Dass der ADFC wie selbstverständlich ungefragt sein eigenes Radwege-Süppchen auf der Flamme der FFF-Bewegung kocht, zeigt auch sehr eindrucksvoll, was am Ende von allen komplexen Forderungen bei Wählern und Politikern angekommen sein wird: "mehr Radwege", eben.
Du konstruierst da eine Gegenüberstellung, die ich so nicht sehe. Auf der einen Seite die FFF-Bewegung, die Radwege ablehnt und den Fahrradverkehr auf der Fahrbahn fordert.
Auf der anderen Seite der ADFC, der grundsätzlich immer und überall separate Fahrradwege fordert und seine Erfolgsbilanz angeblich alleine und völlig unkritisch daran festmacht, wie viele km zusätzliche Fahrradwege geschaffen wurden.
Richtig ist, dass es sich um komplexe Forderungen handelt, die im Raum stehen zur Förderung einer guten Verkehrsinfrastruktur, die den Radverkehr begünstigen und nicht immer weiter an den Rand drängen.
Die Forderung nach T30/70 ohne Radwege ist plumpe Erpressung: "entweder, ihr akzeptiert die Spaßbremse, oder wir kriegen unseren Radweg. Sucht's euch aus". Sicherheitstechnisch ist die Forderung aber Unsinn, denn erstens wird der Verkehr von KFZ untereinander durch einen Radweg keinen Deut sicherer, und zweitens führt die Führung der Radfahrer im Seitenraum ohne parallele Temporeduktion auf der Fahrbahn unweigerlich dazu, dass die ohenhin schon gefährlichen Knotenpunkte für sie noch gefährlicher gemacht werden.
Die Forderung nach Tempo 30/70 ohne Radwege kann man als "plumpen Erpressungsversuch" beschreiben oder als geschickte Verhandlungsbasis. Problematisch ist die Umsetzung.
Es gibt in Niedersachsen zahlreiche Landstraßen (Straßen des Bundes, der Länder, der Kreise und der einzelnen Gemeinden eines Kreises) mit zahlreichen gefährlichen Engstellen, die mit gar keinem Tempolimit beschildert sind. Die Verkehrsbehörden gehen davon aus, solange nichts passiert, müssen wir da nicht tätig werden. Schließlich ist jeder Autofahrende dazu angehalten, sein Fahrzeug so zu fahren, dass damit keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden.
Grundsätzlich aber gilt: Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen ist Tempo 100. Und nicht wenige Autofahrer sehen das eher als ein Mindest-Tempo denn als Höchstgeschwindigkeit.
Worauf bezieht sich die Forderung nach Tempo 70 auf Landstraßen, die der ADFC von den Parteien fordert, die zur Landtagswahl am 9. Oktober 2022 antreten? Soll Tempo 70 zukünftig grundsätzlich als Höchstgeschwindigkeit für Landstraßen gelten?
Ich selbst würde da noch weitere 10 km/h Temporeduktion fordern, sodass zukünftig auf allen Landstraßen (dazu zählen auch die Bundesstraßen) maximal Tempo 60 km/h gilt. Tempo 60 deshalb, weil dann der Omnibusverkehr mit Linienbussen nicht länger benachteiligt würde gegenüber dem Autoverkehr. Denn Linienbusse dürfen maximal Tempo 60 km/h auf Landstraßen fahren, wenn Passagiere an Bord sind, die einen Stehplatz einnehmen. "Auf der Landstraße darf ein Linienbus nicht schneller als 60 km/h fahren, wenn nicht für jeden Fahrgast ein Sitzplatz verfügbar ist." https://www.bussgeldkatalog.de/hoechstgeschwindigkeit-bus/
Es bleibt offen, wie der ADFC seine Forderung nach Tempo 70 auf Landstraßen umgesetzt sehen will. Das mit dem Tempo 100 auf Landstraßen ist ein Bundesgesetz, sodass das Land darüber nicht selbstständig entscheiden kann.
Auch die Anordnung von Tempolimits auf Bundesstraßen ist vermutlich nur möglich, wenn für die zuständigen Verkehrsbehörden dafür die Zustimmung durch bundesrechtliche Vorgaben vorhanden sind.
Und selbst wenn das Land oder ein Kreis auf einer Landstraße für die das Land oder ein Kreis zuständig ist, eine Tempobegrenzung von 70 km/h anordnen würde, mit der Begründung, es sei ja kein Radweg vorhanden, dann halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass betroffene Autofahrer mit Unterstützung ihrer Lobby-Vereine das weg klagen würden.
Weitgehend Entsprechendes gilt für Tempo 30 innerorts.
Auf keinen Fall jedoch gilt: "Die Forderung nach T30/70 ohne Radwege ist plumpe Erpressung", wie du befürchtest. Denn dazu fehlt dem ADFC komplett das Potenzial, um irgendwas zu erpressen.
Während die Interessen der Autofahrer durch die Autoindustrie, den entsprechenden Gewerkschaften, den Lobbyverbänden und durch die meisten Parteien (leider zunehmend auch durch die Grünen) geschützt sind. Und obendrauf kommt noch die Bau-Industrie und die Gewerkschaften im Baugewerbe. Die könnten ja vielleicht auch interessiert daran sein, Fahrradwege zu bauen. Doch der Umbau von Landstraßen, mit dem Ziel Tempo 100 zu ermöglichen, bringt weitaus mehr ein, als wenn auf Landstraßen Tempo 70 angeordnet werden könnte, um den Radverkehr zu schützen.