Beiträge von Ullie

    Stimmt, das habe ich bereits mehrfach geschrieben: Im StVG geht es darum, dass Kraftfahrzeuge zugelassen und versichert sein müssen und dass man dafür einen Führerschein benötigt und dass alles Andere in weiteren Rechtsvorschriften geregelt wird. Die wichtigste dieser Rechtsvorschriften ist die StVO und darin geht es sehr wohl um die Sicherheit des Verkehrs.

    So meinte ich das nicht. Sondern mehr so:

    "Auch wenn er sich heute oft anderer Fortbewegungsmittel zur täglichen Bewältigung seiner Wege bedient, war das zu Fuß gehen immer die natürliche Fortbewegungsart des Menschen."

    Zitat aus:

    Der Fußgänger im öffentlichen Raum – der benachteiligte Verkehrsteilnehmer

    Analyse und Maßnahmenempfehlungen für Unfall- und Konfliktstellen am Beispiel der Städte Freiburg und Karlsruhe

    Institut Entwerfen von Stadt und Landschaft Fachgebiet Stadtquartiersplanung Institut für Verkehrswesen

    Masterarbeit von Philipp Siefert vom 20.12.2017

    Diese grundsätzlich Überlegung zeigt klar: Das Straßenverkehrsgesetz hat vor allem die Belange des Fußverkehrs beeinträchtigt, alleine dadurch, dass den Fußgänger*innen seit Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr der Raum genommen wurde auf den Straßen zu gehen, die immer mehr vom MIV (und vom Fahrradverkehr) in Besitz genommen wurden.

    Warum werden bestimmte Dinge eigentlich im Straßenverkehrsgesetz geregelt, also in einem Gesetz, dem das Parlament zustimmen muss, andere Dinge aber in einer Verordnung, obwohl viele in der Verordnung geregelten Verkehrsfragen oft sehr viel intensiver oder ebenso intensiv die Menschen betreffen.

    Zum Beispiel wird die 0,5 Promille-Grenze in §24 StVG geregelt.

    Alkohol ist einer der häufigsten Unfallursachen.

    Die Tempolimits von 50 innerhalb und 100 außerhalb geschlossener Ortschaften stehen wiederum in §3 der StVO. Überhöhtes Tempo ist ebenfalls eines der häufigsten Unfallursachen.

    Zur Diskussion ÖPNV günstiger und/oder flächendeckender machen passt das Wahlplakat der Grünen für die Wahl am 9.10.22 in Niedersachsen, mit dem die Partei für einen besseren ÖPNV plädiert:

    Für einen Nahverkehr,

    der alle abholt.

    Darunter ein Haltestellenschild.

    Und dann der Slogan, der auch die anderen Grünen-Plakate ziert:


    Endlich machen.

    Und das Sonnenblumenlogo.

    Hier ein Link zu diesem Wahlplakat und den anderen Wahlplakaten der Grünen:

    https://www.gruene-niedersachsen.de/wp-content/uploads/2022/07/Galerie_LTW-Themenplakate.jpg

    Auf den Internetseiten der anderen Parteien habe ich noch keine Wahlplakate entdeckt, die den ÖPNV thematisieren. Eigentlich müsste es diese Tage losgehen mit dem Plakatieren.

    Auch das StVG nennt die Sicherheit vor der Leichtigkeit des Verkehrs.

    Ich befürchte, das ist nicht so, dass es beim Straßenverkehrsgesetz um die Sicherheit des Verkehrs geht. Aber anstatt einzelne Sätze wiederzukäuen und auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen, versuche ich mal einen anderen Weg aufzuzeigen, um deutlich zu machen, dass das Straßenverkehrsgesetz und die StVO zu Nachteilen für Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen geführt hat.

    Zum größeren Nachteil ist das Straßenverkehrsgesetz vor allem für die Fußgänger*innen. Für sie ist es noch nachteiliger als für die Fahrradfahrer*innen.

    Völlig unabhängig von dem, was im Straßenverkehrsgesetz im Einzelnen drin steht, stellt sich die Frage, wie ist es denn dazu gekommen, dass 1909 in Deutschland erstmals ein Straßenverkehrsgesetz beschlossen wurde? Lebten nicht auch schon vor 1909 Menschen zusammen in Städten und auf Dörfern und benutzten dort Straßen und Wege? Warum funktionierte das ganz offensichtlich, ohne dass es dafür ein Straßenverkehrsgesetz und eine daraus abgeleitete Verkehrsordnung gab, die alles Mögliche regelte?

    Es gab auch schon vor 1909 in Deutschland Autos und Pferdefuhrwerke und Reiter und Fahrräder und davor Draisinen (Laufräder, wie das vom berühmten Freiherren von Drais) und sogar schon erste Autos gab es 1909. Bertha Benz machte ihre berühmt gewordene Marketingaktion, eine Fahrt mit dem Motor-Dreirad von Mannheim nach Pforzheim, mit der sie möglicherweise ihren Gatten vor dem finanziellen Ruin rettete, bereits 1888. Dabei schreckte sie nicht davor zurück, ihre 15 und 13 Jahre alten Kinder einzuspannen.

