FattyOwls:
Ich stimme inhaltlich überwiegend zu, aber meine Frage bezog sich eher darauf, wie man rechtlich die Entfernung eines Schutzstreifens durchsetzen könnte. Hier erscheinen mir Verkehrssicherungspflichten der StVB hilfreich bei der inhaltlichen Begründung, allerdings nicht für die Zulässigkeit. Mir fehlt es an einer formellrechtlichen Gestaltung für die Geltendmachung inhaltlicher Kritik.
Ich musste leider mittendrin Schlussmachen, war also noch nicht ganz fertig mit der Argumentationslinie.
Ich denke, in diesem Post werde ich auch nicht ganz fertig, da eine Argumentationslinie, die auf die Verkehrssicherungspflicht abzielt, umfangreiche Ausführungen zu den Grundlagen, auf denen das Argument aufbaut, machen muß. Ich kann ja schonmal andeuten, worauf ich hinaus will: Die Ermessensentscheidung "Parkplätze + Schutzstreifen ohne Sicherheitstrennstreifen" vs. "keine Parkplätze + Radstreifen mit Sicherheitstrennstreifen" kann und darf nicht zugunsten der Parkplätze ausfallen, da ein unerträgliches Missverhältnis im Ausgleich der betroffenen Rechtsgüter offensichtlich ist, dass mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist.
So schreibt etwa Marburger:
Zitat
Die Festlegung eines gesetzliche Sicherheitsstandards, der nach dem zuvor Gesagten ja nur in mehr oder minder großer Entfernung von der prinzipiell nicht erreichbaren absoluten Sicherheit fixiert werden kann, bedeutet zugleich die Entscheidung über den (statistisch) sicheren Unfalltod einer großen Zahl von Menschen, über Körper- und Gesundheitsverletzungen, Sach- und Vermögensschäden und Umweltbeeinträchtigungen. Der Hinweis auf diesen Zusammenhang ist erforderlich, um die Tragweite der Entscheidungen aufzuzeigen, um die es hier geht. [Marburger, Peter 1979: Die Regeln der Technik im Recht. S. 123]
Wenn etwa ein Politiker sagt:
Zitat
"Der Radverkehr ist uns wichtig. Der ruhende Verkehr aber noch mehr", sagte Eik Deistung (CDU) vom Ortsbeirat.
Quelle:
...dann sind die Fronten klar abgesteckt.
Das Ganze ist ja eine Ermessensentscheidung, bei der die Vorgaben des Gesetzgebers in den VwV-StVO klar formuliert sind. Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer geht der Flüssigkeit des Verkehrs vor. Dies ist ein hohe normative Hürde. Die VwV erwähnt ja noch nicht einmal den ruhenden Verkehr, allein die Flüssigkeit des fließenden Verkehrs und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Sehen wir uns mal die offensichtlichen Widersprüche (beispielhaft anhand der Sicherheitsabstände zum ruhenden Verkehr duchexerziert) zwischen den Forschungsergebnissen und den Regelwerken an, zuerst die ERA2010:
Auf Seite 17 können wir entnehmen, dass Schutzstreifen neben 2m breiten Längsparkständen 1,50m schmal sein dürfen, was einen Sicherheitsraum von 0,25cm beinhaltet, der nicht markiert werden muß.
Dann stellen wir dieser Empfehlung die Forschungsergebnisse und die Aussagen aus der Fachliteratur gegenüber:
Zitat
Fast alle Unfälle mit ruhendem Verkehr ereignen sich auf Straßen, die Sicherheitstrennstreifen unter 0,75 m Breite zwischen der Radverkehrsanlage und KFZ-Parkständen aufweisen. [Quelle:
Alrutz et. al. 2009: Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Radfahrern. BASt Heft V 184: Seite 86]
Zitat
Aus den Ergebnissen der durchgeführten Unfallanalysen wird deutlich, dass auf der Fahrbahn fahrende Radfahrer in hohem Maße in Unfälle verwickelt wurden, die durch unachtsam geöffnete Wagentüren verursacht wurden. Es wird daher für besonders notwendig gehalten, die Fahrbahn mit ihren einzelnen Fahrstreifen sowie die angrenzenden Verkehrsflächen in allen Fällen so zu dimensionieren, daß Radfahrer mit angemessenen Seitenabständen – auch im Interaktionsfall mit dem fließenden Kfz-Verkehr – an parkenden Fahrzeugen vorbeifahren können.
[Quelle: Angenendt, Wilhelm et. al. 1994: Verkehrssichere Anlage und Gestaltung von Radwegen. BASt Verkehrstechnik Heft V 9: Seite 82]
Zitat
„Unfälle sind vorprogrammiert, wenn Radler zu dicht an am Straßenrand stehenden Autos vorbeifahren", warnt Stephan Böhme vom Amt für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Verkehrsplanung der Stadt Münster. Im vergangenen Jahr wurden bei 36 Unfällen dieser Art 6 Menschen schwer und 25 Menschen leicht verletzt", berichtet Polizeisprecherin Evelin Kösters. Polizei und städtische Verkehrsplanung möchten als Mitglieder der Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention für gefährliche Situationen im Straßenverkehr sensibilisieren.
[Quelle: Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster, ]
Schauen wir in die BASt-Studie Verkehrsichere Anlage und Gestaltung von Radwegen auf Seite 43, sehen wir, dass für das untersuchte Kollektiv der Fahrbahnführungen auf der Strecke Unfälle im Längsverkehr 21,6% ausmachen, Unfälle mit dem ruhenden Verkehr mit 46% aber den absolut dominanten Unfalltyp ausmachen.
Wenn wir also die Aussagen der Regelwerke mit denen der Studien vergleichen, sehen wir, dass die Regelwerke eine Führungsform empfehlen, bei der es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu vorhersehbaren Unfällen kommt. ich zitire aus einem Urteil des OLG Hamm zur Produkthaftung, aus dem sich Analogien zum vorliegnden Fall ableiten lassen:
Zitat
Entscheidend für die Frage, ob ein Konstruktionsfehler vorliegt, ist, ob das Produkt insoweit dem Stand von Wissenschaft und Technik und den anerkannten Regeln des Fachs entspricht. Technische Normen - insbesondere DIN-Normen - bilden zwar einen Mindeststandard an Sicherheit. Ihre Einhaltung genügt aber nicht, wenn die technische Entwicklung oder die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Normen hinausgegangen sind oder wenn sich bei der Benutzung des Produkts Gefahren gezeigt haben (Produktbeobachtungspflicht), die in den Normen noch nicht berücksichtigt sind (BGH, NJW 1994, 3349 ff.; Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 3 ProdHaftG Rdn. 4). Eine Haftung besteht auch dann, wenn der Fehler bei der Konstruktion bereits erkennbar und vermeidbar war (Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 1ProdHaftG, Rdn. 21).
Die Sicherheitsanforderungen an eine Konstruktion werden dabei durch das jeweils gefährdete Rechtsgut und die Größe der Gefahr bestimmt. Bei Gefahr für Körper und Gesundheit von Menschen - möglicherweise in vielen Fällen - sind die Anforderungen besonders hoch. Maßgebend sind insoweit nur Erkenntnisse, die zu der Zeit bestanden, als eine Schadensabwendung noch in Betracht kam (BGHZ 80, 186 für eine „Warnpflicht“; Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 823 Rdn. 169). Quelle: OLG Hamm: Urteil vom 21.12.2010 - I-21 U 14/08, 21 U 14/08
So, das wars erstmal für heute...