens wenn man neue Bekannte unter den Anliegern findet. Allerdings gilt dies natürlich nur für Schutzstreifen ohne banachbarte Parkplätze. Außerdem braucht es zum Anordnen von Schutzstreifen eben nur besondere Umstände nach § 45 Abs. 9 S. 1 StVO, keine besonderen örtlichen Verhältnisse nach Satz 2 der Norm. Für diese besonderen Umstände besteht ein recht weiter Ermessensspielraum, auch wenn der Wortlaut anders wirkt.

    Jedenfalls wird man damit schon deshalb nicht durchdringen, weil die Belastung - nicht parken dürfen - selten bei schmalen Schutzstreifen durch den Schutzstreifen ausgelöst (im faktischen, unjuristischen Sinne) werden dürfte. Auf dem Hochbord parken darf man grundsätzlich sowieso nicht. Wenn es aber ohnehin nur für einen schmalen Schutzstreifen gereicht hat und dieser trotzdem für notwendig befunden wurde, dann hat man es in der Praxis oft mit vielbefahrenen Straßen zu tun, denen man eben nicht eine Spur wegnehmen wollte. Dort kommt kaum jemand auf die Idee zu parken, oft genug ist es ohnehin explizit verboten, andernfalls könnte die Behörde dies ohne weiteres verbieten, insofern kann sie auch einen Schutzstreifen gegen parkwillige Autofahrer anordnen. M.E. hilft das genannte Urteil daher Radfahrern nicht weiter. Anders wäre dies eventuell dann, wenn der Schutzstreifen eine Dimension erreichte, an Stelle derer auch Parken ohne Beeinträchtigung der übrigen Fahrstreifen möglich wäre. Vorgehen gegen derart breite Schutzstreifen finde ich jedoch nicht im Sinne von Radfahrern. Auch wären kaum befahrene Straßen denkbar, bei denen trotzdem schmale Schutzstreifen aufgebracht wurden. Hier sehe ich keine Probleme, sie als sonst eventuell nicht vorhandenes Parkverbot bestehen zu lassen und links der Leitlinie zu fahren. Insofern bringt diese Argumentationslinie nicht nur nichts, wenn sie erfolgreich wäre, dürfte dann sogar geparkt werden, wo es jetzt nicht geht.

  • In meinem konkreten Fall ist der Schutzstreifen vor der Schule, in die mein Sohn ab dem Herbst gehen wird. Ein Auto habe ich auch. Der Bedarf dort zu parken, muss also nichtmal vorgeschoben werden, er ist, auch wenn ich meistens das Fahrrad nutze, da.

    Seit mindestens 5 Jahren bis einsschliesslich zur Anmeldung in der Schule, durfte dort geparkt werden und es wurde reger gebrauch davon gemacht.

    Die Stadt weigert sich derzeit überhaupt irgendeine Begründung zu nennen. Tempo 30, Wohngebiet, Belastungsbereich I der ERA 2010.

    Das mit den Breiten sehe ich etwas anders. Ein Auto ist ca. 2,0m breit. Damit man parken darf, werden also gut 5m benötigt. 5 Meter reichen aber definitiv nicht für zwei Schutzstreifen und Begegnungsverkehr in der Mitte.

  • Die Stadt weigert sich derzeit überhaupt irgendeine Begründung zu nennen. Tempo 30, Wohngebiet, Belastungsbereich I der ERA 2010.


    Ich verstehe Deine Argumentation grad nicht ganz. Da ist also wenig los und es gibt einen Schutzstreifen. Gegen den möchtest Du vorgehen, weil

    • Du tatsächlich da parken dürfen möchtest, oder
    • Du eine Gefahr für Radfahrer in dem Schutzstreifen siehst, die bei Rückkehr zur Ausgangslage (Parken erlaubt) kleiner wäre?

    Das mit den Breiten sehe ich etwas anders. Ein Auto ist ca. 2,0m breit. Damit man parken darf, werden also gut 5m benötigt. 5 Meter reichen aber definitiv nicht für zwei Schutzstreifen und Begegnungsverkehr in der Mitte.


