Dann ist also die Flüssigkeit des Verkehrs gar kein durch §45 (9) geschütztes Rechtsgut.
Doch. Die Gefahr für die Leichtigkeit des Verkehrs muss aber so erheblich sein, dass sie über das übliche hinausgeht. Wenn man zB eine kurvige Landstraße mit sehr viel Verkehr für Traktoren und Mofas sperren will, ist durchaus anzunehmen, dass auch bei geringer Anzahl bereits erhebliche Stockungen auftreten, weil ein überholen idR nicht möglich ist. In dem Fall ist das Rechtsgut qualifiziert beeinträchtigt. Wenn es eine schnurgrade Straße mit wenig Verkehr ist, ist ein Überholen in aller Regel möglich und daher keine nennenswerten Beeinträchtigungen zu erwarten - die qualifizierte Gefahrenlage besteht nicht.
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Meistens wird die "besondere Gefahrenlage" aus der Tatsache konstruiert, dass auf der Fahrbahn auch Autos fahren. In der Rechtsprechung wird anerkannt, dass eine besonders hohe Verkehrsbelastung eine besondere Gefahr darstellen kann. Jedenfalls habe ich schon einige Urteile gesehen, wo auf das Diagramm der ERA mit den vier Belastungsbereichen verwiesen und ab Belastungsbereich III die Voraussetzung des §45 (9) als erfüllt angesehen wird.
Die ERA 2010 ist quasi der technische Stand der Verkehrsforschung, und wird daher vom Gericht herangezogen, auch wenn sie keine Rechtsquelle ist. Das wird u.a. auch bei DIN-Normen – die ebenfalls keine Gesetze sind – gemacht, wenn es um zB Produkte geht. Die Gerichte sind entsprechend auch nicht vollständig an diese gebunden. Bei Belastungsbereich IV geht man davon aus, dass geboten ist, den Rad- und Kfzverkehr zu trennen – die Behörde muss da nicht mehr viel mehr begründen. Bei Belastungsbereich III kommt die Benutzungspflicht grundsätzlich in Betracht, meistens dürfte damit auch die qualifizierte Gefahrenlage zu bejahen sein. Die Behörde kann dann Ermessen ausüben, ob und wie eingeschritten wird. Natürlich kann sie hierbei auch ohne weiteres mit sachlichen Erwägungen drauf kommen, dass Tempo 30 die zweckmäßigere Lösung des Problems ist; denkbare Ansätze wären: Trennung des schnellen und langsamen Radverkehrs, bessere Überquerbarkeit der Straße für Fußgänger, Schutz auch der Kfz-Fahrer bei Unfällen, flüssigerer Verkehr (ja, dazu gibts Untersuchungen) usw.
Das Problem für den klagenden Radfahrer ist eher, dass die gerichtliche Überprüfbarkeit einer Ermessensentscheidung nach § 114 VwGO auf die Grenzen des Ermessens beschränkt ist. Wenn zB sowohl Tempo 30, Tempo 40, eine Benutzungspflicht oder eine Kombi aus Busspur+Radfahrer frei und Gehweg+Radfahrer frei in Frage kommen, kann unter Umständen alles davon einzeln rechtssicher angeordnet werden, die Behörde hat aber mit der entsprechenden Begründung das letzte Wort1). Man bräuchte halt einen Bürgermeister, der kein Dieseldieter ist, sondern im Zweifel auch mal eine Klage von einem echauffierten Autofahrer riskiert.
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Auf die Frage, ob die Benutzung des Radweges tatsächlich geeignet ist, das Risiko zu senken, wird leider zu selten eingegangen.
Geeignet, das Risiko zu senken ist sie eigentlich immer, weil ein Radfahrer auf dem Radweg nicht auf der Fahrbahn vor dem Auto in Schlaglöcher stürzen kann oder bei Spurwechseln verunfallen kann. Die Frage die sich dann stellt, ist die Verhältnismäßigkeit, bei der die einzelnen Rechtsgüter noch einmal gegeneinander abgewogen werden.
Beispiel: Ein Zweirichtungsradweg auf einer stark befahrenen Straße kann die o.g. Risiken senken. Wenn dieser Längsrillen vom Pflaster hat und so eng ist, dass Kollisionsgefahr im Begegnungsfall besteht, wird die Maßnahme vermutlich trotz der Gefahrenlage auf der Fahrbahn unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sein, weil das Unfallrisiko auf dem Radweg als höher einzuschätzen ist oder die Leichtigkeit des Verkehrs dann eben doch vor der körperlichen Unversehrtheit der Radfahrer zurücktreten muss. Aus dem selben Grund winken Gerichte auf hoppelige Radwege, die keine größere Unfallgefahr verursachen, aber nur langsam befahren werden können durch, wenn die Verkehrsbelastung entsprechend hoch ist.
zu 1): Spannend wäre es aber mal, dort eine Verpflichtungsklage anzustrengen, wo eine erhebliche qualifizierte Gefahrenlage besteht (also die Frage, ob einzuschreiten ist, mehr oder minder nur mit "ja" beantwortet werden kann), die Behörde aber nicht einschreiten will, weil sie meint, dass keine qualifizierte Gefahrenlage besteht, weil man dann den Autofahrern ihr Fahrvergnügen abschneiden müsste.