Sehr geehrte Frau [Radverkehrsbeauftragte],
sehr geehrte Damen und Herren,
die Umbaumaßnahme im Bereich Tatzendpromenade / Berthold-Koch-Platz ist fast abgeschlossen, die letzten Markierungen werden noch aufgebracht.
Ich muss offen gestehen, dass ich etwas konsterniert bin, dass im Jahre 2020/21 solch umfassende Umbaumaßnahmen realisiert werden, die den Interessen des Rad- und Fußverkehr so zuwiderlaufen. Es handelt sich bei den Gehwegen mit Freigabe schon fast nicht mehr um ein Angebot, sondern um eine Aufforderung!
Es hat für mich den Anschein, als ob die Entwurfsplanung mit benutzungspflichtigen Geh- und Radwegen ins Rennen ging und auf den letzten Metern der Ausführungsplanung jemandem auffiel, dass benutzungspflichtige Geh- und Radwege bei der vorhandenen Verkehrsbelastung nicht rechtssicher anzuordnen sind. Und anstatt nun die seltsamen Aufleitungen/Ableitungen anzupassen (Verzicht auf Ausführung), wurden diese beibehalten.
Regelkonforme Planung sieht das rechtzeitige Aufleiten auf die Fahrbahn vor dem Kreisverkehr vor. Hier in Jena geht man den anderen Weg und möchte den Radverkehr möglichst aus dem Kreisverkehr heraushalten. Regelrecht hinterhältig sind dann die Konsequenzen der Planung:
- gefährliche Knotenpunkte
- Radverkehr nutzt FGÜ
- Radverkehr mit Ableitungen fast im Kreuzungsbereich bei unzureichender Fahrbahnrestbreite
- Radverkehr mit Ableitungen direkt hinter der Kreisverkehrausfahrt
Um es deutlich zu formulieren: die gewählten Markierungen und baulichen Ausführungen tragen aus meinen Erfahrungen NICHT zur Sicherheit des Radverkehrs bei. Die Unfallgefahr ist bei dieser Ausführung als ungleich höher als im Mischverkehr einzuschätzen. Der Radverkehr wird nicht stetig, nicht sicher geführt; die geltenden Regeln sind nicht intuitiv erfassbar. Die Anlagen suggerieren Rechte ggü. dem Fußverkehr und Fahrverkehr auf der Fahrbahn, die so nicht bestehen!
Das alles an einer Schule, wo man mit allerlei Einbauten am Bordstein um jeden Preis verhindern will, dass außerhalb der FGÜ der Kreisverkehr gequert wird.
Wir haben mit der Tatzendpromenade einen Abschnitt, der von vielen zu Fuß Gehenden genutzt wird (Westbahnhof->FH, Wohngebiet->Discounter/Edeka, Apotheke, Schulen). Die Gehwege sind endlich auch in akzeptabler Breite ausgeführt und nicht wie anderswo in Jena schmale Handtücher. Und doch stehen diese guten Gehwege dem Fußverkehr nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Es wird wieder Radverkehr darauf abgewickelt.
Gehwege sind dem Fußverkehr vorbehalten. Jede Abweichung davon soll eine Ausnahme sein, unterliegt einer Begründung. Und nicht umsonst ist sogar die Freigabe eines Gehweges für den Radverkehr an sehr konkrete Vorgaben gebunden. Keine Gefällestrecke. Nur geringer Fuß- und Radverkehr (70 Personen zu Fuß, 30 Personen mit Rad u.w.), in jedem Falle mehr Fuß- als Radverkehr.
Und dennoch wird auf der Tatzendpromenade der Radverkehr auf den Gehweg geschickt/geleitet/geführt.
Mit derartiger Planung und Ausführung wird einmal mehr eine "soziale Benutzungspflicht" von Gehwegen angeordnet. Daraus wird dann erfahrungsgemäß ein Recht der Maßregelung aus dem KFZ ggü. Rad Fahrenden abgeleitet und gleichzeitig wird "dem Rad Fahrenden" seitens der Stadt signalisiert, dass auf dem Gehweg fahren schon vertretbar, sogar gewünscht ist.
Da jedoch durchaus die Möglichkeit besteht, dass meine Zweifel an der Qualität der Planung unberechtigt sind, ich die Gefahrenlage für den Radverkehr gänzlich falsch einschätze und ich Regeln der StVO auch nicht falsch auslegen möchte, habe ich einige Fragen, um deren Beantwortung ich freundlich bitte.