    Ein durchschnittliches Auto (mit Spiegeln) ist heutzutage etwa 2,1 bis 2,3 m breit, es gibt natürlich schmalere und breitere.

    Ich verstehe auch gerade die derzeitigen Abmessungen nicht, wie breit sind denn die komplette Fahrbahn, die Fahrstreifen und die Schutzstreifen?

  • Beides.

    Und drittens weil die Stadt einfach mal wieder etwas macht, ohne sich Gedanken darum zu machen. Wenn sie sich Gedanken machen und dann zu dem Schluss kommen, da muss/sollte ein Schutzstreifen hin, wäre das etwas anderes. Aber es gibt einfach die Vorgabe, bei jeder Sanierung einer Fahrbahndecke wird geprüft, ob von den Abmessungen her ein Schutzstreifen möglich ist. Demnach wird irgendwann die ganze Stadt voller Schutzstreifen sein.

    Die Fahrbahn ist exakt 8m breit und dort, wo Bäume stehen, darf nicht geparkt werden. Dort wo keine Bäume sind, darf neben der Fahrbahn geparkt werden. Das ist ca. die halbe Strecke. Jetzt also 14 statt ca. 28 Parkplätze auf einer Seite. Demnach hat man auf der halben Strecke parkende Fahrzeuge neben dem Schutzstreifen.

    Vor der Sanierung wurde beidseitig auf der kompletten Länge geparkt. Bei 8m wurde das auch nie beanstandet. Selbst bei 2,3m breiten Fahrzeugen blieben also noch 3,4m übrig.

    Die Schutzstreifen sind 1,25m.


  • Wenn jemand eine zündende Idee zur rechtlichen Lage hat, freue ich mich über jeden Tip.

    Die Rechtsprechung verlangt, dass der Straßenverkehrssicherungspflichtige im Rahmen seiner Garantenstellung auch häufig vorkommenden Fehlverhalten der Verkehrsteilnehmer Rechnung tragen muß. Das ist ja die klassische Grundlage der Anordnung von Radwegebenutzungspflichten - im dichten Verkehr sorgt der Überholzwang der Autofahrer für gefährliche Situationen, deshalb muß der Radfahrer auf dem Radweg fahren. Ob diese Maßnahme dann auch die Kriterien von Geeignetheit, Angemessenheit und Erfoderlichkeit erfüllt, steht ja bekanntlich aufgrund der hieraus resultierenden Verlagerung und ggf. Steigerung der Gefahren auf einem anderen Blatt. Wieso sollte der Verkehrssicherungspflichtige sich also darauf berufen dürfen, für ein Fehlverhalten (Überholen im dichten Verkehr) straßenverkehrssicherungspflichtig zu sein, und für ein anderes Fehlverhalten (Übersehen beim Abbiegen) jede Verantwortung abzulehnen? Der Normalfall ist ja bekanntlich das Fahren im Mischverkehr auf der Fahrbahn. Jede Ausnahme von diesem Normalfall (Radwege, Radstreifen, Schutzstreifen) ist daher im Hinblick auf die Garantenstellung strenger zu beurteilen (Stichwort: Ingerenz). So auch Kettler:

    Zitat


    Auf besonders ausgewiesenen Radverkehrsanlagen, die ja dem Radfahrer besondere Sicherheit geben sollen, sind die Anforderungen an die Sicherungspflicht hingegen besonders hoch. [Kettler 2006, SVR 2006, Heft 3, 86]

    Der von Kettler angesprochene Umstand lässt sich im Hinblick auf den Umfang der Verkehrssicherungpflicht ableiten. Der VSP muß ja nur für diejenigen Gefahren Vorsorge tragen, die für den aufmerksamen und umsichtigen Verkehrsteilnehmer nicht rechtzeitig erkennbar sind, mithin zielt diese Anforderung auf die Verkehrserwartung ab. Die Anlage und - nochmals verschärft - die Anordnung einer Benutzungspflicht für diese Anlage, suggeriert ja dem Verkehrsteilnehmer, dass die sichere Befahrbarkeit dieser Anlage von kompetenter Seite festgestellt wurde und ihm mehr Sicherheit bietet, als das Fahren im Mischverkehr (Normalfall). Hieraus resultiert eine gesteigerte Anforderung an die Verkehrssicherungspflicht, so im Tenor auch Rotermund:

    Zitat


    […] weil hier die Kommune die Fußgänger zum Überqueren der Straße gerade veranlasst hat und zur Abwehr der hierdurch geschaffenen Gefahren
    verpflichtet ist. Die Kommune würde sich widersprüchlich verhalten, wenn sie sich darauf berufen würde, sie brauche für Gefahren, die dem Verkehrsteilnehmer aus einem von ihr herausgeforderten Verhalten drohen, nicht einzustehen. [Rotermund, Carsten 1998: Die Haftung der Kommunen für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Seite 38.]

    Im Falle von Schuztzstreifen ist die Frage etwas komplexer: Wir haben Gruppe A, die auch ohne Schutzstreifen die Fahrbahn benutzt und wir haben Gruppe B, die ohne Schutzstreifen auf dem Geweg fährt. So kann durch die Anlage von Schutzstreifen eventuell (!) gleichzeitig eine Verbesserung eintreten, weil mehr Radfahrer aus Gruppe B in Gruppe A wechseln und so eventuell (!) ihr Unfallriskio senken. Andererseits kann dies für Fahrer aus Gruppe A eine Verschlechterung bewirken, wenn diese plötzlich durch den faktischen Druck der Reviertrennung geringere Sicherheitsabstände einhalten und ihnen gegenüber gerinegre Sicherheitsabstände eingehalten werden, als vorher. Man muß also zwischen der Gesamtwirkung und der Wirkung für den einzelnen unterscheiden. Für mich als Individuum steigen die Konflikte an, auch wenn sie für andere subjektiv oder eventuell (!) auch objektiv sinken.

    Sorry, an dieser Stelle muß ich für heute erst mal Schluss machen...

  • FattyOwls:

    Ich stimme inhaltlich überwiegend zu, aber meine Frage bezog sich eher darauf, wie man rechtlich die Entfernung eines Schutzstreifens durchsetzen könnte. Hier erscheinen mir Verkehrssicherungspflichten der StVB hilfreich bei der inhaltlichen Begründung, allerdings nicht für die Zulässigkeit. Mir fehlt es an einer formellrechtlichen Gestaltung für die Geltendmachung inhaltlicher Kritik.

  • hugo790:

    Das erscheint mir tatsächlich eine problematische Mischung zu sein, allerdings kann ich aus Radfahrerperspektive nicht erkennen, warum die Möglichkeit des Parkens neben den Bäumen auf der Fahrbahn und die damit verbundene Slalomfahrt für fließenden Verkehr erstrebenswert sein sollte. Allein um das Parken neben den Bäumen zu unterbinden, fände ich daher Schutzstreifen geeignet, allerdings wären breitere Schutzstreifen und Sicherheitstrennstreifen nötig. Bei 8m Breite würden sich m.E. jeweils 50cm+145cm, notfalls noch 50cm+125cm anbieten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dadurch die Situation schlechter wäre, als bei Slalomfahrt neben Autos durch teils 3,4 m Engstellen. Ob allerdings die viel zu knappe derzeitige Lösung auch noch vorteilhafter ist, kann ich nicht einschätzen.

    410 cm Restfahrbahn ohne mittlere Leitlinie bei reduzierten Parkplätzen, geradliniger Fahrtlinie und annähernd brauchbaren Platzverhältnissen (jedenfalls für einspurige Normalradler) von 145+50 cm halte ich vor einer Schule für die meisten VT für die geeignetste Lösung. Ich hätte zwar genug Geschwindigkeit, Selbstbewusstsein und Verkehrsverständnis für Mischverkehr mit Baumparkern, aber insbesondere radfahrende Schüler vermute ich unter diesen Bedingungen eher auf dem Gehweg oder im Mamataxi.