    Und das funktionierte ganz ohne Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung. Niemand kam auf die Idee in einem Fußgänger ein Verkehrshindernis zu sehen, der gefälligst am Straßenrand zu gehen hatte. Allerdings: Bertha Benz war immer wieder auf die Hilfe ihrer minderjährigen Kinder angewiesen, die zum Beispiel bei Anstiegen absteigen und wenn nötig auch schieben helfen mussten. Überhaupt war das Fahren nicht allzu schnell. Für die knapp 100 km lange Strecke benötigen die erfolgreiche Marketingexpertin und ihre beiden Kinder 13 Stunden. Selbst wenn man drei Stunden Pausen einrechnet, muss das Tempo im Bereich von 10 bis 15 km/h gelegen haben. Die bereits vorhandene Eisenbahn fuhr deutlich schneller und benötigte nur einen Bruchteil der Zeit. https://www.dpma.de/dpma/veroeffen…benz/index.html

    Und warum brauchte es dann 1909 ein Verkehrsgesetz? Die Autos waren schneller geworden und waren mehr geworden und sie galten nicht mehr so verbreitet wie einmal zu der Zeit, als Bertha Benz ihre Marketingaktion startete, als spleenige Idee.

    Die Koexistenz von Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen und Autos im Straßenraum musste geregelt werden. Es liegt auf der Hand, dass das mit Nachteilen für die Bewegungsfreiheit der Fußgänger*innen (und Fahrradfahrer*innen) endete, ja enden musste! Wobei die Fahrradfahrer*innen noch Vorteile hatten gegenüber Fußgänger*innen, weil es sich bei dem Fahrrad ebenfalls um ein Fahrzeug handelte. (Wenn auch ein "minderwertigen Fahrzeug", eines ohne Motorkraft.)

    Vermutlich ist der Begriff "Leichtigkeit des Verkehrs" ein Überbleibsel oder gar ein Indikator dafür, was es mit dem Verkehrsgesetz ursprünglich (und vielerorts bis heute) eigentlich auf sich hat, nämlich Förderung des Autoverkehrs zum Nachteil nicht motorisierter Verkehrsteilnehmer*innen.

    Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) ermächtigt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, "soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen."

    Und dieser Begriff "Leichtigkeit des Verkehrs", ist nicht zu unterschätzen. Gibt es zum Beispiel eine gut ausgebaute Bundesstraße, auf der Tempo 100 gilt, dann liegt es nahe im Sinne dieses Gesetzes den Fahrradverkehr auf einen separaten Fahrradweg zu verbannen.

    Und an den Einmündungen kommt es dann zu diesen weit verschwenkten Radwegen, bei denen dann im Bereich der Abfahrt und Auffahrt zur Fahrbahn der Autoverkehr Vorrang hat, und dem Fahrradfahrer wird ein "Vorfahrt achten" [Zeichen 205] vor die Nase gesetzt.

    Da könnte man natürlich geltend machen, dass das nicht der Sicherheit und Leichtigkeit des Fahrradverkehrs dient. Aber erstens wird das bestritten, denn der Fahrradverkehr, so die Argumentation der Autolobby, ist ja dadurch sicher, dass er zum Warten gezwungen wird. Und das ist zwar nicht im Sinne der "Leichtigkeit", aber im Vergleich zu den vielen Autos, so wird leider gerne argumentiert, sind die aktiven Fahrradfahrer*innen eben auch klar in der Minderzahl. Und da dürfen die nicht allzuviel an "Leichtigkeit" erwarten. Dieses Argument spielt bedauerlicherweise immer wieder bei der Radverkehrsplanung eine Rolle.

    Nochmal: Das hier steht bereits in der Verwaltungsvorschrift zur StVO.

    "Die Flüssigkeit des Verkehrs ist mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten. Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor. Der Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen."

    Die VwV-StVO ist kein Vorschlag und keine unverbindliche Empfehlung, sondern eine Vorschrift. Das heißt, dass die StVO von den Behörden nicht so ausgelegt werden darf, dass der ungehinderte Kfz-Verkehr auf Kosten der Verkehrssicherheit von Fußgängern und Radfahrern ermöglicht wird.

    Da hast du sicher recht, dass die zitierte Verordnung eindeutiger den Primat der Sicherheit feststellt. Aber höherrangig als die Verordnung ist das Gesetz. Deshalb halte ich die von mir oben vorgeschlagene Gesetzesänderung für richtig.

    Und dazu kommt: In dem Zitat steht: "Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor." Gerade dein Foto zeigt jedoch, dass dieser Satz von den Verkehrsplanern so verstanden wird: "Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer (außer dem Fuß- und Fahrradverkehr) der Flüssigkeit des Verkehrs Fuß- und Fahrradverkehrs vor." In dem Foto steckt das alte Modell: Motorkraft geht vor Muskelkraft, obwohl das Modell eigentlich in den 50er-Jahren aufgehoben wurde.

