"Verkehrspolitik in Frankreich - Paris führt fast überall Tempo 30 ein" auf tagesschau.de vom 30.8.2021
"Weniger Lärm, weniger tödliche Unfälle - und die Mehrheit der Bürger will es so: Seit heute gilt in Paris auf den meisten Straßen ein Tempolimit von 30 km/h.
(...)Die Stadtbewohnerinnen und -bewohner wünschten sich sichere Radwege, breitere Bürgersteige, eine ruhigere Stadt, "in der sie ihre Kinder in die Schule bringen können - ohne Angst, dass ein zu schnell fahrendes Auto sie umfährt".
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Die Stadt beruft sich auf ein Umfrage, nach der fast 60 Prozent der Pariser und Pariserinnen mehr oder weniger für Tempo 30 seien. Und auf die Weltgesundheitsorganisation: Ein Zusammenprall mit einem 50 km/h fahrenden Auto sei für einen Fußgänger zu 80 Prozent tödlich. Bei 30 Kilometern pro Stunde dagegen nur zu zehn Prozent.
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Konservative auf den Barrikaden Falsch, sagt dagegen der französische Verein "40 Millionen Autofahrer". Geschäftsführer Pierre Chasseray hat Tempo 30 in Paris schon kritisiert, als es noch ein Versprechen vor der Wiederwahl der Bürgermeisterin war: "Das ist eine groteske, dumme Maßnahme, die die Bürger gegeneinander aufbringt. Aber die Medien fahren darauf ab.
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Die konservative Oppositionschefin im Pariser Stadtrat, Rachida Dati, läuft Sturm. "Durch Madame Hidalgos Verkehrspolitik gibt es jetzt sogar Nacht-Staus. Den Begriff verwendet eine Satirezeitung." Und Staus führten zu mehr Abgasen. "Ansonsten will sie 100 Prozent Fahrrad. Das ist Anarchie", meint Dati: "Heute heißt es in Paris: Fußgänger gegen E-Roller, Auto gegen Fahrrad." Man müsse besser regulieren und sich an der Realität ausrichten." (Hervorhebungen von mir)
Eigentlich sollte man doch meinen, dass die Fahrbahnen hinreichend sicher seien, wenn dort Tempo 30 gilt. Es ist ein Widerspruch, der häufiger auftaucht, wenn über Maßnahmen berichtet wird, die dem Radverkehr zu Gute kommen. Nach meiner Beobachtung verhält es sich so:
In Tempo-30-Zonen in Wohngebieten sollte es eigentlich keine Radwege geben. Aber besonders in Altbeständen existieren häufig veraltete Fahrradwege zum Teil aus den 70er und 80er Jahren, die manchmal sogar schon recht breit gestaltet sind, ohne jedoch die heute geltenden Mindestmaße zu erfüllen. Selbst dann wenn solche Radwege nicht als benutzungspflichtige Radwege gekennzeichnet sind, werden sie häufig noch von vielen Fahrradfahrer*innen benutzt.
Auf Hauptverkehrsstraßen, auf denen in Deutschland in der Regel Tempo 50 gilt, sind die Radwege manchmal schon gut ausgebaut mit durchgehenden Mindestbreite von 1,50 m bis 2,00 m. Dann gibt es aber auch Abschnitte auf diesen Straßen mit gut ausgebauten Fahrradwegen, zum Beispiel vor Krankenhäusern oder vor Kindergärten, an denen ein sogenanntes "Strecken-30" angeordnet ist, also ein kurzer Abschnitt von rund 200-300 m, auf dem nur Tempo 30 gefahren werden darf. Leider weiß ich nicht genau wie die Situation in Frankreich ist, wo jetzt in Paris ein weitgehendes Tempo-30-Gebot angeordnet wurde.
In der Berichterstattung über die Tempo-30-Anordnung in Paris wird deutlich: "Die Stadtbewohnerinnen und -bewohner wünschten sich sichere Radwege,...".
Und ich denke, diese Forderung ist berechtigt. Die Fahrbahn einer stark befahrenen innerstädtische Straße, auf der heute noch Tempo 50 gilt, wird für viele Radfahrer*innen nicht einfach so von Heute auf Morgen dadurch attraktiver, dass der Autoverkehr, dort nur noch mit Tempo 30 lang fahren darf. Eine wichtige Rolle spielt dabei das nur allzu berechtigte Misstrauen gegenüber "Temposündern".
Hier wäre es interessant zu erfahren, wie dass die Bürger*innen von Paris sehen.
Und es wäre interessant zu erfahren, wie das die Bürger*innen sähen, wenn durch verbindlich arbeitende Intelligente Geschwindigkeitsassistenten (ISA) zuverlässig das Einhalten der geltenden Tempolimits sicherstellen würde.
Eine ähnliche Betrachtung verdienen auch Fußgängerüberwege. Es gibt in Hannover Wohngebiete, in denen zum Teil schon seit drei Jahrzehnten Tempo-30-Zonen angeordnet sind. Eigentlich sollten dort keine Fußgängerüberwege mehr nötig sein und sie sind eigentlich auch nicht vorgesehen. Aber sie genießen Bestandsschutz und bei den Anwohnern oft sehr große Beliebtheit. Auf dem Titelbild des tagesschau.de-Beitrages ist übrigens eine Straßenszene mit Zebrastreifen abgebildet!
Ich denke solche Fragen müssen mit bedacht werden, wenn Tempo 30 flächendeckend durchgeführt wird, was ich sehr begrüße.