Ist-Zustand:
in Fahrtrichtung Süd->Nord darf ab ca. 50m hinter der Kreuzung Tatzendpromenade/Lichtenhainer Straße/ Lichtenhainer Oberweg mit dem Fahrrad in Schrittgeschwindigkeit auf dem rechten Gehweg gefahren werden.
in Fahrtrichtung Nord->Süd darf ab Kreuzung Magdelstieg/Tatzendpromenade mit dem Fahrrad in Schrittgeschwindigkeit auf dem rechten Gehweg gefahren werden.
Frage 1:
Warum werden die Einwurfcontainer (Altglas, Tatzendpromenade ggü "Netto") ausgerechnet an der Stelle aufgestellt, wo der vorhandene Gehweg durch einen Telko-Verteilerkasten eingeengt ist? Die Gehwegrestbeite unterschreitet die geforderten 2,50m; dies auch und gerade in einem Bereich, in dem nicht nur mit Passanten, sondern auch mit Personen gerechnet werden muss, die am Einwurfcontainer stehen.
Frage 2:
Warum wird der Gehweg zwischen der südlichen Kreisverkehrzufahrt "Tatzendpromenade" und östlichen Kreisverkehrszufahrt "Otto-Schott-Straße" für den Radverkehr freigegeben, obwohl
- es sich um eine Gefällestrecke handelt, wo Gehwege gerade NICHT für den Radverkehr freigegeben werden sollen
- hier verstärkt mit Fußverkehr durch Senioren (Apotheke) zu rechnen ist
Frage 3:
Wie ist die Vorfahrt-/Vorrangsituation an den Kreisverkehrzufahrten zwischen Radverkehr auf Gehweg und Verkehr auf Fahrbahn (Einfahrt/Ausfahrt Kreisverkehr)?
Am Beispiel "Otto-Schott-Straße":
- Verkehr biegt von Kreisfahrbahn in Otto-Schott-Straße ab -> Radverkehr auf Gehweg fährt weiter nach Norden
- Verkehr biegt von Otto-Schott-Straße in Kreisverkehr ab -> Radverkehr auf Gehweg fährt weiter nach Norden
(siehe Anlage_01, Anlage_02)
Frage 4:
Die VwV-StVO zu §9 StVO verlangt eine Markierung von Radwegefurten über Kreuzungen und Einmündungen hinweg, auch für "freigegebene Gehwege". Warum wurde hier an den Kreisverkehrzufahrten darauf verzichtet?
Frage 5:
Wenn die VwV-StVO zu Zeichen 215 ausführt, dass der Radverkehr entweder auf der Fahrbahn zu führen ist oder auf einem baulich angelegten Radweg (Z.237, Z.240, Z.241) - wieso wird bei einem neu geplanten Abschnitt im Jahre 2020/2021 von dieser zwingenden Vorgabe abgewichen?
Frage 6:
Die Bordsteinabsenkung an den Kreisverkehrzufahrten ist ausschließlich in Breite des FGÜ realisiert, so dass Rad Fahrende, die den umlaufenden Gehweg befahren, zwingend genau über den FGÜ fahren werden. Wie wird hier gewährleistet, dass der FGÜ dem Fußverkehr zur Verfügung steht?
(vgl. Anlage_01)
Frage 7:
Die durchlaufenden Fahrrelationen Nord-Süd sowie Süd-Nord sind für den Radverkehr mit "Gehweg, Radfahrer frei" eindeutig beschildert. Auch von der Otto-Schott-Straße über Tatzendpromenade zum Magdelstieg ist eine erkennbare Beschilderung vorhanden. Für andere Fahrbeziehungen (Jenaplanschule-Apotheke-O.S.Straße, sowie O.S.Straße-Jenaplanschule) erschließt sich die Freigabe der Gehwege nur aus "Ortskenntnis", also aus dem Wissen, dass die Freigabe der entsprechenden Abschnitte "weiter vorn" angeordnet wurde.
Ist dies so beabsichtigt, oder werden noch VZ-Kombis zur Kenntlichmachung der Freigabe des Gehweges aufgestellt?
(Anlage_03)
Frage 8:
die Ableitung vom für den Radverkehr freigegebenen Gehweg erfolgt in Fahrtrichtung Nord direkt hinter dem Kreisverkehr. Wie ist die Vorfahrt hier für den Radverkehr geregelt? Gilt §10 und es besteht quasi eine Anhalte-Pflicht für den Radverkehr?
Frage 9:
Warum wurde auf eine Ableitung auf die Fahrbahn / Aufleitung auf Gehweg im Bereich Otto-Schott-Straße verzichtet?
Frage 10:
Die Auf- bzw. Ableitungen vom freigegebenen Gehweg auf die Fahrbahn sind mit 100cm "Breite" im absoluten Mindestmaß(!) ausgeführt. Warum wurde dieses absolute Mindestmaß, das insbesondere bei Nutzung von Fahrradanhängern oder mehrspurigen Lastenrädern als herausfordernd zu beurteilen ist, gewählt?