    […]

    Ich habe mal nachgeschaut, wie das mit dem §6 im ursprünglichen Verkehrsgesetz aus der Kaiserzeit formuliert war:

    § 6, Abs 2, Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen von 1909
    "2. die sonstigen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen oder Plätzen erforderlichen Anordnungen über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, insbesondere über die Prüfung und Kennzeichnung der Fahrzeuge und über das Verhalten der Führer."

    Mit "die sonstigen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen oder Plätzen erforderlichen Anordnungen" ist das gemeint, was heute Straßenverkehrsordnung heißt.

    Immerhin hatte man damals noch nicht die "Leichtigkeit des Verkehrs" herausgestellt.

    In der "Verordnung über das Verhalten im Straßenverkehr" von 1937 heißt es übrigens immer noch in § 13 Absatz 2, Vorfahrt:

    (2) Bei Straßen gleichen Ranges hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt; jedoch haben Kraftfahrzeuge und durch Maschinenkraft angetriebene Schienenfahrzeuge die Vorfahrt vor anderen Verkehrsteilnehmern. Untereinander stehen Kraftfahrzeuge und Schienenfahrzeuge hinsichtlich der Vorfahrt gleich.

    http://bernd.sluka.de/Recht/stvo1937.htm#p13

    Woher stammt eigentlich diese Behauptung? Gibt es im StVG so einen Satz? Dann stünde die VwV-StVO im Widerspruch zum StVG.

    Siehe §6 Straßenverkehrsgesetz!

    "Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 6 Verordnungsermächtigungen

    (1) Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen:

    Da wird dann unter 2. aufgeführt, dass das Verkehrsministerium unter anderem dazu ermächtigt ist, in der StVO vorzuschreiben, wie sich Verkehrsteilnehmer zu verhalten haben.

    Und in der StVO wiederum wird die Radwegbenutzungspflicht geregelt: In der Straßenverkehrsordnung heißt es in § 2 Absatz 4: "Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist. ' Radfahrer müssen den Radweg benutzen (Radwegbenutzungspflicht) und dürfen nicht auf der Straße fahren."

    Immerhin ist es ja in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, die Radwegbenutzungspflicht dahingehend zu verändern, dass die Benutzungspflicht nur noch für die entsprechend blau beschilderten Radwege gilt und nicht für alle möglichen Wege, Pfade, Trampelpfade usw., die entfernt danach aussehen in den Augen des selbstbewussten Autofahrers, der die Fahrbahn für sich proklamiert.

    Trotzdem macht die Radwegbenutzungspflicht immer noch deutlich, dass das Straßenverkehrsgesetz mit seinem Hinweis in §6, Abs. 1 auf die "Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen" den Autoverkehr im Blick hat und nicht den Fahrradverkehr.

    Oder nimm § 3 StVO Tempolimit in geschlossenen Ortschaften 50, außerhalb 100.

    Es liegt auf der Hand, dass für andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger*innen oder Fahrradfahrer*innen von Tempo 100 nur Gefahren ausgehen und Tempo 30 innerorts und z.B. Tempo 60 außerorts sicherer wäre für den Rad- und Fußverkehr. Aber das Straßenverkehrsgesetz betont in §6 die "Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen". Und meint damit offensichtlich nicht den Rad- oder Fußverkehr. Ich fühle mich als Fußgänger (und Radfahrer) jedenfalls nicht leicht und sicher, wenn ich eine Landstraße benutze, auf der die Autos mit Tempo 100 an mir vorbeijagen oder einen Radweg, der im Einmündungen-Bereich weit abgesetzt ist und wo für den Fahrradverkehr Vorfahrt Achten-Schilder aufgestellt sind.

    Aus laienhafter Sicht, ohne Berücksichtigung der möglichen juristischen Feinheiten würde ich §6 StVG so umändern:

    ALT: "Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen: ..."

    NEU: "Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, soweit es zur Abwehr von Gefahren insbesondere für den Fußverkehr, den ÖPNV und den Fahrradverkehr, sowie für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Fußverkehrs, des ÖPNV und des Fahrradverklehrs auf öffentlichen Straßen erforderlich ist, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates über Folgendes zu erlassen: ..."

    Dann müsste die StVO so umgeschrieben werden, dass konsequent die Bedürfnisse des Fußverkehrs, des ÖPNV und des Fahrradverkehrs an erster Stelle stehen würden. Zum Beispiel würden sofort deutlich niedrigere Tempolimits fällig, die deutlich gründlicher überwacht würden, als das jetzt der Fall ist. Denn für den sicheren und leichten Fußverkehr, den ÖPNV in Omnibussen oder den Fahrradverkehr braucht es kein Tempo 100 auf Landstraßen oder Tempo 50 innerorts, sondern deutlich niedrigere Tempolimits!

    ... ich habe nichts gegen öffentliche Gelder in Maßen für ÖPNV, für den Radverkehr und auch für Straßen, denn es soll ja auch für den entlegenen Bauernhof eine Zufahrt für Rettungswagen und Feuerwehr möglich sein.

    Ich glaube, wir müssen einen unideologischen Verkehrs-Mix erreichen, denn das Leben in der Stadt und auf dem Land braucht andere Lösungen.

    Was aber bedeutet "öffentliche Gelder in Maßen"?.