  • FattyOwls:

    Ich stimme inhaltlich überwiegend zu, aber meine Frage bezog sich eher darauf, wie man rechtlich die Entfernung eines Schutzstreifens durchsetzen könnte. Hier erscheinen mir Verkehrssicherungspflichten der StVB hilfreich bei der inhaltlichen Begründung, allerdings nicht für die Zulässigkeit. Mir fehlt es an einer formellrechtlichen Gestaltung für die Geltendmachung inhaltlicher Kritik.

    Ich musste leider mittendrin Schlussmachen, war also noch nicht ganz fertig mit der Argumentationslinie. ;)

    Ich denke, in diesem Post werde ich auch nicht ganz fertig, da eine Argumentationslinie, die auf die Verkehrssicherungspflicht abzielt, umfangreiche Ausführungen zu den Grundlagen, auf denen das Argument aufbaut, machen muß. Ich kann ja schonmal andeuten, worauf ich hinaus will: Die Ermessensentscheidung "Parkplätze + Schutzstreifen ohne Sicherheitstrennstreifen" vs. "keine Parkplätze + Radstreifen mit Sicherheitstrennstreifen" kann und darf nicht zugunsten der Parkplätze ausfallen, da ein unerträgliches Missverhältnis im Ausgleich der betroffenen Rechtsgüter offensichtlich ist, dass mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist.

    So schreibt etwa Marburger:

    Zitat

    Die Festlegung eines gesetzliche Sicherheitsstandards, der nach dem zuvor Gesagten ja nur in mehr oder minder großer Entfernung von der prinzipiell nicht erreichbaren absoluten Sicherheit fixiert werden kann, bedeutet zugleich die Entscheidung über den (statistisch) sicheren Unfalltod einer großen Zahl von Menschen, über Körper- und Gesundheitsverletzungen, Sach- und Vermögensschäden und Umweltbeeinträchtigungen. Der Hinweis auf diesen Zusammenhang ist erforderlich, um die Tragweite der Entscheidungen aufzuzeigen, um die es hier geht. [Marburger, Peter 1979: Die Regeln der Technik im Recht. S. 123]


    Wenn etwa ein Politiker sagt:

    Zitat

    "Der Radverkehr ist uns wichtig. Der ruhende Verkehr aber noch mehr", sagte Eik Deistung (CDU) vom Ortsbeirat.

    Quelle:

    ...dann sind die Fronten klar abgesteckt.

    Das Ganze ist ja eine Ermessensentscheidung, bei der die Vorgaben des Gesetzgebers in den VwV-StVO klar formuliert sind. Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer geht der Flüssigkeit des Verkehrs vor. Dies ist ein hohe normative Hürde. Die VwV erwähnt ja noch nicht einmal den ruhenden Verkehr, allein die Flüssigkeit des fließenden Verkehrs und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Sehen wir uns mal die offensichtlichen Widersprüche (beispielhaft anhand der Sicherheitsabstände zum ruhenden Verkehr duchexerziert) zwischen den Forschungsergebnissen und den Regelwerken an, zuerst die ERA2010:

    Auf Seite 17 können wir entnehmen, dass Schutzstreifen neben 2m breiten Längsparkständen 1,50m schmal sein dürfen, was einen Sicherheitsraum von 0,25cm beinhaltet, der nicht markiert werden muß.

    Dann stellen wir dieser Empfehlung die Forschungsergebnisse und die Aussagen aus der Fachliteratur gegenüber:

    Zitat


    Fast alle Unfälle mit ruhendem Verkehr ereignen sich auf Straßen, die Sicherheitstrennstreifen unter 0,75 m Breite zwischen der Radverkehrsanlage und KFZ-Parkständen aufweisen. [Quelle:
    Alrutz et. al. 2009: Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Radfahrern. BASt Heft V 184: Seite 86]