Frage 11:
Im südlichen Umbaubereich befindet sich unmittelbar vor der Ableitung des Gehweges auf die Fahrbahn eine Grundstückszufahrt, die in der für Jena üblichen baulichen Ausführung mit Anschlusstein realisiert wurde. Diese Ausführung stellt auf Grund der Kantenausprägung für den Radverkehr eine latente Gefahr dar, die auch nur bei dieser Bauform besteht. Die direkte Fahrlinie vom Gehweg zur Ableitung des Gehweges auf die Fahrbahn führt den Radverkehr in den Bereich des Anschlusssteines. Warum wurde auch hier das bauliche Mindestmaß von 100cm gewählt, wodurch sich in Verbindung mit der Ausführung der Grundstückszufahrt eine noch engere Fahrlinie ergibt?
(Anlage_04)
Frage 12:
im südlichen Umbaubereich ist in Fahrtrichtung Nord auf der Fahrbahn ein Schutzstreifen markiert. Die verfügbare Restfahrbahnbreite (bis rechts zur Abbiegefahrspur Tatzendpromenade->Lichtenhainer Straße) ist derart gering, dass ein regelkonformes Überholen von Rad Fahrenden durch KFZ-Führende absolut unmöglich ist. Weder kann ein "ausreichender" Abstand (StVO vor Novelle2020), noch ein "Mindestabstand von 1,5m" (StVO Novelle2020) gewährleistet werden. Was ist mit der Markierung des Schutzstreifens beabsichtigt?
(Anlage_05)
Frage 13:
Wie gedenkt die Stadt Jena die Regeleinhaltung (Überholverbot von Rad Fahrenden durch KFZ-Führende) in diesem Bereich (Schutzstreifen, siehe Frage 12) zu überwachen?
Frage 14:
Der Schutzstreife (Frage 12) führt den Radverkehr direkt auf den freigegebenen Gehweg. Sind hier weitere Fahrbahnmarkierungen geplant, die verdeutlichen, dass der Radverkehr sehr wohl auch auf der Fahrbahn weiterfahren soll?
(Anlage_06)
Frage 15:
Die Problematik des Schutzstreifens bei nicht ausreichender Fahrbahnrestbreite ist im südlichen Umbaubereich auch in Fahrtrichtung Süd, also nach Ableitung des Radverkehrs vom freigegebenen Gehweg existent. Unter der Annahme (siehe Frage 8), dass §10 in jedem Falle einschlägig ist, muss der Radverkehr auf eine ausreichend große "Lücke" im von hinten aufkommenden Verkehr warten. Durch das implizite Überholverbot (Abstandsregelung aus §5 StVO i.V.m. Verbot des Überfahrens von Z.295-Fahrstreifentrennung) wird diese Lücke sehr groß sein müssen, damit der Verkehr auf der Fahrbahn noch rechtzeitig hinter dem Rad Fahrenden auf dessen Geschwindigkeit verzögern kann.
Warum wurde an dieser Stelle keine eindeutigere und sichere Lösung als Abfolge von Ableitung-Radfahrstreifen-Schutzstreifen-Mischverkehr gewählt, bei der Rad Fahrende der quasi-Anhaltepflicht nicht unterliegen?
(Anlage_07, vergleichbares Beispiel in Jena: Westbahnhofstraße ggü Thüringer Hof, Magdelstieg vor Bushaltestelle Gustav-Fischer-Straße [wenn auch dort in zweifelhafter Ausführung])
Frage 16:
Wie möchte die Stadt Jena an dieser Ableitung (siehe Frage 15) sicherstellen, dass nicht "einfach so" auf die Fahrbahn aufgefahren wird?
und schließlich Frage 17:
Wie möchte die Stadt Jena die Einhaltung der eindeutig in der StVO verankerten Schrittgeschwindigkeit im gesamten Abschnitt gewährleisten? Auf keinem(!) einzigen mir in Jena bekannten freigebenen Gehweg wird auch nur annähernd Schrittgeschwindigkeit gefahren. Selbst in der Westbahnhofstraße sind alle Altersklassen auch unabhängig von Motorunterstützung schneller als "Schrittgeschwindigkeit" unterwegs.
Ich bedanke mich für die Antworten und bin zuversichtlich, dass vor Endabnahme der Maßnahme noch Nachbesserungen wie z.B. der Rückbau der Auf- und Ableitungen sowie das Entfernen der "Schutzstreifen" (die hier mal wieder Gefährdungsstreifen sind) erfolgen können.
Mit freundlichen Grüßen
[Quengelbürger]