    Auf Landstraßen gilt ein generelles Tempolimit von 100 km/h in Deutschland.

    Auf vielen Landstraßenabschnitten ist ein niedrigeres Tempolimit angeordnet, meistens 70 km/h.

    Und dann gibt es noch sehr viele Landstraßenabschnitte, an denen kein niedrigeres Tempolimit angeordnet ist, wo es jedoch aufgrund der örtlichen Verhältnisse eigentlich richtig und wichtig wäre, deutlich langsamer als Tempo 100 zu fahren. Entsprechend § 3 StVO, Abs. 1:

    "Geschwindigkeit

    Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen."

    Das steht ja nicht: Es soll immer so schnell gefahren werden, wie es die angeordnete Höchstgeschwindigkeit zulässt und dann nochmal rund 10 bis 15 % obendrauf gepackt werden. Das scheinen jedoch viele Autofahrende so zu verstehen.

    Die Bauindustrie, die IG-Bau und zahlreiche Interessensverbände und Lobbygruppen der Autobauer und nicht zuletzt auch aufgebrachte (oder besser aufgehetzte) Autofahrer jedoch halten eisern daran fest, dass Tempo 100 als generelle Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen Bestand hat und nicht unterschritten wird. Denen bieten Unfälle auf weniger gut ausgebauten Landstraßen immer wieder ein Vorwand, die Straßen zu verbreitern, zu begradigen, die Kreuzungen umzugestalten (am besten wie Autobahnauffahrten), Standstreifen zu bauen oder auch möglichst weiträumig abgetrennte Radwege zu bauen.

    Bis Anfang der 70er-Jahre gab es außerorts keine Tempolimits. Die wurden 1953 abgeschafft, unter anderem mit der Begründung, generelle Tempolimits seien Freiheitsbeschränkungen, die aus der NS-Zeit stammen.

    Unfallverhütung bestand damals (und in vielen Köpfen ist das heute noch so) einzig und allein darin, Straßen zu begradigen, zu verbreitern und Alleebäume abzuholzen.

    Die von dir aufgestellte Forderung, öffentliche Gelder in Maßen für den Straßenbau auszugeben, ist richtig, würde aber in meinen Augen bedeuten, ein generelles niedriges Tempolimit auf Landstraßen anzuordnen und die vorhandenen Straßen-Kapazitäten deutlich effizienter zu nutzen, wie es mit einem niedrigen Tempolimit möglich ist. Vor allem aber mehr dafür zu tun, den Autoverkehr zu reduzieren, indem ÖPNV-Angebote etabliert werden. Und die haben sehr gute Chancen bei einem niedrigen generellen Tempolimit.

    Die ersten Grünpfeile nur für Fahrräder in Hannover wurden montiert:

    Die Aufnahme entstand in der Meterstraße. Die kreuzende Straße ist die Bürgermeister-Fink-Straße.

    Hier ein Link zur entsprechenden streetview-Aufnahme von 2008.

    Google Maps
    Find local businesses, view maps and get driving directions in Google Maps.
    www.google.de

    Damals waren die Straßen noch keine Fahrradstraßen. Heute sind alle Straßen, die zur Kreuzung führen, Fahrradstraßen. Und an allen einmündenden Straßen hängt der Grünpfeil nur für Fahrräder.

    Hier der Link zu einem Bericht auf hannover.de:

    Radverkehr: Einführung eines neuen Straßenschildes - Hannover.de

    Die 2. Stammstrecke in München ist übrigens kein Projekt, das dem ÖPNV zugutekommt (da hätte man den S-Bahn-Ring ertüchtigen können/müssen), sondern dient der Profitmaximierung der Tunnelmafia und diverser Planungsbüros.

    Der U-Bahn-Tunnelbau in vielen deutschen Städte, aber auch im Ausland wird gerne als ÖPNV-Vorzeigeprojekte präsentiert. Tatsächlich geht es dabei stets um Autoverkehrsförderung. Oberirdische Stadtbahnlinien könnten die U-Bahn nicht nur ersetzen, sondern wären sogar die bessere Alternative, weil die elend langen Wege zu den Haltestellen, oft im tiefen Untergrund entfallen.

    Und die Stadtbahn ist die deutlich preisgünstigere Alternative in Bau und Unterhaltung!

    Allerdings haben die Stadtmütter und -väter vielerorts vor dem Autoverkehr und dessen Lobby-Gruppen kapituliert.

    Ein großer Bus, der mit vielleicht 10 Passagieren für 15 km eine Stunde Fahrzeit braucht, ist weder ökologisch sinnvoll noch akzeptabel.

    Ich habe das mal nachgeprüft: Mein Beispiel ist die Buslinie 201, die hab' ich kürzlich im Urlaub häufiger genutzt. Hier fährt der Bus durch Bittenfeld:

    Der Bus fährt tagsüber alle Viertelstunde von Bittenfeld nach Waiblingen.

    Von Bittenfeld, Haltestelle Zipfelbach (das liegt in der Ortsmitte) nach Waiblingen, Haltestelle Stadtmitte sind es mit dem Bus 18 Minuten.