    Zitat


    Aus den Ergebnissen der durchgeführten Unfallanalysen wird deutlich, dass auf der Fahrbahn fahrende Radfahrer in hohem Maße in Unfälle verwickelt wurden, die durch unachtsam geöffnete Wagentüren verursacht wurden. Es wird daher für besonders notwendig gehalten, die Fahrbahn mit ihren einzelnen Fahrstreifen sowie die angrenzenden Verkehrsflächen in allen Fällen so zu dimensionieren, daß Radfahrer mit angemessenen Seitenabständen – auch im Interaktionsfall mit dem fließenden Kfz-Verkehr – an parkenden Fahrzeugen vorbeifahren können.
    [Quelle: Angenendt, Wilhelm et. al. 1994: Verkehrssichere Anlage und Gestaltung von Radwegen. BASt Verkehrstechnik Heft V 9: Seite 82]

    Zitat


    „Unfälle sind vorprogrammiert, wenn Radler zu dicht an am Straßenrand stehenden Autos vorbeifahren", warnt Stephan Böhme vom Amt für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Verkehrsplanung der Stadt Münster. Im vergangenen Jahr wurden bei 36 Unfällen dieser Art 6 Menschen schwer und 25 Menschen leicht verletzt", berichtet Polizeisprecherin Evelin Kösters. Polizei und städtische Verkehrsplanung möchten als Mitglieder der Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention für gefährliche Situationen im Straßenverkehr sensibilisieren.
    [Quelle: Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster, ]

    Schauen wir in die BASt-Studie Verkehrsichere Anlage und Gestaltung von Radwegen auf Seite 43, sehen wir, dass für das untersuchte Kollektiv der Fahrbahnführungen auf der Strecke Unfälle im Längsverkehr 21,6% ausmachen, Unfälle mit dem ruhenden Verkehr mit 46% aber den absolut dominanten Unfalltyp ausmachen.


    Wenn wir also die Aussagen der Regelwerke mit denen der Studien vergleichen, sehen wir, dass die Regelwerke eine Führungsform empfehlen, bei der es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu vorhersehbaren Unfällen kommt. ich zitire aus einem Urteil des OLG Hamm zur Produkthaftung, aus dem sich Analogien zum vorliegnden Fall ableiten lassen:

    Zitat


    Entscheidend für die Frage, ob ein Konstruktionsfehler vorliegt, ist, ob das Produkt insoweit dem Stand von Wissenschaft und Technik und den anerkannten Regeln des Fachs entspricht. Technische Normen - insbesondere DIN-Normen - bilden zwar einen Mindeststandard an Sicherheit. Ihre Einhaltung genügt aber nicht, wenn die technische Entwicklung oder die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Normen hinausgegangen sind oder wenn sich bei der Benutzung des Produkts Gefahren gezeigt haben (Produktbeobachtungspflicht), die in den Normen noch nicht berücksichtigt sind (BGH, NJW 1994, 3349 ff.; Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 3 ProdHaftG Rdn. 4). Eine Haftung besteht auch dann, wenn der Fehler bei der Konstruktion bereits erkennbar und vermeidbar war (Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 1ProdHaftG, Rdn. 21).
    Die Sicherheitsanforderungen an eine Konstruktion werden dabei durch das jeweils gefährdete Rechtsgut und die Größe der Gefahr bestimmt. Bei Gefahr für Körper und Gesundheit von Menschen - möglicherweise in vielen Fällen - sind die Anforderungen besonders hoch. Maßgebend sind insoweit nur Erkenntnisse, die zu der Zeit bestanden, als eine Schadensabwendung noch in Betracht kam (BGHZ 80, 186 für eine „Warnpflicht“; Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 823 Rdn. 169). Quelle: OLG Hamm: Urteil vom 21.12.2010 - I-21 U 14/08, 21 U 14/08

    So, das wars erstmal für heute... ;)

  • So, das wars erstmal für heute...

    Na dann harre ich weiter gespannt der Ausführungen zur Zulässigkeit einer möglichen Klage von Radfahrern gegen Schutzstreifen und bedanke mich für die interessanten Ausführungen zur Verkehrssicherungspflicht, die ich dank erfolgreicher Unfallvermeidung hoffentlich nie in einem Haftungsprozess benötigen werde.