    Hier der Abfahrtsplan für die Linie 201 an der Haltestelle Zipfelbach:

    Prüfe es selbst auf Googlemaps nach, mit dem Auto sind es 14 Minuten. Die Strecke beträgt 9,4 km.

    Nach meiner Beobachtung fuhren meistens Gelenkbusse, die bis zu 150 (ca. 50 Sitz, 100 Stehplätze) Fahrgäste mitnehmen können. Tagsüber fanden alle Fahrgäste einen Sitzplatz. In den Verkehrsspitzen wurden auch Stehplätze belegt.

    Ein großer Bus, der mit vielleicht 10 Pasagieren für 15 km eine Stunde Fahrzeit braucht, ist weder ökologisch sinnvoll noch akzeptabel.

    Der Einsatz eines Omnibusses ist immer eine Mischkalkulation. Das geht gar nicht anders. Leider wird in der Diskussion gerne von Kritikern des ÖPNV so getan, als ob die Fahrten, in denen der Bus schwach mit Fahrgästen besetzt ist, der Standard sei. Ist der Bus dann aber mal gut ausgelastet (in einem Gelenkbus finden bis zu 150 Fahrgäste Platz), dann meckert der Autofahrer, der Bus sei viel zu voll, da könne man unmöglich mitfahren, weil ein Stehplatz, das sei völlig indiskutabel.

    Dabei kümmert es die meisten Autofahrerinnen keinen Deut, dass in ihren Fahrzeugen mit in der Regel 5 Sitzplätzen oft nur der Fahrersitz besetzt ist. Im Schnitt sitzen ca. 1,2 Personen in einem Auto.

    Bist du auch dagegen, dass jeder Steuerzahler den Autoverkehr subventioniert? Das wäre konsequent.

    In der Tat darf sich eine Förderung des ÖPNV aber nicht nur an die richten, die bereits ein Angebot haben, sondern muss vor allem auch dazu dienen, das Angebot auszubauen.

    Das ist sehr wahr! Oft wird der Eindruck erweckt, der ÖPNV können entweder gut ausgebaut sein, dann wäre das aber angeblich nicht zu finanzieren. Oder der ÖPNV müsse günstig sein, dann könne der ÖPNV aber angeblich nicht gut ausgebaut sein.

    Auf dem Land braucht es mehr Akzeptanz für Radfahrer auf und neben der Straße sowie moderne Anbieter für Mitfahrgelegenheiten für den privaten KfZ-Verkehr. Ein großer Bus, der mit vielleicht 10 Pasagieren für 15 km eine Stunde Fahrzeit braucht, ist weder ökologisch sinnvoll noch akzeptabel.

    Ein guter ÖPNV ist auch im ländlichen Raum möglich und würde dort kostendeckend funktionieren, wenn es dort die unglaublich zahlreichen systematischen Bevorzugungen des Autoverkehrs nicht gäbe.

    Beispiel Parkplätze: In der Stadt sind Parkplätze naturgemäß Mangelware, wenn die Zahl der Autos von Jahr zu Jahr ansteigt. Für diese Problematik ist die Landbevölkerung überhaupt gar nicht sensibilisiert.

    Dort ist Bauland so billig, dass es unproblematisch ist, auf dem eigenen Grundstück auch noch eine Garage und zwei bis drei Stellplätze einzurichten. Und wenn drei Stellplätze auf dem eigenen Grundstück nicht ausreichen, weil neben Frau und dem ältesten der Kinder auch noch das zweitälteste 18 wird und ein eigenes Auto fährt, dann wird das eben an den Fahrbahnrand gestellt. Zudem werden vielerorts die Garagen zu Lagerung von Gartengeräten, Werkzeugmaschinen usw. benutzt. Warum auch nicht, auf der Straße ist ja genug Platz. Mir ist kein Beispiel bekannt, dass so was im ländlichen Raum kontrolliert würde, ob den der vorhandene Auto-Stellplatz auf dem eigenen Grundstück auch seiner Bestimmung gemäß verwendet wird.

    In der Stadt, insbesondere in den Gründerzeitvierteln dagegen gibt es viele Wohneinheiten, denen keine Garage oder Stellplatz zugeordnet ist. Das treibt die Menschen in den ÖPNV. Nicht das angeblich so großartige ÖPNV-Angebot in der Stadt lässt die Menschen den ÖPNV benutzen, sondern weil für so viele Autos wie auf dem Land in der Stadt kein Platz ist. Und es immerhin einige vernünftige Menschen gibt, die statt mit dem Auto mit dem ÖPNV, dem Rad und zu Fuß mobil sind. Auch wenn der ÖPNV auch in der Stadt oft an vielen Stellen unzureichend ist und die Radverkehrsinfrastruktur oft einfach nur zum <X .

    Deutlich höhere Grundstückspreise auf dem Land und gleichzeitig eine deutliche Reduktion der Auto-Stellplätze würde auch auf dem Land zu einem besseren ÖPNV-Angebot und mehr ÖPNV-Nutzung führen.

    Ein anderer Punkt ist, dass Nutzer des ÖPNV im ländlichen Raum und das sind meistens Omnibusfahrgäste es ständig erleben, dass sie auf ihrer Reise mit dem Omnibus ständig von Autofahrern überholt werden. Konsequent Tempo 60 km/h max. auf allen Landstraßen würde dazu beitragen, dass mehr Menschen den Bus benutzen und die Buslinien entsprechend verstärkt werden könnten. Denn Tempo 60 ist die Höchstgeschwindigkeit für den Linienbusverkehr, wenn Stehplätze genutzt werden. Das wiederum ist essenziell wichtig für einen kostendeckenden ÖPNV.

    In einem gebe ich dir recht, Michael, das wäre nicht für 9,- Euro pro Monat zu haben. Aber dieser abstrus niedrige "Kampfpreis" hat ja seine Ursache einzig und alleine darin, dass die Autofahrerei so unverschämt günstig ist und gegenüber dem ÖPNV (und dem Radverkehr) ständig bevorzugt wird.

    "Zügig mit dem Auto voranzukommen, ist im aktuellen Straßenverkehrsgesetz (StVG) wichtiger als der Schutz von Menschen, ihrer Gesundheit oder der Klimaschutz. In der Praxis bedeutet das, dass beispielsweise geschützte Radfahrstreifen, Fahrradstraßen oder großflächiges Tempo 30 von Kommunen oftmals nicht umgesetzt werden können, weil dafür die Rechtsgrundlage fehlt. Das lässt sich aus der über 100-jährigen Geschichte des StVG als Kraftfahrzeuggesetz herleiten. Heute jedoch leiden Straßen, Menschen und Klima unter einem drastischen Zuviel an Autoverkehr. Ein modernes Straßenverkehrsgesetz muss daher die umweltfreundlichen und platzsparenden Verkehrsarten Fuß, Rad und Nahverkehr klar gegenüber dem Auto priorisieren, so das Bündnis." Das ist ein Zitat aus einer gemeinsamen Presseerklärung von ADFC, BUND, Bundesverband Carsharing, Changing Cities, DNR, DUH, Fuss e.V., Greenpeace, Klima-Allianz, Verbraucherzentrale Bundesverband, VCD, VSF, Zweirad-Industrieverband und Bundesverband Zukunft Fahrrad vom 28. Juni 2022 mit der Überschrift: "Modernes Straßenverkehrsrecht für alle. Jetzt umsetzen!"

    Verbände-Bündnis + Fahrradwirtschaft: „Modernes Straßenverkehrsrecht. Jetzt!"
    Pressemitteilung zur heutigen Bundespressekonferenz "Modernes Straßenverkehrsrecht für alle. Jetzt umsetzen!"
    www.adfc.de

    Was ich richtig gut finde: Der Begriff Radwege wird komplett vermieden und trotzdem weiß jeder, dass es um eine Verbesserung der Fahrradverkehrsinfrastruktur geht. Auch diejenigen Menschen, die sich mit dem Thema Radverkehrsinfrastruktur nicht so intensiv beschäftigen, dass sie für die Gefahren von Radwegen sensibilisiert sind, können sich darin sehr gut wiederfinden. Und, das finde ich besonders wichtig: Auch die vielen FahrradfahrerInnen, die aus gutem Grund Radwegen skeptisch gegenüberstehen, können bei dieser Erklärung mitgehen.

    Mir schon. Vor allem, wo nach Entfernung der [Zeichen 240] ohne weitere Maßnahmen oder begleitender Öffentlichkeitsarbeit aus einem "Radweg" ein Gehweg geworden ist, oder wenn in irgendeinem Kaff Gehwege baulich nicht von benutzungspflichtigen kombinierten Geh- und "Radwegen" zu unterscheiden sind, weil das alles der selbe Schrott ist.

    Und das ist nicht nur für Autofahrer ein Problem, sondern auch für Fahrradfahrer. Der sieht einen benutzungspflichtigen schmalen Fuß-/Radweg und benutzt ihn. Weil, ist ja benutzungspflichtig. Und dann sieht er einen breiten Bürgersteig, breiter als der benutzungspflichtige schmale kombinierte Fuß-/Radweg. Und kein einziger Fußgänger weit und breit. Und da fragt sich mancher doch: Warum sollte ich ausgerechnet jetzt hier auf die Fahrbahn wechseln.

    Selbst massive Öffentlichkeitsarbeit kann nur begrenzt Wirkung entfalten, wenn es darum geht, die breite Öffentlichkeit für die "tieferen Geheimnisse" der Straßenverkehrsregeln zu sensibilisieren. Trotzdem ist es natürlich richtig, immer wieder dieses dicke Brett zu bohren!

    Herr Schwendy sagt die Statistik spricht eindeutig für sein Kreuzungsdesign und von der Fahrbahn abgetrennte Radwege, weil dann viel mehr Rad gefahren wird und die so erzeugte zusätzliche Lebenszeit die paar mehr Opfer im Straßenverkehr deutlich überwiegt.

    Ich finde es nicht richtig, diese Diskussion so sehr zu personalisieren. Wenn es um Radwege geht, dann ist gewiss nicht Herr Schwendy der einzige, der die gut findet. (Wobei auch da zu klären wäre, wer in welchen Fällen genau, welche Radwege gut findet!)

    Und ich habe auch noch nicht erlebt, dass jemand, der sich für den Bau von Radwegen ausspricht, dafür tödlich verunfallte Fahrradfahrer*innen in Kauf nehmen will. Wo soll denn das jemand gesagt haben? Oder meinetwegen auch, was genau hat Timm Schwendy (der ist doch vermutlich gemeint) denn dazu gesagt? Gibt es da eine Quelle?

    In Städten müssten die Autos einfach großzügig ausgesperrt werden.

    Sehe ich auch so, allerdings kommt es bei Gesprächen zu dem Thema immer wieder auf den Punkt:
    Aber wie soll denn die Landbevölkerung dann in die Stadt kommen? Oder die Stadtbevölkerung zu Zielen im ländlichen Raum?

    Und da kommt dann neben dem Fahrrad als Verkehrsmittel unabdingbar der ÖPNV ins Spiel.

    Freilich gibt es die Möglichkeit, auf Park und Ride Anlagen am Rand der Stadt zu verweisen. Zum Teil gibt es die ja auch bereits. Aber wirklich nachhaltig ist das nicht. Im Gegenteil, die Autofahrerei auf dem Land wird damit noch verstärkt.

    Eine gute Verkehrsanbindung mit dem ÖPNV ist auch im ländlichen Raum möglich. Leider widerspricht dieser Feststellung die gegenwärtig vielerorts miserable Situation des ÖPNV im ländlichen Raum, die den Bewohnern in den betroffenen Ortschaften nur allzu gut bekannt ist.

    Ein kleines Beispiel, das in die richtige Richtung geht, ist der Vaude-Standort in Tettnang am Bodensee mit 500 Mitarbeiter*innen: "In Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand haben wir erreicht, dass unsere Buslinie zum nächsten Bahnhof im Stundentakt fährt", erklärt sie*. Die Linie wurde überhaupt erst auf Betreiben von Vaude eingerichtet. Vorher gab es nur den Schulbus."

    *Hilke Patzwall, Vaude-Mitarbeiterin verantwortlich fürs Nachhaltigkeitsmanagement am Firmenstandort Tettnang im Bodenseekreis.

    Mobiltätsmanagement Vaude: Nachhaltigkeit sticht
    Outdoor-Ausrüster Vaude setzt bei der Mitarbeiter-Mobilität auf Nachhaltigkeit. Nachdem das Unternehmen ein Mobilitätskonzept entwickelt hat, nimmt es nun den…
    www.firmenauto.de

    Das ist der Link zum Abfahrtsplan der "Bähnle-Linie":

    https://www.bodo.de/fileadmin/redakteur/pdf/linien/ueberlandverkehr/0229.pdf

    Immerhin tagsüber Fahrten im Stundentakt, samstags halbtags. Aber: sonntags gar keine Fahrten. Auch in den Abendstunden nicht. Für die Vaude-Mitarbeiter vermutlich nicht so wichtig, die arbeiten da ja tagsüber. Aber wer da wohnt, hat's schwer, abends mit dem ÖPNV wegzukommen.

    Und ganz grundsätzlich kann man auch fragen: Warum ist die Vaude-Zentrale mit 500 Mitarbeiter*innen nicht zentraler gelegen?

    So ganz anders sehe ich das auch nicht als Thomas. Der ADFC ist nicht FFF und BUND, und natürlich versucht er da seine eigene Agenda zu stützen.

    Ich will das mal so beschreiben:

    Sowohl der ADFC, als auch der BUND oder FFF sind Winzlinge im Vergleich zu den Interessens- und Einflussgruppen, die an einer Verkehrspolitik und Wirtschaftspolitik festhalten wollen, die zunehmend unsere Lebensgrundlagen zerstören.

    Vor allem aber sehe ich wenig Chancen für den ADFC, bei vielen Menschen Gehör zu finden, wenn er die Postion vertreten würde, es sei richtig, alle Radwege aufzuheben, weil nur so das Fahrradfahren sicherer gemacht werden könne.

    Dann ist es schon besser, die Position mehr Radwege für den Radverkehr zu vertreten und sich dann bei der konkreten Umsetzung für eine gute Radverkehrsinfrastruktur einzusetzen, die nicht immer unbedingt ein Radweg sein muss.

    Und es ist natürlich wichtig, dass ADFC, BUND und FFF (und andere) sich abstimmen, auch wenn das nicht bei allen zu einer hundertprozentig identischen Agenda führt.

    Dass der ADFC wie selbstverständlich ungefragt sein eigenes Radwege-Süppchen auf der Flamme der FFF-Bewegung kocht, zeigt auch sehr eindrucksvoll, was am Ende von allen komplexen Forderungen bei Wählern und Politikern angekommen sein wird: "mehr Radwege", eben.

    Du konstruierst da eine Gegenüberstellung, die ich so nicht sehe. Auf der einen Seite die FFF-Bewegung, die Radwege ablehnt und den Fahrradverkehr auf der Fahrbahn fordert.

    Auf der anderen Seite der ADFC, der grundsätzlich immer und überall separate Fahrradwege fordert und seine Erfolgsbilanz angeblich alleine und völlig unkritisch daran festmacht, wie viele km zusätzliche Fahrradwege geschaffen wurden.

    Richtig ist, dass es sich um komplexe Forderungen handelt, die im Raum stehen zur Förderung einer guten Verkehrsinfrastruktur, die den Radverkehr begünstigen und nicht immer weiter an den Rand drängen.

    Die Forderung nach T30/70 ohne Radwege ist plumpe Erpressung: "entweder, ihr akzeptiert die Spaßbremse, oder wir kriegen unseren Radweg. Sucht's euch aus". Sicherheitstechnisch ist die Forderung aber Unsinn, denn erstens wird der Verkehr von KFZ untereinander durch einen Radweg keinen Deut sicherer, und zweitens führt die Führung der Radfahrer im Seitenraum ohne parallele Temporeduktion auf der Fahrbahn unweigerlich dazu, dass die ohenhin schon gefährlichen Knotenpunkte für sie noch gefährlicher gemacht werden.

    Die Forderung nach Tempo 30/70 ohne Radwege kann man als "plumpen Erpressungsversuch" beschreiben oder als geschickte Verhandlungsbasis. Problematisch ist die Umsetzung.

    Es gibt in Niedersachsen zahlreiche Landstraßen (Straßen des Bundes, der Länder, der Kreise und der einzelnen Gemeinden eines Kreises) mit zahlreichen gefährlichen Engstellen, die mit gar keinem Tempolimit beschildert sind. Die Verkehrsbehörden gehen davon aus, solange nichts passiert, müssen wir da nicht tätig werden. Schließlich ist jeder Autofahrende dazu angehalten, sein Fahrzeug so zu fahren, dass damit keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden.

    Grundsätzlich aber gilt: Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen ist Tempo 100. Und nicht wenige Autofahrer sehen das eher als ein Mindest-Tempo denn als Höchstgeschwindigkeit.

    Worauf bezieht sich die Forderung nach Tempo 70 auf Landstraßen, die der ADFC von den Parteien fordert, die zur Landtagswahl am 9. Oktober 2022 antreten? Soll Tempo 70 zukünftig grundsätzlich als Höchstgeschwindigkeit für Landstraßen gelten?

    Ich selbst würde da noch weitere 10 km/h Temporeduktion fordern, sodass zukünftig auf allen Landstraßen (dazu zählen auch die Bundesstraßen) maximal Tempo 60 km/h gilt. Tempo 60 deshalb, weil dann der Omnibusverkehr mit Linienbussen nicht länger benachteiligt würde gegenüber dem Autoverkehr. Denn Linienbusse dürfen maximal Tempo 60 km/h auf Landstraßen fahren, wenn Passagiere an Bord sind, die einen Stehplatz einnehmen. "Auf der Landstraße darf ein Linienbus nicht schneller als 60 km/h fahren, wenn nicht für jeden Fahrgast ein Sitzplatz verfügbar ist." https://www.bussgeldkatalog.de/hoechstgeschwindigkeit-bus/

    Es bleibt offen, wie der ADFC seine Forderung nach Tempo 70 auf Landstraßen umgesetzt sehen will. Das mit dem Tempo 100 auf Landstraßen ist ein Bundesgesetz, sodass das Land darüber nicht selbstständig entscheiden kann.

    Auch die Anordnung von Tempolimits auf Bundesstraßen ist vermutlich nur möglich, wenn für die zuständigen Verkehrsbehörden dafür die Zustimmung durch bundesrechtliche Vorgaben vorhanden sind.

    Und selbst wenn das Land oder ein Kreis auf einer Landstraße für die das Land oder ein Kreis zuständig ist, eine Tempobegrenzung von 70 km/h anordnen würde, mit der Begründung, es sei ja kein Radweg vorhanden, dann halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass betroffene Autofahrer mit Unterstützung ihrer Lobby-Vereine das weg klagen würden.

    Weitgehend Entsprechendes gilt für Tempo 30 innerorts.


    Auf keinen Fall jedoch gilt: "Die Forderung nach T30/70 ohne Radwege ist plumpe Erpressung", wie du befürchtest. Denn dazu fehlt dem ADFC komplett das Potenzial, um irgendwas zu erpressen.

    Während die Interessen der Autofahrer durch die Autoindustrie, den entsprechenden Gewerkschaften, den Lobbyverbänden und durch die meisten Parteien (leider zunehmend auch durch die Grünen) geschützt sind. Und obendrauf kommt noch die Bau-Industrie und die Gewerkschaften im Baugewerbe. Die könnten ja vielleicht auch interessiert daran sein, Fahrradwege zu bauen. Doch der Umbau von Landstraßen, mit dem Ziel Tempo 100 zu ermöglichen, bringt weitaus mehr ein, als wenn auf Landstraßen Tempo 70 angeordnet werden könnte, um den Radverkehr zu schützen.